Präsident Macron drückt sich um ein offenes Eingeständnis von Frankreichs Mitschuld herum

Morden mit französischem Einverständnis

Die französische Regierung war direkt in den Genozid in Ruanda verstrickt. Das einzugestehen, vermied Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Gedenktag des Völkermords.

Paris. »Frankreich, das den Völkermord hätte aufhalten können – zusammen mit seinen westlichen und afrikanischen Verbündeten –, hatte nicht den Willen dazu.« So hieß es in einer Pressemitteilung des Élysée-Palasts, des französischen Präsidialamts, vom 4. April. Am 7. April aber, an dem sich der Auftakt des Genozids in Ruanda zum 30. Mal jährte, sagte Staatspräsident Emmanuel Macron nichts dergleichen.

In Ruanda fielen von April bis Juli 1994 insgesamt 800.000 bis eine Million Angehörige der Bevölkerungsgruppe der Tutsi einem Genozid zum Opfer; hinzu kamen Oppositionelle oder der »Komplizenschaft« mit Tutsi beschuldigte Angehörige der Hutu-Mehrheitsbevölkerung. Es handelt sich um den historisch am kürzesten zurückliegenden, international unter anderem von den Vereinten Nationen anerkannten Völkermord. Frankreich spielte in Ruanda eine besondere Rolle, da es unter der Präsidentschaft François Mitterrands (1981 bis 1995) aus Gründen postkolonialer Einflussnahme eng mit der Regierung des ruandischen Präsidenten Juvénal Habyarimana, einem Hutu, verbündet war. Dieser war von 1973 bis zu seiner Ermordung 1994 an der Macht.

Die den Genozid organisierende »Übergangsregierung« wurde am 9. und 10. April 1994 in den Räumen der französischen Botschaft in Kigali konstituiert.

Am 6. April 1994 kam Habyarimana beim Absturz seines von einer Rakete getroffenen Präsidentenflugzeugs zu Tode. Wer das Attentat verübte, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Höchstwahrscheinlich ist jedoch, dass die im Rahmen des Habyarimana-­Regimes herausgebildete ethno-extremistische Bewegung »Hutu Power« ihn loswerden wollte, da er sich verhandlungsbereit gezeigt hatte. In Ruanda waren damals Tutsi-Milizen auf dem Vormarsch, die sich im ugandischen Exil gebildet hatten. Der Tod Habyarimanas war für die zum Genozid entschlossenen Hutu-Extremisten das Signal zum Losschlagen, nach bereitliegenden Todeslisten wurden ab dem folgenden Morgen Oppositionelle und Tutsi aufgesucht und sofort ermordet. Der Völkermord begann.

Frankreichs Rolle dabei ist eindeutig. Die den Genozid organisierende »Über­gangsregierung«, das gouvernement intérimaire rwandais (GIR), wurde am 9. und 10. April in den Räumen der französischen Botschaft in Kigali kon­stituiert. Noch Mitte Mai 1994, während Ruanda wegen des ungemindert weiterlaufenden Massenmords unter internationalem Embargo stand, wurden ruandische Unterhändler für ­Gespräche über Waffenlieferungen in Paris empfangen.

Alljährlich wird in Ruanda am 7. April des Beginns des drei Monate dauernden Massenmassakers gedacht. Zum 30. Jahrestag veröffentlichte Macron zwar tatsächlich eine Videobotschaft zum Thema, anwesend in Kigali war er aber nicht; dort war beispielsweise der während des Völkermords amtierende frühere US-Präsident William Clinton als Gast auf der Ehrentribüne präsent.

Bilaterale und internatio­nale Verstimmungen

Dass Macron in Kigali zum 30. Jahrestag des Genozids zugegen sein würde, hatten zuvor allerdings französische Diplomaten erwartet. Einer von ihnen, der ungenannt bleiben wollte, drückte in der Ausgabe der Pariser Abend­zeitung Le Monde vom vorvergangenen Samstag sein Bedauern darüber aus. Die Zeitung mutmaßte, dass Macron dann doch nicht erschien, hänge auch mit den bilateralen sowie internatio­nalen Verstimmungen über das erneute Aufflammen von Kämpfen im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DRK) zwischen Regierungstruppen und der von ostkongolesischen Tutsi gebildeten Rebellenbewegung M23 zusammen – diese wird von Ruanda militärisch und politisch stark unterstützt.

