Peaches - Berlins heißester Popstar

Lutsch meinen Schwanz!

Peaches rasiert sich nicht unter den Achseln und bastelt sich daraus ein Image, um ihre Musik geht es nur in zweiter Linie.

Schweiß lässt ihr Make-up wie unter Tränen zerfließen, immer wieder greift sie sich an den Schritt, sie beugt ihr Becken nach vorne, hält sich ein Mikro wie einen Phallus zwischen die Beine, oder eine Flasche Bier, die nur noch kurz geschüttelt werden muss, bevor sich aus ihr weißer Schaum entlädt. Sie singt, Slogans wie: »Fuck the pain away«, oder: »Come on boys: Shake your dicks«. Sie trägt ultrakurze pinke Hotpants und ein enges T-Shirt, die Musik kommt vom Band oder von einer programmierten Beatbox. Gelegentlich schnallt sie sich eine Gitarre um, dann springt sie in die Zuschauermenge vor der Bühne, lässt sich von ihr eine Weile tragen, kehrt zurück, beißt auf eine Blutkapsel, verzieht das Gesicht zu einer Grimasse, Blut fließt.

So oder so ähnlich geht es zu bei den Shows von Peaches, Berlins derzeit heißestem Popstar. Ihre Konzerte gestalten sich immer wieder etwas anders, mal tritt sie gemeinsam mit Stripperinnen auf, die eineinhalb Köpfe größer sind als sie selbst, mal mit einem angeschnallten Dildo, mal gemeinsam mit Freunden aus dem Berliner Underground. Hauptsache, es passiert was, Hauptsache, es ist Party, »wenn ich Live-Shows mache, dann geht auch was kaputt«, sagt sie.

Gerade ist eine neue Platte von ihr erschienen, ihre zweite, »Fatherfucker« heißt sie. Das mediale Interesse daran ist riesengroß. Doch während sich normalerweise die Musikberichterstattung vor allem um das neue Produkt eines Künstlers dreht, wird dieses im Falle Peaches zum bloßen Anhängsel degradiert, zum vernachlässigbaren Anlass genommen, sich einem Phänomen zu nähern. Über die Musik selbst will niemand reden, die scheint kaum zu interessieren. Obwohl die Frau sogar ein Duett mit Iggy Pop – auf dessen ausdrücklichen Wunsch – für ihre neue Platte aufnehmen durfte, obwohl ihre Symbiose aus stumpfen Rockriffs, ebenso stumpfen Elektronikbeats und HipHop-Anleihen einigermaßen aufregend klingt, nach Punkrock mit elektronischen Mitteln, ganz dem anhaltenden Electroclash-Hype entsprechend. Doch alle stürzen sich ausschließlich auf die Person Peaches und ihre Inszenierung, auf ihre Performance und ihren neuen Status als inzwischen weltberühmte Underground-Ikone des Popbetriebs. Es scheint nicht wichtig zu sein, was Peaches macht, sondern wie sie es macht.

Es ist schon irre, was mit der mittlerweile 36jährigen in relativ kurzer Zeit passiert ist. In ihrer Heimat Toronto hatte sie, die mit bürgerlichem Namen Merrill Nisker heißt und die sich nach einem Song von Nina Simone benannte, als Lehrerin gearbeitet. Die Musik lief nebenbei, von ihr zu leben, war absolut nicht drin. Sie versuchte es mit Folkmusik, in einer Avantgarde-Band als Yoko Ono für Arme und in einer Combo mit dem vielsagenden Namen The Shit. Sämtliche Reaktionen darauf waren: keine Reaktionen. Vor drei Jahren zog sie dann zusammen mit ihrem Freund – nicht Lebenspartner – Gonzales nach Berlin. Recht zufällig ist sie dort gelandet, sagt sie, eigentlich wollten beide – überall ist es besser, wo wir nicht sind – nach Paris, doch dort war es zu langweilig, und so landeten sie schließlich im Prenzlauer Berg, denn »Berlin kam uns in gewisser Hinsicht wie verzaubert vor. So eine coole Underground-Szene hatten wir noch nicht gesehen.«

