Seit 25 Jahren hat Kuba zwei Währungen, doch das könnte sich bald ändern

Harter Peso, weicher Peso

Am 26. Juli 1993 gab Fidel Castro am 40. Jahrestag der Revolution die Legalisierung des Besitzes von US-Dollars auf Kuba bekannt. 25 Jahre später zirkulieren immer noch zwei Währungen auf der Insel, der Peso Convertible und der Peso Nacional. Doch bald könnte sich das ändern.

Gleich hinter dem Eingang zum Kulturzentrum »Mejunje« wartet María Jorge an der Kasse auf Gäste. Kubaner zahlen an diesem Samstag fünf Peso Nacional (CUP), ausländische Besucher hingegen fünf Peso Convertible (CUC) für den Besuch, erklärt die Vizedirektorin des »Mejunje« in Santa Clara einem Touristen. Der ist überrascht, denn bisher hatte er die ausgetretenen Pfade für Urlauber in Kuba nicht verlassen und deshalb noch gar nicht registriert, dass es im Land zwei Währungen gibt. »Realität seit 1993«, sagt ein älterer Kubaner, der gerade seinen Obulus entrichtet hat, schulterzuckend an die Adresse des Touristen und geht weiter zur Bar.

Was für Kubaner Alltag ist, ist für die Besucher der im Zentrum der Insel liegenden Stadt mit dem Mausoleum Che Guevaras nicht immer einfach zu begreifen: Wie funktioniert ein Land mit zwei Währungen? Alle Staatsangestellten, und das sind rund 70 Prozent der beschäftigten Kubanerinnen und ­Kubaner, werden in Peso Nacional bezahlt. Doch die Preise in den meisten Geschäften und in der Gastronomie orientieren sich am Peso Convertible, der an den US-Dollar gekoppelten harten kubanischen Währung.

Auch im »Mejunje« kursieren wie überall auf der Insel beide Währungen. Um einen Peso Convertible zu kaufen, müssen Kubaner und Kubanerinnen 24 Peso Nacional aufwenden – viel von der harten Währung erhalten sie bei Löhnen von durchschnittlich 700 Peso Nacional pro Monat nicht. Ein Grund, weshalb der ältere Kubaner vom Eingang durch den Hof zur hinteren Bar geht und nicht zum Cocktailstand im ersten Stock: »Eine Flasche Rum und eine Dose Cola kosten mich hier unten rund 70 Peso Nacional. Ein Cocktail oben schlägt mit fast dem gleichen Preis zu Buche. Das kann ich mir nicht leisten«, sagt der 52jährige Mann, der regelmäßig das Kulturzentrum besucht, weil es beiden Gruppen etwas bietet: denen mit Devisen und denen ohne.

Das entspricht der Maxime von Direktor und Gründer Ramón Silverio. Er kommt vom Theater und besucht mit seinem Ensemble nach wie vor auch die Dörfer in der Umgebung. Silverio, ein überzeugter Anhänger der Revolution, legt Wert auf ein Kulturprogramm, das für jede und jeden etwas bietet: Konzerte aller musikalischen Genres – auch des in Kuba lange verpönten Rock –, Theater, Ausstellungen und auch LGBTI-Shows. Dann bevölkern Dragqueens auf Highheels mit fettem Lidstrich und bunten Perücken den Innenhof, lassen sich feiern und genießen den Freiraum, den ihnen das »Mejunje« bereits zu Beginn der neunziger Jahre bot – als in Havanna so etwas noch undenkbar war. Das hat den Club im Zentrum Kubas landesweit berühmt gemacht. An der Maxime »offen für alle« hat sich nichts geändert, auch wenn die zwei Währungen Direktor Silverio hin und wieder zur Improvisation veranlassen. Der Tresen im ersten Stock, der einen guten Blick auf die Tanzenden im Innenhof bietet, ist so eine Improvisation. Zusätzliche Einnahmen, die ­nötig seien, um das Konzept niedriger Preise für ein anspruchsvolles Programm aufrechtzuerhalten, sagt Silverio. »Doch was wir eigentlich brauchen, ist die Rückkehr zu einer Währung mit Kaufkraft – die ist überfällig«, so der 69jährige.

