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Preiswert in der Herstellung, vielfältig verwendbar: Im Zuge des Massenkonsums erlebten synthetische Stoffe ihren Durchbruch, Plastik wurde ein Symbol der Angestelltenkultur in den fünfziger Jahren. Über die Probleme für Umwelt und Gesundheit wurde nicht nachgedacht. Die Kunsthalle Schirn widmet dem »Plastic Age« eine große Ausstellung.
»Do you ever feel like a plastic bag, drifting through the wind, wanting to start again«, singt Katy Perry 2010 in »Firework«, etwas unentschlossen, ob sie die utopischen Möglichkeiten des Materials preisen oder die Trostlosigkeit von im Wind wehendem Plastikmüll beklagen will. Dieser ambivalente Blick auf Kunststoff ist exemplarisch für den Umgang mit dem Material zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Im selben Jahr wie der Hit von Perry erschien auch »Plastic Beach« von den Gorillaz und 2015 veröffentlichten der Ex-Kraftwerker Florian Schneider und Dan Lacksman »Stop Plastic Pollution«. Einige Jahrzehnte zuvor waren noch unbekümmert die Vorzüge der Kunststoffe und die Schönheit der Plastikwelt besungen worden. »Could this be the plastic age?« fragten The Buggles 1980.
Das ehemals als zukunftsweisend gefeierte Plastik gilt nun als Bedrohung für Mensch und Umwelt. Dieser Perspektivwechsel zeigt sich auch in der Geschichte der Bildenden Kunst, die unterschiedliche Kunststoffe schon früh als Material genutzt hat. Die Frankfurter Schirn-Kunsthalle hat der Geschichte des Kunststoffs als künstlerisches Material im 20. Jahrhundert die Ausstellung »Plastic World« gewidmet, die noch bis zum 1. Oktober zu sehen ist.
Das älteste Exponat der Ausstellung ist die Installation »Konstruktion mit durchsichtigen Flächen« des Niederländers Constant von 1955, die den Einsatz von Plastik in utopischen architektonischen Entwürfen einige Jahre später vorwegnimmt. Die in der Ausstellung als »Plastic Age« bezeichnete Ära hatte ihren Vorlauf in den zwanziger Jahren. Bereits 1925 kam der gleichnamige Film des Regisseurs Wesley Ruggles in die Kinos, der ein Zeitalter des oberflächlichen popkulturellen Genusses zeigt. Dieser Film, der als erster Beitrag zum Genre des College-Films gilt, porträtiert die Generation junger Studierender, die lieber in Jazzclubs rumhängt, statt die bildungsbürgerlichen Ansprüche der Eltern zu erfüllen. Erst als sich die Protagonisten Cynthia und Hugh vom popkulturellen Konsum abgewendet haben, steuert der Film auf ein Happy End zu und die beiden können ein Paar werden. Der Jazz wird als unvollkommenes Ersatzprodukt für E-Musik dargestellt, der nicht an sie heranreicht. Ganz ähnlich wurden Produkte aus Plastik geringgeschätzt, sie galten als bloßer Ersatz, als Surrogat, als Kopien der Originale.
Es kamen stets neue künstliche Ersatzprodukte auf den Markt, etwa Kunsthorn zur Herstellung von Knöpfen, Kunstkork und Kunstleder, deren minderwertige Qualität zum negativen Image der frühen Kunststoffe beitrugen.
Die Verunsicherung darüber, dass aus natürlichen Materialien gewonnene Substanzen in etwas Künstliches umgewandelt werden konnten – so wurde Phenol aus Kohle und Aldehyd aus Holz hergestellt – war in den zwanziger Jahren spürbar. Es kamen stets neue künstliche Ersatzprodukte auf den Markt, etwa Kunsthorn zur Herstellung von Knöpfen, Kunstkork und Kunstleder, deren minderwertige Qualität zum negativen Image der frühen Kunststoffe beitrugen. Abnehmer der Produkte waren die Angehörigen der rasch wachsenden Mittelschicht, die sich teure, aus Naturmaterialien gefertigte Statussymbole nicht leisten konnten; diese »für Angestellte produzierten Illusionen«, notierte Siegfried Kracauer 1930, stießen »auf reichliche Nachfrage«.
