Macau war ein Sonderfall der portugiesischen Entkolonisierung nach der Revolution

Die letzte Kolonie in Asien

Während Portugal in seinen Kolonien blutige Kämpfe gegen die nationalistischen Unabhängigkeitsbewegungen führen musste, wusste man in Macau mit dem Machtvakuum, das die Nelkenrevolution hinterließ, zunächst wenig anzufangen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wollte das chinesische Kaiserreich die portugiesische Herrschaft auf der Halbinsel beenden, die Volksrepublik China schließlich übernahm Macau nur zögerlich.
Von

Die Nachricht von einer Revolution im portugiesischen Mutterland erreichte die über 10.000 Kilometer entfernte kleine Kolonie Macau im Süden Chinas zeitversetzt und völlig überraschend. Die Kolonialverwaltung brauchte vier Tage, bis zum 29. April 1974, um die neue Situation offiziell anzuerkennen.

In jenen Tagen war António Dias Azedo ein pubertierender Junge. Am 25. April 1974 verfolgte er im Fernsehen in Macau noch die Bilder von einer Feier in Braga zu Ehren der Diktatur des »Estado Novo« wie sich die von António de Oliveira Salazar begründete Diktatur in Portugal bezeichnete. Die Nachricht von der Revolution, so erzählt er dem portugiesischen Nachrichtenportal Sapo, überbrachte der Vater, ein Polizeibeamter, beim Abendessen. »Erst war von einem Militärputsch die Rede, dann von einer Revolution. Glücklicherweise mit wenigen Todes­opfern.« Und dann erreichte auch der Begriff »Nelkenrevolution« seine jungen Ohren.

Dias Azedo war damals in seiner »Rock ’n’ Roll-Phase«, trug Lederklamotten und »sehr lange Haare«. »Das Ende der Diktatur bedeutete ein Ende der Zensur der Zeitungen in portugiesischer Sprache, die Röcke der jungen Frauen wurden kürzer und die Partys dauerten bis lange nach Mitternacht«, erinnert er sich.

Nach der Nelkenrevolution und der Unabhängigkeit von Angola, Mosambik, Kap Verde, Guinea-Bissau sowie São Tomé und Príncipe wollte Portugal ebenso Macau an China zurückgeben.

Seit Ende des 16. Jahrhunderts diente Macau das sich über die gleichnamige Halbinsel und die vorgelagerten Inseln Taipa und Coloane erstreckt, als wichtiger und vor allem profitabler Handelsposten zwischen Europa, Indien und Japan sowie den Molukken – »Gewürz­inseln« genannt – und befand sich unter portugiesischer Kontrolle. Das Kaiserreich China erkannte allerdings erst 1887 die Hoheit Portugals über das Territorium offiziell an.

Erst der Aufstand von »12-3«, bei dem sich 1966 weite Teile der chinesischen Bevölkerung Macaus unter kommunistischer Führung und inspiriert von der chinesischen Kulturrevolution gegen die portugiesische Kolonialmacht auflehnte, änderte das. In der Folge bestand zwar die salazaristische Verwaltung im Inneren weiter, aber Portugal gab die »permanente Besatzung« Macaus auf; de facto unterstand Macau damit der militärischen Kontrolle Chinas. Darauf folgte die sukzessive Auswanderung der europäischstämmigen Bürger:innen.

Nach der Nelkenrevolution und der Unabhängigkeit von Angola, Mosambik, Kap Verde, Guinea-Bissau sowie São Tomé und Príncipe wollte Portugal ebenso Macau – nunmehr auch de jure – an China zurückgeben. Was die chinesische Regierung mehrmals ablehnte, auch noch nachdem Portugal die Bedingung der Volksrepublik akzeptiert hatte, sie – zu Ungunsten der Republik China auf Taiwan – als ein­zige Vertretung Chinas zu akzeptieren. Schließlich einigte man sich nach 433 Jahren portugiesischer Präsenz in Macau, auf die »harmonische« Über­gabe am 20. Dezember 1999. Zwei Jahre nach dem bis 1997 britischen Hoheitsgebiet Hongkong gab Europa damit seine letzte Stadtkolonie in Asien auf.

Glücksspielindustrie, ein ausuferndes Nachtleben, illegale Prostitution bereiteten neben dem Seehandel und -schmuggel der organisierten Kriminalität in Macau einen überaus fruchtbaren Boden. Schon unter portugiesischer Herrschaft beherrschten die ­Triaden, die chinesischen Mafiagruppen, die Stadt. Portugiesische und später chinesische Behörden sahen dem Mordtreiben und Bandenkriegen weitgehend tatenlos zu. Bis heute hat sich daran wenig geändert, nur dass die chinesische Zentralregierung ab und an Exempel statuierte – wie eine Massen­erschießung direkt im Herbst 1999 –, um sich danach wieder mit führenden Köpfen der Triaden zu arrangieren.

Heute ist Macau mit knapp 700.000 Einwohnern auf etwa 115 Quadratkilometern eine der am dichtesten besiedelten Städte Welt. Als Sonderwirtschaftszone Chinas genießt sie eine politische Teilautonomie. Die Zahl der hier lebenden Portugies:innen ist auf ungefähr 2.200 geschrumpft. Hinzu kommen circa 13.000 Nachkommen ethnisch gemischter Partnerschaften. Portugiesisch ist eine der offiziellen Verkehrssprachen, die überschaubare Community hat eigene Schulen, Me­dien wie die den Fernsehsender TDM Macau und Kirchen. Sie pflegt Tradi­tionen aus der Heimat weiter – so wird sie auch dem 50. Jahrestag der Nelken­revolution gemeinsam gedenken.

Im »Las Vegas Chinas«, wie man Macau auch nennt, dominiert weiterhin das Glücksspiel.

Unter chinesischer Ägide wurden die Bauwirtschaft und der Binnentourismus stark gefördert. Im »Las Vegas Chinas«, wie man Macau auch nennt, dominiert weiterhin das Glücksspiel. So verzeichnete die Stadt ein schier unglaubliches BIP-Wachstum von über 71 Prozent im ersten Halbjahr 2023 im Jahresvergleich, was auf das Ende der durch Covid-19 bedingten Reisebeschränkungen zurückzuführen ist. Mittlerweile verbinden Brücken Macau direkt mit Hongkong, mehr als 20.000 Fahrzeuge passieren diese täglich. Und damit auch der Tourismus aus dem einstigen Kolonialland in die Stadt wieder wächst, ist eine Direktflugroute nach Lissabon geplant.

Anders als im benachbarten Hongkong war die Demokratiebewegung in Macau schwächer und bei weitem nicht so lautstark in ihren Forderungen; dass chinesische Regime wird von der Mehrheit der Bevölkerung hingenommen, solange der Sonderwirtschaftsstatus weiter besteht. Proteste sind dennoch verboten, 21 Kandidaten prodemokratischer Parteien wurden von der Parlamentswahlen von 2021 ausgeschlossen. Der wirtschaftliche Sonderstatus Macaus, der offiziell auch politische Freiheiten beinhaltet, wird 2049 auslaufen.