Er weiß, dass die Legalisierung des Besitzes von US-Dollars am 26. Juli 1993 eine Notmaßnahme der Regierung ­Fidel Castros war, aber er weiß auch, dass das nicht ohne unerwünschte Folgen für die Ökonomie der Insel und die Bevölkerung blieb. Das gesellschaftliche Gefüge habe sich deutlich ver­ändert, sagt er. Diejenigen, die Überweisungen aus dem Ausland erhalten, seien privilegiert, hätten die Nase vorn, wenn es um den Aufbau von Kleinunternehmen gehe, andere seien am Ende der sozialen Hierarchie ge­landet, berichtet der Künstler, der regelmäßig selbst auf der Bühne des »Mejunje« steht.

 

Die Währung des Imperiums

Das hat Fidel Castro in seiner Rede zur Legalisierung des Devisenbesitzes in Kuba am 26. Juli 1993 bereits vorausgesehen, als er davon sprach, dass ihm »einige dieser Maßnahmen unsympathisch« seien und »uns nicht gefallen«. Sie widersprächen dem Gleichheits­gedanken, dem sich die Revolution verschrieben habe. Damals rieben sich inselweit die Kubanerinnen und Kubaner die Augen, denn für die allermeisten kamen die Legalisierung des Devisenbesitzes und damit die faktische Einführung der doppelten Währung vollkommen überraschend. In Santiago de Cuba, wo Fidel Castro diese Rede hielt, gab es damals bereits die ersten Geschäfte, wo Ausländer mit Devisen einkaufen konnten. »Fantasía« hieß das bekannteste und davor gab es damals lange Schlangen – vor und nach der Legalisierung des Devisenbesitzes. Denn Kubaner durften anfangs nur in Begleitung eines Ausländers einkaufen und mussten die harte Währung vorzeigen. Erst langsam wurde der Einkauf in den Tiendas de Recaudación de Divisas (TRD), den Intershops Kubas, zur Normalität.

In diesen Geschäften gibt es Produkte, die es auf dem nationalen Markt gar nicht oder nur in begrenzter Menge gibt. Besonders gefragt waren Mitte der neunziger Jahre Hygieneartikel wie Seife, Zahnpasta, Deodorant und Waschmittel, aber auch Speiseöl. Das kostet pro Flasche bis heute knapp 2,50 Peso Convertible, also rund 2,50 US-Dollar, denn die konvertible kubanische Währung, die 1994 eingeführt wurde und 2004 endgültig den US-Dollar als Zahlungsmittel ablöste, ist an diesen gekoppelt. Also an die Währung des »Imperiums im Norden«, wie die USA auf der Insel in Anlehnung an einen Ausdruck des Nationalhelden José Martí gern genannt werden. Ein Widerspruch, der auch den kubanischen Verantwortlichen bewusst ist. Die Legalisierung des Devisenbesitzes in Kuba galt als Notstands- und Übergangsmaßnahme, um das Jahr 1993 zu überleben.

Das Kalkül war einfach. Der kuba­nischen Regierung fehlten damals rund 500 Millionen US-Dollar, um die überlebensnotwendigen Importe, vor allem Lebensmittel und Erdöl, zu bezahlen. Schätzungen kubanischer ­Experten zufolge kursierten damals rund 500 Millionen US-Dollar auf der Insel, die Verwandte geschickt hatten, die aber auch, etwa als Trinkgeld, im wachsenden Tourismussektor eingenommen worden waren. Dieses Geld wollte die Regierung, wie Fidel Castro in seiner Rede ausführte, abschöpfen. Die Rechnung präsentierte Finanzminister José Luis Rodríguez 1994 auch dem Berliner Politikwissenschaftler Bert Hoffmann. Das Kri­senmanagement mit dem Rechenschieber ging auf, die Regierung vermied die damals bevorstehende Staatspleite – doch die doppelte Währung blieb, bis heute. Das monieren Anhänger der Revolution wie Ramón Silverio vom »Mejunje«, aber auch Ökonomen wie Esteban Morales oder Omar Everleny Pérez.

