# Interview

https://www.jungle.world/artikel/2025/36/sanktionsum-gehung-muss-schaerfer-verfolgt-werden

Darja Kusmina von der ukrainischen NGO Trap Aggressor im Gespräch über Rüstungsgüter, die illegal nach Russland gelangen

»Sanktionsum­gehung muss schärfer verfolgt werden«

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Aufgrund des Verdachts, sanktionierte militärische Güter nach Russland geliefert zu haben, fand in der bayerischen Maschinen­werkzeug­fabrik Spinner kürzlich eine großangelegte Razzia statt. Anlässlich dieses Vorfalls sprach die »Jungle World« mit Darja Kusmina von der ukrainischen NGO Trap Aggressor, die solche Fälle von Sanktionsumgehung recherchiert.

Russland braucht westliche Technologie für die Produktion von Rüstungsgütern. Ihre NGO findet heraus, wie Sanktionen umgangen werden und was man dagegen tun kann. Wie bewerten Sie die Ermittlungen gegen die deutsche Maschinenbaufirma Spinner?
Das ist ein wirklich gutes Zeichen. Es bedeutet, dass nicht nur NGOs und Journalisten an der Thematik dran sind, sondern auch die Ermittlungsbehörden. Die EU hat bereits beeindruckende 18 Sanktionspakete gegen Russland verabschiedet, aber das größte Problem ist, wie sie umgangen werden können. Es ist Aufgabe der EU und der Behörden in den jeweiligen Mitgliedstaaten, die Umgehung der Sanktionen stärker zu verfolgen und zu ahnden.
Bis Mai dieses Jahres hatten die EU-Staaten Zeit, eine neue Richtlinie umzusetzen, die das besser gewährleisten soll (die 2024 verabschiedete EU-Richtlinie sieht eine Angleichung des Sanktionsstrafrechts der Mitgliedsstaaten vor, unter anderem ist bei vorsätzlichem Verstoß gegen Sanktionen eine Freiheitsstrafe als Höchststrafe vorgeschrieben; Anm. d. Red.). Der Fall Spinner zeigt, dass es hier nun vorwärts geht. Es freut uns, dass unsere Arbeit nicht vergebens ist und der Beweisführung dient. Uns sind außerdem weitere laufende Ermittlungsverfahren deutscher Staatsanwaltschaften bekannt. Das bewerten wir sehr positiv.

Über Drittländer, die als Drehscheibe für die Umleitung von Gütern nach Russland dienen, lassen sich EU-Sanktionen umgehen. Angenommen, ein Hersteller erhält eine Bestellung aus der Türkei – wie soll man herausfinden, dass die Maschine nach Russland weitergeleitet wird?
Von Firmen, auf die wir zugehen, hören wir immer wieder, dass das bei Tausenden Kunden unmöglich sei. Meistens fehlt es aber schlichtweg an einem geeigneten Compliance-System. Oft lässt sich ganz einfach googeln, dass eine Firma erst nach Beginn der russischen Vollinvasion im Februar 2022 gegründet wurde. Manchmal sieht man auch, dass die Eigentümer Russen sind. Das steht in öffentlich abrufbaren türkischen Handelsregistern. Wohin die Ware dann tatsächlich gehen wird, ist leicht zu erraten.

»Von Firmen hören wir immer wieder, dass es bei Tausenden Kunden unmöglich sei nachzu­verfolgen, wer der Endabnehmer ist.«

Außerdem könnte man mit Institutionen wie uns zusammenarbeiten. Wir stellen die Informationen gern zur Verfügung, wenn wir davon ausgehen können, dass daraus Konsequenzen folgen. Bei Spinner ist man zum Beispiel in gar keiner Weise auf unsere Bedenken und Angebote eingegangen.
Eine dritte Option ist das GPS-Tracking. Die Maschinen sind riesig und schwer, ein Tracker kann dort leicht angebracht werden. Wenn das Gerät in die Russische Föderation gelangt, kann man rechtliche Schritte einleiten und weitere Exporte unterbinden. Auch wenn der Tracker gefunden und entfernt wird, ist das freilich ein Indiz für illegale Ausfuhr.

Gibt es weitere Fälle?
Ja, aber dazu können wir aus ermittlungstaktischen Gründen derzeit nichts preisgeben.

Kürzlich wurde eine 1983 gebaute Radialschmiedemaschine der österreichischen Firma GFM über Spanien und Hongkong nach Russland verschifft. Damit lassen sich präzise Gewehrläufe herstellen. Der Hersteller hat auf Exporte von gebrauchten Maschinen keinen Einfluss. Was kann man in solchen Fällen unternehmen?
Das hängt von der Gerichtsbarkeit ab. Innerhalb der EU dürfte es sich um einen Sanktionsverstoß handeln. Im Fall von Drittländern ist es kaum möglich, etwas zu tun. Unwahrscheinlich ist, dass die EU Sekundärsanktionen gegen diese Länder verhängen wird. Auch was die USA diesbezüglich wirklich tun werden, bleibt abzuwarten. Wir haben daher dieses Jahr beschlossen, uns auf Drittländer zu fokussieren, über die sanktionierte Güter in die Russische Föderation gelangen.