Ruandas Präsident Paul Kagame hatte seine Unterstützung von M23 in einem längeren Interview mit Jeune Afrique vom 25. März quasi eingeräumt, in Richtung Frankreich jedoch hinzugefügt: »Ein Land, das M23 verurteilen, jedoch über die FDLR schweigen würde, wäre unglaubwürdig.« Bei den laut Eigenbezeichnung Demokratischen Kräften für die Befreiung Ruandas (FDLR) handelt es sich um direkte Nachfolger der am Genozid in Ruanda beteiligten Hutu-Milizen. Deren damalige Mitglieder hatten sich nach der Eroberung der Hauptstadt Kigali durch die seinerzeit bewaffnete Tutsi-Bewegung und jetzige Regierungspartei Ruandische Patriotische Front (RPF) im Juli 1994 in den Osten des damaligen Zaire, der jetzigen DRK, abgesetzt.

Eine offizielle französische Erklärung vom 20. Februar verurteilt »die Präsenz der ruandischen Streitkräfte auf kongolesischem Territorium«, wie es zuvor auch die US-Regierung getan hatte, fordert jedoch auch die Armee der kongolesischen Zentralregierung in Kinshasa dazu auf, »jegliche Zusammenarbeit mit den FDLR einzustellen«.

Nach ersten Bemühungen des relativ stark an den USA orientierten kon­servativen Präsidenten Nicolas Sarkozy (2007 bis 2012) um bessere Beziehungen zur Regierung in Kigali war es vor allem Macron, der eine Wiederan­näherung an Ruanda einleitete.

Schwerer noch als seine persönliche Abwesenheit in Kigali wiegt, dass Ma­cron die sehr deutlichen Sätze der eingangs erwähnten Pressemitteilung, denen zufolge die damalige französische Staatsführung den Genozid in Ruanda 1994 nicht beenden wollte, letztlich nicht aussprach. Er verwies in seiner Videoansprache darauf, Frankreich bekenne sich zu seiner Verantwortung »in den Worten, die ich benutzte«, als er sich im Mai 2021 in Kigali aufhielt, »zu denen ich nichts hinzufügen und von denen ich nichts wegzunehmen habe«. Er sprach damals an Ort und Stelle von »Verantwortlichkeiten« Frankreichs und davon, dass »wir alle Hunderttausende von Opfern in grauenhafter Abgeschiedenheit ihrem Schicksal überließen«. Zuvor hatte ein im April 2021 publizierter französischer Kommissionsbericht von »Verblendung« der seinerzeitigen politisch Verantwortlichen gesprochen.

Frankreich stand den Tutsi noch Jahre nach dem Genozid ablehnend gegenüber. 2006/2007 hatte der den damals regierenden Konservativen nahestehende Untersuchungsrichter Jean-Louis Bruguière sogar gegen die aus Tutsi bestehende RPF-Führung ­unter Paul Kagame wegen angeblichen Provozierens des Genozids ermittelt. Dies war jedoch, auch unter dem Druck vor allem der USA und Großbritanniens, unhaltbar geworden. Ruanda brach 2007 zunächst die diplomatischen ­Beziehungen zu Frankreich ab und trat 2009 dem britischen Commonwealth bei.

Nach ersten Bemühungen des relativ stark an den USA orientierten kon­servativen Präsidenten Nicolas Sarkozy (2007 bis 2012) um bessere Beziehungen zur Regierung in Kigali – Sarkozy absolvierte dort 2010 einen Kurzbesuch – war es vor allem Macron, der eine Wiederan­näherung an Ruanda einleitete. 2018 schaffte er es, Ruandas Außen­ministerin Louise Mushikiwabo für den Vorsitz der Internationalen Organisa­tion der Frankophonie (OIF) zu gewinnen; zuvor hatte Ruanda 2008 Fran­zösisch durch Englisch als zweite Amtssprache ersetzt, seit 2019 jedoch sind sowohl Kinyarwanda als auch Englisch und Französisch gleichermaßen als Amtssprachen anerkannt.