Ein Dokumentarfilm erzählt von der Entstehung des Albums »The Teaches of Peaches«

Was Merrill Nisker lehrte

Der Dokumentarfilm »Teaches of Peaches« begleitet die Musikerin Merrill Nisker, besser bekannt als Peaches, auf ihrer Jubiläumstour für ihr gleichnamiges Album. Dabei wird auch die Entstehung der Platte Ende der Neunziger thematisiert – ein Lehrstück in Sachen unabhängiger ­Musikproduktion.

»›Teaches of peaches‹ changed my life«, erzählt Merrill Nisker, und man glaubt es ihr sofort, wenn man das Album kennt, von dem sie redet. Denn die ­kanadische, aus einer polnisch-jüdischen Familie stammende Nisker, besser bekannt als Peaches (den Namen lieh sie sich aus dem Song »Four Women« von Nina Simone), hat mit ihrem Album »The Teaches of Peaches« die Leben ihrer Hörerinnen und Hörer zweifellos geprägt – wieso sollte das dann nicht auch für sie selbst gelten? Doch natürlich hat es ihr Leben auch ganz buchstäblich verändert: 50.000 Exemplare wurden verkauft, vier weitere Alben folgten, Peaches ist schon lange ein Star – und das feierte sie groß. Der Platte widmete Peaches nämlich kürzlich eine ganze Tour.

Es ist durch und durch zu loben, dass die Dokumentation Peaches als Musikerin ernst nimmt. »Ich wusste nicht, dass man Musikerin sein kann, ohne Musik studiert zu haben«, erzählt sie.

Über diese Jubiläumstour sowie die Entstehung des Albums berichtet nun der Dokumentarfilm »Teaches of Peaches« der Regisseure Philipp Fussenegger und Judy Landkammer. Etwa die Hälfte des gezeigten Mate­rials stammt aus dem Archiv, die andere Hälfte ist vor allem vor und hinter der Bühne der »The Teaches of Peaches Anniversary Tour« auf­genommen worden, die 2022 stattfand. Alte und neue Live-Aufnahmen werden konsequent gegeneinander geschnitten, was einen hübschen Zeitsprungeffekt zur Folge hat.

Strenggenommen war das Jubi­läum allerdings keines – zumindest kein rundes. Zwar erschien »The Teaches of Peaches« 2002 mit einigen neuen Tracks in Großbritannien auf XL Recordings, in Deutschland und den USA allerdings erschien es bereits 2000, verlegt vom Berliner Indie-Label Kitty-Yo.

Zeitreise zu den Anfängen der nuller Jahre

Die Dokumentation hält sich zum Glück die meiste Zeit nicht damit auf, ein Imago der Musikerin zu schmieden, sondern zeigt sie stattdessen, fast schon banal, bei der Arbeit, und zwar erst bei den Proben für die Tour und schließlich beim Konzert selbst. Peaches probiert Kostüme an, bringt ihren Mitmusikerinnen das Posen bei, spielt auf ihrem Roland-Synthesizer. Zeitweise stehen ihre Kolleginnen und Kollegen im Vordergrund und dabei wird niemand ­vergessen, egal ob es ein Tänzer, ein Soundmensch oder der Lichtge­stalter ist.

Der Film ist auch eine Zeitreise zu den Anfängen der nuller Jahre, dieser wunderschönen Zeit, in der die Neunziger noch allseits präsent waren, der Übergang von Indie zu Main­stream manchmal ganz schnell gehen konnte, sich bestimmt subversive Spielchen mit Pop noch spielen ließen und die verdammte Miete noch niedrig genug war, um wilde Sachen auszuprobieren, die sich nicht sofort rentieren mussten. Berlin war der perfekte Ort dafür, und so reiste auch Peaches Ende der Neunziger in die Stadt (und zog später hin), um ihren guten Freund, den Musiker Chilly Gonzales, zu besuchen. Der kriegt sich, wenn er auf die Stadt und die Zeit angesprochen wird, gar nicht mehr ein: »All unsere Boheme-Träume wurden über Nacht wahr, es war wie ein Underground-Märchen.« Peaches bekam prompt einen Plattenvertrag angeboten und ging nach Kanada zurück, um das aufzunehmen, was später »The Teaches of Peaches« heißen sollte.