Was genau tun Sie da?
Wir gehen auf Unternehmen und Handelskammern in den verschiedenen Ländern zu und laden sie zu Webinaren ein. Darin klären wir auf, wie sie die Vorschriften westlicher Staaten und Bündnisse besser einhalten können. Selbstverständlich analysieren wir im Vorhinein, wo die größten Hindernisse liegen könnten. Nehmen wir zum Beispiel Kasachstan: Die Regierung ist so von Russland abhängig, dass sie keine Wahl hat. Die Türkei wiederum verfolgt eigene Interessen, auch dort wird sich kaum etwas machen lassen. Unser Erfolg ist bislang überschaubar, aber wir stehen erst am Anfang. Derzeit arbeiten wir daran, unser Projekt auf die Philippinen auszuweiten.

Das ist weit vom russischen Krieg gegen die Ukraine entfernt. Ist das Interesse da nicht sehr begrenzt?
Ja, und das ist auch in Ordnung so. Jeder hat sein eigenes Leben, selbst für die Menschen in Westeuropa wirken unsere Probleme abstrakt. Wenn wir auf die Leute in Asien oder Afrika zugehen, sind sie und ihre Anliegen uns ebenso fremd. Unser Wunsch ist es, mit den Menschen zu sprechen, um ihnen unsere Situation und unsere Erfahrungen näherzubringen. Alles beginnt mit einem einfachen Gespräch.

»Warum hört man so viel über die Korruption in der Ukraine? Weil es ein demokratischer Staat ist, in dem die Daten der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.«

Die Ukraine ist auf allen diplomatischen Ebenen schwächer als Russland, weil wir eine junge Demokratie sind und nicht so viele Ressourcen haben. Viele Länder sind stark von der Propaganda beeinflusst, die Russland geschaffen hat. Das ist eine große Herausforderung für uns, aber ich glaube, dass man das auf lange Sicht ändern kann. Wichtig ist es, den ersten Schritt zu tun.

In der Vergangenheit widmete sich State Watch auch Fragen der Korruption und Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine. Wie bewerten Sie die jüngsten Entwicklungen rund um den Versuch der Regierung von Juli, die Unabhängigkeit der Antikorruptionsorgane einzuschränken, der nur durch erhebliche Proteste abgewendet werden konnte?
Sie zeigen den Wertekanon der Ukrainer, die trotz der Sicherheitslage für ihre demokratischen Grundbedürfnisse auf die Straße gegangen sind. Unvorstellbar, etwas Gleichwertiges in Russland oder Belarus zu tun.
Warum hört man so viel über die Korruption in der Ukraine? Weil es ein demokratischer Staat ist, in dem die Daten der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Es gibt Antikorruptions-NGOs, die als Kontrollorgan funktionieren, und wenn die Gesellschaft das Gefühl hat, dass der Gesellschaftsvertrag verletzt wird, geht sie, wie 2014, auf die Straße. Wir wollen Teil der europäischen Gemeinschaft und eine Demokratie sein, das sind unsere Grundwerte. Wichtig ist zu betonen, dass es ein Protest gegen einen bestimmten Gesetzentwurf war, nicht gegen die Regierung oder den Präsidenten. Vereinzelt haben Demonstranten Wolodymyr Selenskyjs Rücktritt gefordert, aber die große Mehrheit kann mit dieser Forderung nichts anfangen. Wir wissen, dass Russland die Situation ausnutzen könnte, um das Land von innen zu zerstören.

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Darja Kusmina leitet die Abteilung für Sanktionen des ukrainischen Think Tank State Watch. Dieser erforscht in dem Projekt Trap Aggressor unter anderem, welche Möglichkeiten genutzt werden, um die Sanktionen zu umgehen, die gegen Russland verhängt wurden. Kusmina hat einen Bachelor in Chemie sowie einen Master in Öffentlicher Politik und Regierungsführung. Dass sie sich in einer Denkfabrik auf internationale Sanktionsmechanismen und die Rückverfolgung von Vermögenswerten spezialisieren würde, hätte sich Kusmina bis 2022 »nicht vorstellen können«.

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Werkzeugmaschinenfabrik Spinner

Im beschaulichen Sauerlach bei München ging es Ende Juli hoch her. 140 Ermittler des Zolls sowie acht Staatsanwälte statteten der Werkzeugmaschinenfabrik Spinner einen Besuch ab. In einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft München wurde der Einsatz mit dem Verdacht begründet, dass »über 20 hochpräzise Werkzeugmaschinen mit Verkaufspreis von rund 5,5 Millionen Euro unter bewusster Umgehung der gegen Russland verhängten Sanktionsvor­schriften gezielt nach Russland geliefert wurden«. Auch Zweigniederlassungen in Stuttgart und Bulgarien wurden durchsucht, anscheinend aber nicht in der Türkei, wo ­Spinner ebenfalls vertreten ist.

Den Recherchen des ukrainischen Investigativprojekts Trap Aggressor zufolge wurde von dort unter Umgehung von EU-Sanktionen im September 2023 mindestens eine Spinner-Fräsmaschine des Modells U5-630 nach Russland exportiert. mp