Das hat seine Gründe. Zwar wussten die Finanz- und Wirtschaftspolitiker der kubanischen Regierung, dass die doppelte Währung negative Effekte mit sich bringen würde, aber man hoffte, dass mit steigender Produktivität der kubanischen Wirtschaft alsbald eine Währungsreform möglich sein würde. Daran ließ auch der stellvertretende Finanzminister Rubén Toledo Díaz im September 1997, kurz vor dem V. Parteikongress der Kommunistischen Partei Kubas (PCC), keinen Zweifel. »Die Legalisierung der Devisen war eine Improvisation, um zu überleben. Es war die einzige Möglichkeit, um den Bankrott zu vermeiden. Das hat Folgen ­gehabt, hat sich negativ auf die Arbeitsmoral ausgewirkt, es hat auch Korrup­tion nach sich gezogen und eine Unterteilung der Bevölkerung, in einen Teil mit Zugang zum Dollar und einen ohne. Das ist die Kehrseite der Medaille«, konstatierte der Minister.

Beikommen wollte die Regierung diesen negativen Folgen – wozu auch die Abwanderung, indirekt die wachsende Prostitution sowie die notwendige doppelte Buchführung für die größeren Unternehmen und die Schwierigkeiten gehören, die Wirtschaftskraft der Betriebe auf der Insel zu messen, – mit Programmen, um die Produktivität zu erhöhen. Meist waren es Arbeits­anreize, Prämien in US-Dollar, oder spezielle Supermärkte, in denen »verdiente Arbeiter« Produkte zu günstigeren Preisen erwerben konnten. Erst danach, so Toledo Díaz, sei die bereits 1994 diskutierte Währungsreform möglich. »Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage muss sich verbessern, parallel dazu die Differenz zwischen Löhnen und Preisen«, umriss der Minister 1997 die Grundprobleme.

 

30 Flaschen Bier für den Monatslohn


An diesen Problemen hat sich wenig geändert, denn auch 20 Jahre später können die Angestellten des Staats von ihrem Lohn wenig kaufen. Für das Durchschnittsgehalt von gut 700 Peso Nacional erhält man 30 Flaschen Bier oder knapp zwölf Flaschen Speiseöl. Nicht eben viel, was dem schwarzen Humor, der auf der Insel weit verbreitet ist, Nahrung gegeben hat. »Der Staat tut so, als ob er uns bezahlt, und wir tun so, als ob wir arbeiten«, ist wie einst in der DDR einer der gängigen Sprüche auf der Insel zu diesem Thema. Schwund in den staatlichen Betrieben ist ein immenses Problem, Rohstoffe und vieles mehr werden »sozialisiert«. Seinen Anteil nehmen, heißt das auf Kuba, denn schließlich gehöre ja alles allen.

So ist es um die Produktivität der kubanischen Wirtschaft alles andere als gut bestellt. Zudem wandern die Qualifizierten ins Ausland oder in den privaten Sektor ab, den es seit 1993 gibt und der 2010 mit einer neuerlichen Deregulierung an ökonomischer Relevanz zunahm.

Derzeit arbeiten ­offiziellen Zahlen zufolge 591 000 Menschen mit ­einer Lizenz zur »Arbeit auf eigene Rechnung«, wie es in Kuba heißt. 13 Prozent der kubanischen Wirtschaftsleistung gehen Schätzungen zufolge auf private Unternehmen zurück und dort arbeiten oft Hochqualifizierte. Zimmervermieter mit einem Universitätsabschluss in marxistischer Wirtschaftstheorie gibt es ebenso wie Atomphysiker, die ein Taxi durch Havanna lenken, oder Ärzte, die ein paladar, ein Privatrestaurant, betreiben. Alles andere als untypische Karrieren in Havanna, Santiago de Cuba oder Santa Clara und ein Faktor, der die staatliche Infrastruktur genauso schwächt wie die Abwanderung in die USA oder andere Länder, so der Ökonom Omar Everleny Pérez.