Vor allem in Gestalt von Elfenbein- und Marmorersatz kamen die Kunststoffe in den zwanziger Jahren in die Privathaushalte. Sogenannter Modeschmuck wurde beliebt. Zu einem »Gleichnis für den Alltag der Utopie« (Roland Barthes) wurde Plastik aber erst später. Erst im Zuge des Zweiten Weltkriegs forcierte die Industrie die Herstellung der Kunststoffe, sei es die Perfektionierung von Nylon beziehungsweise seines deutschen Pendants Perlon für die Produktion von Fallschirmen oder der synthetische Kautschuk Buna, für dessen Produktion die I.G.Farben im Auftrag der Nazis ein Werk in Auschwitz-Monowitz unterhielten.
Seinen endgültigen Durchbruch erlebte Plastik in den fünfziger Jahren und wurde in Form von Haushaltsartikeln unverzichtbar; wenn auch, wie Barthes in den »Mythen des Alltags« noch leicht mitleidig schreibt, als ein »zu kurz gekommenes Material, verloren zwischen der Dehnbarkeit des Gummis und der flachen Härte des Metalls«. Nach und nach wurden Plastikartikel aber nicht mehr nur als billiges Imitat der »wirklichen Produkte der mineralischen Ordnung« angesehen, sondern auch als innovative Produkte geschätzt, wie etwa die Tupperware, die die Haushaltsführung erleichterten.
In der Kunst setzten sich synthetische Stoffe etwa ab den sechziger Jahren durch. Künstler wie Claes Oldenburg oder Niki de Saint Phalle nutzten die neuen Möglichkeiten von Plastik. Oldenburg reproduzierte mit seinen Objekten aus Kunststoff den massenhaften Alltagskonsum, Saint Phalle nutzte das robuste Material, um im öffentlichen Raum mit ihren »Nanas« die verklemmte Sexualität ihrer Zeit zu stören – um einen hohen Preis: Die Kunststoffdämpfe verursachten bei der Künstlerin schwere Gesundheitsschäden. Die Naivität im Umgang mit dem neuen und noch unerforschten Material ist auch Thema in einem interessanten Gespräch mit der Restauratorin Friederike Waentig, das im Katalog zur Ausstellung enthalten ist: »Das Thema Arbeitsschutz ist in der Kunstproduktion erst in den 1980er Jahren aufgekommen«, erklärt sie und weist auf die anfangs unerkannten Gefahren des Gebrauchs von Plastik in den Ateliers hin.
Das neue Material Kunststoff in all seinen Ausformungen kam der Architektur der Sechziger gerade recht, weil es durch seine Vielseitigkeit – leicht, formbar, farbig – eine neue Mobilität samt alternativer Wohn- und Arbeitsmodelle versprach.
Die Ausstellung selbst dringt leider nicht unter die Plastikoberfläche oder in die Kunststoffgeschichte ein; weltpolitische Ereignisse wie die Ölkrise, die nicht zuletzt durch die Verknappung des Rohstoffs aufgrund der massenhaften Herstellung von Plastik befördert wurde, Kontexte und Wechselwirkungen perlen von den Ausstellungsobjekten ab, die thematisch gruppiert einzig über die Klammer des Materials zusammengehalten werden.
Es geht um die Oberfläche, und in diesem Sinne eröffnet die Schau mit einem Raum zu Plastik-Künstlern der Pop Art, darunter auch Oldenburg und Saint Phalle. »Plastik ist schlichtweg das ikonische Material der Zeit«, heißt es im Wandtext, ein »Fetisch der Alltagskultur«. Viel genauer wird es nicht mehr, die Texte verwenden vor allem Schlagworte, ohne die gesellschaftlichen Zusammenhänge zu reflektieren. »Für die Kunst war und ist Plastik ein Vehikel der Innovation«, heißt es an einer Stelle. »Das Gebrauchsmaterial der Industriegesellschaft ist im 20. und 21. Jahrhundert der zentrale Rohstoff für die künstlerische Arbeit«, liest man an anderer Stelle. Die Materialgeschichte bildet die Ausstellung zwar ab, stellt sie aus, sie wird allerdings nicht erzählt und aus dem Zusammenspiel der Kunstwerke ergeben sich auch keine Zusammenhänge.