Interview in der Badewanne. Peaches Anfang der Zweitausender im Musikfernsehen

Interview in der Badewanne. Peaches Anfang der Zweitausender im Musikfernsehen

Bild:
Bell Media Inc.

Es ist durch und durch zu loben, dass die Dokumentation Peaches als Musikerin ernst nimmt. »Ich wusste nicht, dass man Musikerin sein kann, ohne Musik studiert zu haben«, erzählt sie über ihre ersten Gehversuche. Ihre erste Band hieß Mermaid Cafe und spielte Folk, eine andere Band von ihr (zusammen mit Gonzales) nannte sich schlicht The Shit, und zum Glück vergisst die Doku auch nicht, das einzige Album zu erwähnen, dass unter Peaches bür­gerlichem Namen erschien: »Fancy­pants Hoodlum« kam 1995 heraus und ist ein phantastisches, gitarrenlastiges und leider ziemlich vergessenes Riot-Grrrl-Album.

Keyboard für die autonome Do-it-yourself-Herangehensweise

Bei den Proben von The Shit musste sie dann plötzlich Keyboard spielen, ein Instrument, das sie damals für »dumm« hielt, »nicht Rock ’n’ Roll genug«, wie sie sich in der Doku erinnert. Doch für ihre völlig autonome Do-it-yourself-Herangehensweise war es genau das Richtige. »The Teaches of Peaches« ist buchstäblich eine Schlafzimmerproduktion, auf­genommen vor allem mit einem Roland-MC-505-Synthesizer in ihrer von Kakerlaken und Mäusen heimgesuchten WG in Toronto, in der sie zusammen mit der Musikerin Feist wohnte. Viele Aufnahmen in der Dokumentation, vor allem Archivmaterial aus dem Musikfernsehen, das kleine Features über sie drehte, zeigen Peaches, wie sie spielend leicht auf dem Gerät herumdrückt, wobei man plötzlich einen ihrer Songs wiedererkennt.

Die elf Songs sind alle im selben Tempo eingespielt und haben alle dieselbe Bassfrequenz – Nisker erzählt, sie habe schlicht nicht gewusst, wie sie beides auf dem Synthesizer ändern konnte.

Die Entstehung des Albums ist ein Lehrstück darüber, wie man völlig unabhängig Musik produziert. Die elf Songs sind alle im selben Tempo eingespielt und haben alle dieselbe Bassfrequenz – Nisker erzählt, sie habe schlicht nicht gewusst, wie sie beides auf dem Synthesizer ändern konnte. Noch aufregender wird es beim berühmtesten Lied, »Fuck the Pain Away« – die einzige existierende Version ist ein sogenannter board mix einer Aufnahme vom ersten Mal, als Peaches den Song live spielte. Die Kassette mit der Aufnahme kaufte sie der Soundmixerin für gerade einmal fünf Dollar ab, regelte die Rufe des Publikums ein wenig heraus (zum Glück hört man auf dem Album trotzdem noch an einigen Stellen ein unterdrücktes Johlen) und entschied sich, es nicht noch einmal aufzunehmen. Mehr DIY geht gar nicht. »Ich dachte, es schafft es eh nicht aus meinem Schlafzimmer heraus«, sagt Peaches schmunzelnd an einer Stelle.

Die Radikalität dieses Albums lässt sich also bereits an seiner Form und an seinen Aufnahmebedingungen ablesen, setzt sich dann aber nahtlos in den Lyrics fort: Peaches singt, nein, eher schon rappt sie über Sex, denn Singen, dafür würde sie als Frau bewertet werden, wie sie erklärt: »Ich will, dass es sachlich bleibt.« Und so sachlich berichtet sie dann in den Liedern zum Beispiel über ihren Vibrator (»AAA XX«), gibt damit an, dass jedermann (und jede Frau) mit ihr ins Bett will (»Set It Off«) oder imaginiert sich selbst als »Ficker« (»Sucker«).

Peaches teacht

Peaches teacht

Bild:
Avanti-Media-Fiction

Diese Songtexte kann man nun auf unterschiedlichste Art verstehen: als späten Kommentar auf die sex wars der Feministinnen der Achtziger (wobei Peaches die Position zukommt, die man gemeinhin als »sexpositiv« bezeichnet), oder man folgt ihrer eigenen Aussage, dass sie und andere Frauen rabiat über Sex sprechen, »nicht weil die Typen es wollen, sondern weil wir es wollen, auf unsere Art«. Es ist Peaches’ Beitrag zum Geschlechterkampf, die Lust von Frauen auf Sex in gekonnt cooler Art und Weise zu behaupten und gar pseudonaiv und kokett so zu tun, als sei die Reaktion der Männer darauf überraschend. In einer der schönsten Sequenzen in der Doku sieht man Peaches in der Bade­wanne liegen, während sie ein Interview gibt: »Ich wollte nicht schockieren, aber scheinbar habe ich das getan.«

Die Figur Peaches ist aber noch etwas anderes, nämlich das »monströs Feminine«, wie es Barbara Creed einmal in einem gleichnamigen filmwissenschaftlichen Buch nannte. In frühen Filmaufnahmen von Konzerten sieht man ihr beim Singen den Speichel aus dem Mund tropfen, als Outfit trägt sie einen Umschnall­dildo, den sie ohne Erfolg zu lecken versucht. Schambehaarung, sei es echte, sei es künstliche, quillt aus ihrem knappen Höschen. Peaches’ Methode ist es, männliches Gebaren (vor allem das von Rappern) parodistisch auf die Spitze zu treiben, um am Ende herauszustellen, was bei Männern an sozialem Verhalten geduldet wird, während man es bei Frauen für abstoßend hält. Sie will gleiches Recht für alle. »Ich bin nicht viel vulgärer als jeder andere«, hört man sie in einem Archivschnipsel sagen.

Peaches stilisiert sich selbst zur Avantgarde

Diese Sicht ist in jedem Fall radikaler und amüsanter als das, was Peaches gegen Ende der sehr gelungenen Dokumentation erzählt. Denn statt Konfrontation und Provokation stark zu machen, versteht sie heute das, was sie gemacht hat, nur noch im Vokabular der Gegenwart: »Der Mainstream war nicht inklusiv. Er beinhaltete keine queere Kultur, kein weibliches Empowerment. Zu dieser Zeit gab es nichts, was nicht weiß, cis und männlich war.«

An die Stelle von Provokation, Übertreibung und Überfor­derung sind bei Peaches das Moralische, das Belehrende und damit das Zahnlose getreten.

Es ist peinlich, dass sich Nisker zu dieser Aussage hinreißen lässt, denn ganz im Gegenteil wimmelte es gerade in den Neunzigern in der Popkultur, ob high oder low, ob Mainstream oder Indie, nur so von denen, die sie unterschlägt. Zu nennen wären ­beispielsweise Missy Elliott, die Bands Placebo oder Pet Shop Boys, PJ Harvey, die gesamte Riot-Grrrl-Szene und daran anschließend Le Tigre (denen Peaches soundtechnisch viel zu ­verdanken hat) oder Lil’ Kim (der Peaches textlich viel zu verdanken hat; bereits 1996 rappte Kim auf ihrem mit Doppelplatin ausgezeichneten Album »Hard Core« von einem Mann, der sie nicht lecken will und dem sie antwortet: »I don’t want dick tonight/Eat my pussy right«). Und über dem allem schwebte selbst­verständlich noch Madonna.

Dass sich Peaches nicht als Teil dieser Bewegung von Musikerinnen und Musikern sieht, sondern sich selbst zur Avantgarde stilisiert, schwächt die Dokumentation enorm, die doch zeigt, wie effektiv und lustvoll Provokation, Übertreibung und Überfor­derung sein kann. An dessen Stelle, so muss man befürchten, ist auch bei Peaches das Moralische, das Belehrende und damit das Zahnlose getreten. Und unter solch einer Ägide hätte ein Song wie »Fuck the Pain Away« es heute wohl schwerer, als er es vor einem Vierteljahrhundert hatte.

Teaches of Peaches (D 2024). Regie: Philipp Fussenegger und Judy Landkammer. Mit Peaches, Black Cracker, Leslie Feist, Chilly Gonzales, Shirley Manson, Charlie Le Mindu.