Wladimir Putins neue Minister

Kreml-Astrologie, neue Folge

Russlands Präsident Wladimir Putin stellt sein neues Kabinett vor. Die politische Bedeutung diverser Versetzungen wie der des bisherigen Verteidigungsministers Sergej Schoigu in den Sicherheitsrat ist unklar.

Wladimir Putins fünfte Amtszeit als Präsident begann in Moskau mit Schnee und Kälte – ein Wetter wie vom Feind bestellt. Zwei Tage später, am 9. Mai, nahm er anlässlich des 79. Jahrestags des Sieges der Sowjetunion über Nazi-Deutschland die traditionelle Militärparade ab. Schneetreiben bildete auch hier eine frostige Kulisse. Dmitrij Kisseljow, der Chefpropagandist im russischen Fernsehen, sprach davon, dass die Parade eine »besondere Note der Mannhaftigkeit« besessen habe, die freilich nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass weitaus weniger Kriegsgerät über den Roten Platz rollte als gewöhnlich.

Viel davon für festliche Aufmärsche entbehren kann die Armee offenbar nicht, schließlich führt Russland in der Ukraine einen Krieg großen Ausmaßes. Dort erbeutete Kampf- und Schützenpanzer aus deutscher Produktion gibt es derweil vor dem Museum des Großen Vaterländischen Kriegs in Moskau zu bestaunen, was sich zahlreiche Hauptstädter und angereiste Gäste nicht entgehen ließen.

Von nun an leitet Russlands Verteidigungsministerium ein Wirtschaftsexperte. Andrej Beloussow fungiert als persönlicher Berater Putins in ökonomischen Fragen.

Als alter und neuer Präsident gehört es zu Putins Aufgaben, sein Kabinett zu formieren. Michail Mischustin, der unauffällige und unaufgeregte Technokrat, scheint seine Sache gut gemacht zu haben und bleibt weiterhin Ministerpräsident. Ihr Amt behalten auch einige andere altgediente Kader wie Außenminister Sergej Lawrow oder Finanzminister Anton Siluanow. An anderer Stelle hingegen fanden teils einschneidende Veränderungen statt, die Raum für Spekulationen lassen. Ihre Posten verlassen mussten Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Nikolaj Patruschew.

Während Schoigu den Platz von Patruschew als Sekretär des Sicherheitsrats einnahm, wurde für Patruschew bislang noch kein neues Amt gefunden oder geschaffen. Sein Sohn Dmitrij, bislang in der Regierung für die Landwirtschaft verantwortlich, steigt zu einem von mehreren stellvertretenden Ministerpräsidenten auf und Boris Kowaltschuk, Sohn von Jurij Kowaltschuk, wird Leiter des Rechnungshofs. Kowaltschuk der Ältere gilt als einer von Putins intimsten Vertrauten.

Intensität der Kriegsführung aufrechterhalten

Von nun an leitet das Verteidigungsministerium ein Wirtschaftsexperte. Andrej Beloussow kann selbst auf eine lange Karriere im Regierungsapparat zurückblicken und fungiert als persönlicher Berater Putins in ökonomischen Fragen. Er ist mit den Schwächen und Möglichkeiten der russischen Wirtschaft bestens vertraut. Seine Aufgabe wird es sein, dafür zu sorgen, alle denkbaren Ressourcen zu mobilisieren und Abläufe umzugestalten, um die jetzige Intensität der Kriegsführung längerfristig aufrechtzuerhalten.

Beloussow gilt persönlich als tief religiös und wirtschaftspolitisch als Anhänger des Keynesianismus, scheut also keine hohen Staatsausgaben. In den vergangenen Jahren soll er sich vermehrt mit der Frage befasst haben, wie Russland technologische Unabhängigkeit erreichen könnte. Für grundlegende Bauteile der gegenwärtigen Kriegführung, wie Antriebe für Kampfdrohnen, hat Russland bislang keine Produktionskapazitäten, so dass Beloussow nun die Verantwortung dafür trägt, hier Abhilfe zu schaffen. Die Lieferzeiten von Elektromotoren für sogenannte FPV-Drohnen aus China werden länger, hinzu kommt, dass chinesische Banken inzwischen oft Transaktionen aus Russland blockieren – aus Furcht vor drohenden US-Sanktionen. Putins nächste Auslandsreise soll noch im Mai nach China gehen.