Insbesondere der Raum, der sich utopischen Architekturmodellen der sechziger Jahre widmet, lässt die Vielschichtigkeit des Umgangs mit dem Material erahnen, hauptsächlich jedoch, weil die ausgestellten Dokumente selbst eine theoretische Auseinandersetzung anbieten und einfordern. Das neue Material Kunststoff in all seinen Ausformungen kam der Architektur der Sechziger gerade recht, weil es durch seine Vielseitigkeit – leicht, formbar, farbig – eine neue Mobilität samt alternativer Wohn- und Arbeitsmodelle versprach.
Die britische Architektengruppe Archigram etwa arbeitete mit der Idee von wachsenden, wandernden Städten, in denen das Zusammenleben freier und doch kollektiver organisiert sein sollte. Gelebt wurde beispielsweise in Wohnkapseln, so beschreibt es ein Entwurf aus dem Jahr 1964; in »Plug-in Cities« sollten Wohnungen an Trägersysteme aufgesteckt und angeklemmt werden, jederzeit konnte man zur nächsten Trägerstruktur weiterziehen. Die Utopien der Gruppe von neuen Formen des Zusammenlebens orientierten sich am Urbanen, anders als die Hippies, die wenig später Landkommunen gründen sollten.
Die politischen Dimensionen der Plastikutopien werden in der Ausstellung kaum berücksichtigt.
Archigram wollten die Stadt neu entwerfen, beispielsweise mit mobilen Wohnzellen wie dem »Cushicle«, die auf dem Rücken getragen werden konnten. Die Stadt wurde als »hochtechnisiertes Nomadenprojekt« vorgestellt. Dass diese Utopie der Flexibilität mit Wohnkonzepten wie das Cushicle oder Ken Isaacs’ »Microhouse« heute wie ein dystopischer Vorschein des neoliberalen Flexibilitätsdrucks wirkt, darf man den Architekten dieser Utopien kaum anlasten. Ihre Vision war auch als Bruch mit den hergebrachten gesellschaftlichen Erwartungen entworfen, einem Bruch mit der Idee von Verwurzelung oder Heimat und als eine Absage an den fordistischen Kapitalismus. Stattdessen loteten sie die Möglichkeiten des neuen Baustoffs Plastik aus, um neue Formen gemeinschaftlichen Zusammenlebens entstehen zu lassen, das sich zum Beispiel in solchen pop-up cities verwirklichen sollte.
Die politischen Dimensionen der Plastikutopien werden in der Ausstellung allerdings kaum berücksichtigt: »Utopische Objekte erweitern Körper und Räume und öffnen neue Wege der Wahrnehmung und Kommunikation. Neue Körpererfahrungen im urbanen Raum gehören ebenso dazu wie bewegliche Raumhüllen aus Kunststoff«, heißt es in der Ausstellung schwammig.
Eva Hesses Installation »Sans 2« aus Glasfaser und Polyesterharz (1968) beschäftigt sich hingegen mit der langsamen Zersetzung der Kunststoffe. Der US-amerikanischen Künstlerin ging es in ihrem Werk insbesondere um unerwartete Reaktionen des Materials, um Prozesse der Auflösung und Nichtauflösung. Dass die Beschäftigung mit dem Material auch ihrer Auseinandersetzung mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts aus der Perspektive einer jüdischen Frau entsprungen ist, die als Kind aus Deutschland fliehen musste, lässt die Ausstellung wie auch vieles andere unerwähnt. Was bleibt, ist eine Zusammenstellung von mal mehr, mal weniger interessanter Kunst, die die aber weder zum Weiterdenken einlädt noch wirklich Spaß macht – Mike Kelleys phantastische Plüschtierskulptur »Push Kundalini Chakra Set« (1987) mal ausgenommen. Spaß sollte eine »Plastic World« betitelte Ausstellung aber doch machen. So hat schon Lady Gaga 2008 in ihrem Song »Paparazzi« verkündet: »We’re plastic, but we still have fun.«
Plastic World. Kunsthalle Schirn, Frankfurt am Main. Bis 1. Oktober