Ihr erstes Album, »The Teaches Of Peaches«, erschien beim kleinen Independent-Label Kitty-Yo – und wurde zu einer dieser seltenen Popplatten, über die man länger als drei Monaten redete. Weil plötzlich die richtigen Leute darüber redeten. Die Liste von Peaches’ Bewunderern ist inzwischen atemberaubend lang. Als Fans haben sich medienwirksam unter anderem geoutet: Christina Aguilera, Arthur Baker, Marilyn Manson, Boy George und Madonna. Von welchem anderen Underground-Popstar kennt man sonst schon eine so beeindruckende Liste an Verehrern? Doch woher kommt überhaupt dieser Drang internationaler Superstars, sich zu einer Frau zu bekennen, zu deren Image es ganz entscheidend gehört, sich die Achselhaare nie, niemals, zu rasieren? Peaches, die Durchgeknallte aus dem Underground, scheint ein imaginäres Tauschgeschäft mit ihren Fans aus der obersten Show-Liga eingegangen zu sein: Diese hypen Peaches, helfen ihr so auf dem Weg nach oben, und dürfen sich im Gegenzug in deren authentischem Schmuddelimage spiegeln, dürfen sich erhoffen, dass etwas von deren roher Wildheit auf ihr eigenes, durchkalkuliertes und viel zu gesättigtes Prominenten-Dasein abfärben werde. Britney Spears’ Management ließ sogar anfragen, ob Peaches Britney nicht dabei helfen könne, ein paar Songs zu schreiben. Peaches sagte ab, wegen fehlender »Verbindung zwischen ihr und mir«. Einen Song mit Pink hat sie dagegen bereits aufgenommen.

Das Konzept von Peaches lautet Selbstermächtigung. Die einzige, die ihr sagen darf, wie sie etwas zu tun und zu lassen habe, ist sie selbst, lautet die Formel. Die Regeln sind so und so? Dann erfinde ich eben meine eigenen Regeln! Der dekonstruktive Feminismus stellte Stereotype und Geschlechteridentitäten in berghohen Theoriegebäuden in Frage, Peaches, die von sich selbst sagt, sie sei keine Feministin, tut dies mit viel einfacheren Mitteln. Sie macht immer genau das, was die Wortführer eines dominierenden, patriarchalen Diskurses von ihr nicht sehen und hören wollen – und provoziert prompt die richtigen Adressaten. Nicht nur in der HipHop-Szene etwa sagen Jugendliche andauernd »Motherfucker«, Peaches setzt dem schlicht ihr »Fatherfucker« entgegen. Für ihre Plattenfirma in den USA, so sagt sie, sei das ein großes Problem, da sich große amerikanische Handelsketten einem derartigen Plattentitel grundsätzlich verweigern würden. Oder die Sache mit den Haaren. Diese, so ein gerne transportiertes Schönheitsideal, haben bei Frauen, außer auf dem Kopf, nirgendwo etwas zu suchen. Peaches dagegen hat ein »Hairgrowing«-Video drehen lassen, in dem ihr auf dem ganzen Körper Haare wachsen, für ein Musikmagazin hat sie sich mit Bartstoppeln fotografieren lassen und auf dem Cover ihrer neuen Platte trägt sie gar Vollbart. Mit ihrem Video-Clip gab es prompt Probleme bei den Musiksendern und wegen den Bartstoppelfotos wurde ihr vorgeworfen, sie würde damit überhaupt nicht mehr aussehen wie eine Frau.

Dabei will sie gar nicht mal Schluss machen mit der Produktion von Geschlechterklischees, sondern, so sagt sie, lieber neue Klischees erfinden. Lustig an ihrer massiven Image-Produktion ist dabei, dass Peaches in der Lage ist, glaubwürdig zu vermitteln, dass sie in all ihren Inszenierungen ganz bei sich selbst ist. In Zeiten, in denen all die Casting-Shows die andauernde Formel: Sei Du selbst, zur denkbar unglaubwürdigsten Formel verkommen lassen haben, ist das eine wahre Kunst.

Die Porno-Performerin Annie Sprinkle, die von Peaches bewundert wird, meinte einmal, das Thema ihrer Performances sei stets »ich selbst.« Dieses »ich selbst« glaubhaft zu verkörpern, das ist Peaches’ große Kunst. Nur ein Rock’n’Roller beherrschte diese noch perfekter als sie: der gänzlich unfeministische Punkrocker GG Allin. Auch bei ihm zählte die Musik nichts und seine Shows alles. In diesen zog er sich am liebsten nackt aus, urinierte und kackte auf die Bühne und verteilte seine Exkremente im Publikum. Peaches fand GG Allin bestimmt super.

Peaches: »Fatherfucker« (XL/Connected)