Immer wieder kamen in der Vergangenheit Gerüchte auf, Verteidigungsminister Schoigu könne abgelöst werden. Fast zwölf Jahre hat er durchgehalten, seit Beginn der großangelegten Invasion in die Ukraine musste er allerdings herbe Kritik einstecken, weil Defizite der russischen Armee nicht mehr zu verbergen waren. Auch der Aufstand des damaligen Chefs der Söldnertruppe Wagner, Jewgenij Prigoschin, den Schoigu und Patruschew nicht zu verhindern wussten, ließ vermuten, dass die Absetzung des Verteidigungsministers nur eine Frage der Zeit sei. Doch noch Anfang Mai hatte Schoigu sich auf einem Treffen im Kreis hochrangiger Offiziere damit gebrüstet, innerhalb der vergangenen Monate 547 Quadratkilometer unter Russlands Kontrolle gebracht zu haben. Auch die laufende russische Offensive im Gebiet Charkiw, die den ukrainischen Truppen arg zusetzt, geht offenbar auf seine Initiative zurück.

Wegen erhöhter Rüstungsausgaben und der auch damit verbundenen Aufwertung der Streitkräfte blüht dort die Korruption. Beloussows Ernennung dürfte auch mit der Erwartung verbunden sein, als Ökonom und Außenstehender könne er in der Armee und der Rüstungsindustrie gegen Korruption vorgehen.

Innerhalb des Militärapparats rumort es seit Wochen. Ende April wurde Schoigus Stellvertreter Timur Iwanow verhaftet, weil er Bestechungsgelder in großem Umfang erhalten haben soll. Sein Lebenswandel als Dandy ließ darauf schließen, dass er seine Ausschweifungen und die seiner Frau kaum von seinem Gehalt hätte finanzieren können. Wegen erhöhter Rüstungsausgaben und der auch damit verbundenen Aufwertung der Streitkräfte blüht dort die Korruption. Beloussows Ernennung dürfte auch mit der Erwartung verbunden sein, als Ökonom und Außenstehender könne er in der Armee und der Rüstungsindustrie gegen Korruption vorgehen.

Führungskader mit allen Ehren ins Abseits

An der Frage, wie Schoigus Versetzung in den Sicherheitsrat zu deuten ist, scheiden sich die Geister. Manche sehen in Schoigus Wechsel zum Sicherheitsrat eine Art Strafversetzung, da der Sicherheitsrat hauptsächlich als Beratungsorgan fungiert. Und Schoigu kann so viel Nähe zum Präsidenten wie sein Vorgänger Nikolaj Patruschew nicht vorweisen, allerdings warten auf ihn noch Aufgaben im bei der Regierung angesiedelten Ausschuss für Rüstungsfragen, so dass sich der ehemalige Minister über Mangel an Arbeit nicht beklagen kann.

Es scheint aber, dass Schoigu auf den gleichen Pfaden wandelt wie vor ihm Dmitrij Medwedjew, ehemals Präsident von Putins Gnaden, als dieser sich aus verfassungsrechtlichen Gründen für eine Wahlperiode mit dem Amt des Ministerpräsidenten zufriedengeben musste. Medwedjew wechselte später ebenfalls in den Sicherheitsrat und ist in jenem Ausschuss vertreten. So drängt sich die Vermutung auf, dass auf diese Weise vormalige Führungskader öffentlich mit allen Ehren ins Abseits manövriert werden.

Ob sich unter den neuen Begünstigten Putins ein potentieller Nachfolger für den Präsidenten befindet, ist kaum zu beantworten, denn Putin setzt alles daran, in dieser Hinsicht keinerlei Si­gnale auszusenden. Der Präsident muss sich mit dieser Frage allerdings früher oder später zwangsläufig befassen, auch wenn er zunächst weitere sechs Jahre vor sich hat und dann womöglich noch eine weitere Amtszeit bis zum Jahr 2036 absolvieren kann. Nur ist nicht gesagt, dass seine vertraute Entourage aus in die Jahre gekommenen Jugendfreunden so lange durchhält. Ohne deren Unterstützung ist eine geordnete Machtübergabe für Putin ein noch riskanteres Unterfangen als ohnehin.