Gnadenlose Hilfe

Großbritanniens New Labour zwischen Bruch und Kontinuität

Als New Labour im Mai dieses Jahres an die Macht kam, versprach Tony Blair eine engere Zusammenarbeit mit der Industrie: Konsens statt Konflikt. "Let`s make Britain great again", so das Motto. Blairs signalisierte beim Beschäftigungsgipfel der Europäischen Union (EU) in Luxemburg das Ende der alten europäischen Beschäftigungspolitik: "Die alten Lösungen, wie staatliche Intervention, Korporatismus, Regulierungen für Arbeitgeber und Industrie, gehören der Vergangenheit an". In der Zukunft soll der Arbeitsmarkt "flexibel" sein. Die Arbeitslosen, insbesondere junge Menschen ohne Qualifikation, sollen für diese neue Ära natürlich auch "flexibel" sein. Den jungen Arbeitslosen Großbritanniens wurde von New Labour ein "New Deal" angeboten. Vier "welfare-to-work"-Optionen stehen für 18- bis 25jährige zur Wahl: Eine sechsmonatige Einstellung bei einer Firma für ein Gehalt von umgerechnet 700 Mark im Monat, eine Wohlfahrtstätigkeit, gemeinnützige Arbeit bei der "environmental task force" (Laub kehren etc.) oder eine Ausbildung anfangen. Einem betroffenen Jugendlichen wird "mindestens" eine der vier Optionen angeboten, abhängig von den finanziellen Möglichkeiten des Bezirkes, in dem er gemeldet ist.

Die benötigten acht Milliarden Mark zur Finanzierung dieses "New Deals" sollen durch eine einmalige "Fallobststeuer" auf die von den Konservativen privatisierten Versorgungsbetriebe, wie Wasser und Strom, die einen Riesengewinn bei ihrem Börseneingang gemacht haben, aufgetrieben werden. Diese Steuer hat breite Unterstützung in der britischen Bevölkerung, die der Meinung ist, daß die Konservativen, zuerst unter Margaret Thatcher und später John Major, das Familiensilber zu billig verscherbelt hatten. Die unter den Konservativen reich gewordenen "fat cats" sollen endlich auch etwas zahlen. Tony Blair versucht sich mit seiner Phraseologie als Franklin D. Roosevelt der neunziger Jahre zu präsentieren, der Großbritannien vor wirtschaftlicher Depression und Arbeitslosigkeit retten will.

Ein Paradox: Während Roosevelt im Jahr 1936 mit seinem "New Deal" ein minimalistisches Wohlfahrtssystem in den Vereinigten Staaten aufbaute, will Blair durch seinen "New Deal" die 250 000 jungen Arbeitslosen Großbritanniens, ungeachtet der persönlichen Umstände der Betroffenen, aus dem von den Konservativen übriggelassenen Wohlfahrtssystem verjagen. Sie sollen, wie das Programm heißt, von "welfare to work" getrieben werden. Der Bildungs- und Arbeitsminister David Blunkett hat schon erklärt, was er von den jungen Arbeitslosen seines Landes hält: "Es ist keine Bedrohung, ihnen einen Job anzubieten, anstatt den ganzen Tag im Bett zu liegen. Entweder lassen wir diese Menschen in einem für Arbeitgeber uneinstellbaren Zustand, außerhalb der normalen Gesellschaft, oder wir tun etwas dagegen."

Die guten Zeiten sind offensichtlich vorbei. Wenn die 18- bis 25jährigen sich weigern aufzustehen, um eine von den vier obengenannten Optionen anzunehmen, wird die Zahlung ihrer finanziellen Unterstützung für zwei Wochen ausgesetzt. Ein zweiter Verstoß wird mit einem vierwöchigen Entzug bestraft. "Es ist nicht die Aufgabe des Staates, solche Menschen zu unterstützen", erklärte Blunkett. Auch alleinstehenden Eltern wird gnadenlos geholfen, Arbeit zu finden. Über 50 000 von ihnen sollen zu ErzieherInnen ausgebildet werden. Dieses Projekt hat für Labour auch die bequeme Nebenwirkung, daß Familien mit geringerem Einkommen ihre Kinder bei alleinstehenden Eltern lassen können, um ihren Platz im neuen flexiblen Arbeitsmarkt zu suchen.

Großbritannien will seine Ausgaben für den sozialen Bereich von 100 Milliarden Pfund, umgerechnet 260 Milliarden Mark, drastisch kürzen. Ein Viertel der Ausgaben geht an diejenigen, die bei den Sozialämtern als arbeitsunfähig oder langfristig krank gemeldet sind. Die Ministerin für Soziales, Harriet Harman, glaubt nicht, daß so viele Menschen wirklich arbeitsunfähig (2,4 Millionen) oder krank (1,8 Millionen) sein können: Vor vier Jahren waren es jeweils 1,1 Millionen Menschen. Die Ausgaben in dieser Zeit sind um das Dreifache gestiegen. 250 000 Empfänger sollen besucht werden, um festzustellen, ob ihr Status beim Sozialamt nicht aktualisiert werden muß. Erst vier Monate später, nach heftigen Protesten von Wohlfahrtsverbänden, wurden gelähmte Menschen von solchen "Besuchen" freigestellt.

Die drei Prinzipen zur "Modernisierung" des Sozialstaates in Großbritannien sind laut Harman: Arbeit, Sparen und Ehrlichkeit - in dieser Reihenfolge. New Labour bedient sich einer moralischen Argumentation, um Kürzungen des sozialen Etats durchzuführen, und um der Industrie junge, flexible und vor allem billige Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen.