Die deutsche Solidarität mit der Nelkenrevolution war intensiv, aber kurz

Zwei kurze Sommer der Solidarität

In der westdeutschen radikalen Linken entstand nach der Nelken­revolution im April 1974 eine Solidaritätsbewegung mit dem Aufbruch in Portugal. Der endete im November 1975 abrupt.

»Eine systemverändernde Umwälzung in einem Nato-Staat – zudem durch Militärs –, das lag außerhalb unserer kühnsten Träume«, erinnert sich Paul Stern, 1974 Mitglied im damals maoistischen, später eher undogmatischen Kommunistischen Bund (KB) in Nordrhein-Westfalen im Gespräch mit der Jungle World.

»Der Putsch kam ja buchstäblich über Nacht. Ich kenne so gut wie niemanden, der das in Westdeutschland auch nur geahnt hätte«, sagt Martin Dieckmann, später Mitglied der trotzkistischen Gruppe Internationaler Marxisten (GIM) in Bonn, der Jungle World. »Ich war gerade 18 Jahre alt, Schüler am Gymnasium, und als die ersten Meldungen aus Portugal kamen, fragten wir uns: Wieso Putsch des Militärs? Da regieren doch schon die Faschisten!«

Das eigene Programm wurde auf den Umbruch in Portugal projiziert.

In der sich selbst als revolutionär verstehenden Szene wurden die Kriegsmüdigkeit und die Sehnsucht nach einem Ende der Diktatur in Portugal teilweise mit einem bolschewistischen oder anarchistischen Aufbruch verwechselt. Das eigene Programm wurde auf den Umbruch in Portugal projiziert. »Es kam hier zu wenig rüber, was es für die Menschen in Portugal bedeutete, über Nacht Freiheit zu erleben«, so Dieckmann. »Dass politische Freiheit ein Eigenwert ist, ganz unabhängig von Kapitalismus oder Sozialismus, hat die Linke links von der SPD nie ernst genommen.«

Die Rolle der SPD im Portugal nach der Nelkenrevolution wiederum kritisierte die radikale Linke sehr. Mit viel Geld nahm die deutsche Sozialdemokratie über die parteinahe Friedrich-Ebert-Stiftung Einfluss auf die portugiesische Sozialistische Partei (PS) und trug maßgeblich dazu bei, deren linken Flügel aus der Führung zu verdrängen. In der Portugal-Solidarität war die Kritik am deutschen Kapital sehr stark. »Kredite und Zollerleichterungen soll es für Portugal nur geben, wenn dort nicht die Arbeiter und Bauern die Macht übernehmen und wenn Großgrundbesitzer und Monopolkapitalisten volle Bewegungsfreiheit behalten«, kritisierte am 24. Juli 1975 Wolfgang Meier als »W.M.« in der Kommunistischen Volkszeitung des maoistischen Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW).

Nachschub für die Kolonialkriege

Zu Zeiten der Diktatur investierten deutsche Firmen hingegen gerne in Portugal: »Westdeutschlands Kapitalisten halten in Portugal die größten ausländischen Kapitalanlagen«, schrieb Meier. Er stellte auch eine lange Liste der deutschen Waffenlieferungen an die portugiesische Armee in den letzten 15 Jahren der Diktatur zusammen, die Flugzeuge, Schiffe, Hubschrauber und Panzer umfasste – Nachschub für die Kolonialkriege.

Am 13. Oktober 1969 hatten Aktive aus dem Hamburger SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) einen Bombenanschlag auf der Werft Blohm und Voss verübt. Um 6.15 Uhr war ein Anruf beim dortigen Werkschutz eingegangen: »Lassen Sie sofort die Korvette ›João Coutinho‹ räumen – wir sprengen das Schiff in die Luft.« Die in dem Schiffsdock angebrachte Bombe beschädigte die Korvette nur leicht – eine daneben liegende Schute wurde aber zerstört. Die Bombenleger wurden nicht erwischt, obwohl der Staatsschutz das Sozialistische Arbeiter- und Lehrlingszentrum (SALZ), eine Vorläufergruppe des KB, lange observierte. Blohm und Voss lieferte der portugiesischen Marine damals sechs Korvetten.

»Welches überaus starke Interesse die westdeutsche Linke an der portugiesischen Revolution hat, zeigt sich nicht nur an der großen Zahl westdeutscher Linker, die diesen Sommer nach Portugal gefahren sind, um sich aus erster Hand zu informieren«, beginnt ein Artikel in der ersten Nummer der Portugal-Nachrichten im September 1975. »Aktive Solidarität ist bereits heute notwendig – vor allem angesichts der Erpressungsversuche durch den Imperialismus, besonders durch den BRD-Imperialismus.« Das hektographierte Heft, mit Schreibmaschine und Letraset einfach hergestellt, schwankt in seiner Sprache zwischen verhaltener Euphorie und dem dringlichen Tonfall, welcher für die Veröffentlichungen der radikalen Linken der BRD in den siebziger Jahren typisch war.

»Jede linksradikale Gruppe hatte Bezugspunkte in Portugal«

»Auf der einen Seite gab es die linken und linksradikalen Organisationen, die – wie immer – erst einmal ihre eigenen Clubs und Vereine in Portugal suchten«, erzählt Dieckmann. »Von Anfang zeigte sich aber bei in Portugal fast ein Menschenleben lang nicht ­gekannten freien Wahlen, dass die PS zusammen mit ihren Bündnispartnern, des kommunistischen PCP und einer weiteren sozialdemokratischen Formation, breite Unterstützung in der Bevölkerung hatte. Da waren die Streitereien hier in der BRD sehr, sehr kleines Karo.«

Einige westdeutsche Kleinparteien maoistischen Gepräges rückten die Bekämpfung des als »sozialimperialistisch« abgelehnten PCP in den Vordergrund. Auch anarchistische oder undogmatisch linke Gruppierungen suchten und fanden – ebenso wie die K-Gruppen – portugiesische Entsprechungen mit ähnlichen Vorstellungen: »So hatte zum Beispiel der KB eine enge Verbindung zum MES, der Bewegung der sozialistischen Linken«, er­innert sich Stern. »Nahezu jede linksradikale Gruppe, auch autonome, hatte Bezugspunkte in Portugal, wo es eine Vielzahl aktiver Organisationen links des stalinistischen PCP gab.«

Es gab nach der Nelkenrevolution zunächst viele Fabrik- und Landbesetzungen, getragen von Leuten mit so­zialrevolutionären Zielen.

»Auf der anderen Seite«, führt Dieckmann aus, »gab es aber eine sehr breite und ganz anders geartete Solidaritätsbewegung, und zwar mit den Landbesetzungen und der Entstehung der Kooperativen.« Unterstützungsgruppen und Solidaritätsbrigaden entstanden. Eine süddeutsche Gruppe der links­sozialistischen Organisation Sozialistisches Büro (SB) unterstützte beispielsweise eine kollektive Produktionseinheit an der Algarve und reiste zum ­Arbeitseinsatz dorthin.

Es gab nach der Nelkenrevolution zunächst viele Fabrik- und Landbesetzungen, getragen von Leuten mit so­zialrevolutionären Zielen. Sie konnten unter dem Schutz der revolutionären Armeeeinheiten agieren. Aber nach dem rechten Putsch vom 25. November 1975 wurde die Lage schwieriger. Die linken Armeeeinheiten wurden entwaffnet und aufgelöst, einige ihrer Mitglieder inhaftiert.

Am 1. Januar 1976 wurde vor dem Militärgefängnis von Porto bei einer großen Demonstration die Freilassung von 100 dort einsitzenden revolutionären Soldaten und Offizieren gefordert. Eine Einheit der paramilitärischen Polizei, die aus der Diktatur überkommen war und nach der Nelkenrevolution fortbestand, schoss in die Menge. Vier Menschen starben, dar­unter der 22jährige Günther Bruns aus Hamburg: »Hamburger Genosse in Portugal von der Polizei erschossen«, titelte der Rebell, die Jugendzeitung des KB, im Januar 1976. »Günther Bruns hatte seit Oktober auf einer landwirtschaftlichen Kooperative gearbeitet und an den portugiesischen Klassenkämpfen starken Anteil genommen.«