Jahrelang drehte sich in Kuba alles um den Wechselkurs – wie viele Pesos Nacionales soll man für einen kon­vertiblen Peso bekommen? Mit einem Kurs von 5:1 wurde in Bayamo, im ­Osten der Insel, experimentiert, mit einem Kurs von 9:1 auf der Insel der Jugend. Es gibt Landwirte, die beispielsweise Restaurants oder Hotels mit Gemüse zu einem Kurs von 9:1 beliefern, während in staatlichen Unternehmen oft das Verhältnis 1:1 gilt. Solche Unterschiede sind oftmals ökonomisch kontraproduktiv.

Das ist auch auf politischer Ebene unbestritten und bereits 2011 wurde die Währungsreform in den Katalog der Reformmaßnahmen aufgenommen, den der PCC auf dem damaligen ­Kongress beschloss. Realisiert werden sollten sie bis Ende 2015, doch wurde das »wichtigste ungelöste Problem Kubas«, so Raúl Castro, verschleppt.

Mitte März 2018 kursierten Gerüchte auf der Insel, dass die Währungs­reform nun kommen werde. Kubaner, die ihre Peso Convertible in Peso ­Nacional tauschten, gebe es zuhauf, so der emeritierte Sozialwissenschaftler Esteban Morales. Auch im »Mejunje« wollen die Bartender möglichst wenig Wechselgeld in konvertibler Währung, um keinen Verlust beim Einwechseln zu riskieren. Denn das einzige, was ­sicher ist, ist, dass der Peso Nacional bleiben soll.

 

Überfällige Währungsreform

Seit dann noch europäische Analysten im April dieses Jahres auf die Insel reisten, um festzustellen, wie man den Kubanern bei der Währungsreform helfen könne, scheint klar, dass es einen echten Anlauf geben könnte, um das System der doppelten Währung zu beenden. Ein weiteres Indiz dafür ist die Ernennung von Alejandro Gil Fernández zum neuen Wirtschaftsminister am 21. Juli.

Mit der Währungsreform sind aber auch Befürchtungen verbunden, vor allem die, dass sie eine Pleitewelle im staatlichen Sektor auslösen und Abertausende von Kubanern und Kubanerinnen den Arbeitsplatz kosten könnte. Diese Befürchtung sei zwar nicht un­realistisch, so der kubanische Ökonom Pavel Vidal, der im kolumbianischen Cali lehrt, aber planlose Improvisation wie in den vergangenen Jahren sei keine Alternative. Nicht nur, weil die sozialen Problem in Kuba immer drängender werden, etwa die chronisch unterfinanzierten Rentenkassen in einer älter werdenden Gesellschaft. Immer mehr Rentner verkaufen Zeitungen oder sammeln Dosen, um ihre Rente aufzubessern.

Die Bekämpfung der Armut, da sind sich kubanische Ökonomen sicher, falle mit einer dynamischen Wirtschaft deutlich leichter. »Wachstumsquoten oberhalb der vier Prozent sind nötig, um bessere Stellenangebote für die jüngere Generation zu kreieren und die Sozialsysteme über Wasser zu halten«, argumentiert Omar Everleny Pérez, der früher im Studienzentrum der kubanischen Wirtschaft (CEEC) arbeitete und mittlerweile als freier Analyst tätig ist. Zudem stehe die doppelte Währung auch der effektiven Messung der ökonomischen Leistung im Wege – gute Argumente für eine überfällige Währungsreform, auf die nicht nur der »Mejunje«-Direktor Ramón Silverio hofft. Er hat sich gerade eine kleine Auszeit von der Arbeit ­gegönnt, sitzt oben im ersten Stock auf einem Balkon und blickt nachdenklich auf die tanzende Menge im Innenhof des Kulturzentrums.