Out of control

Der IWF vergibt seinen bisher größten Kredit an Südkorea

Die weltweiten Krisenerscheinungen einzudämmen, wird immer teurer: Knapp 60 Milliarden US-Dollar beträgt der Umfang des Kredits, den Südkorea nun vom Internationalen Währungsfonds (IWF) zugeteilt bekam. Als Gegenleistung muß sich die elftgrößte Nationalökonomie der Erde jetzt einschneidenden Wirtschaftsreformen unterziehen, in deren Zentrum die Finanzbranche steht. Zahlungsunfähige Institute will die Regierung in Seoul schließen, andere durch Übernahme oder Fusionen retten. Die Steuern sollen erhöht, die Staatsausgaben gekürzt werden. Auch will die Regierung das Land für ausländische Anleger öffnen: Noch in diesem Jahr sollen Ausländer bis zu 50 Prozent der Anteile börsennotierter südkoreanischer Unternehmen besitzen dürfen, ab Ende 1998 sollen Beteiligungen mit 55 Prozent erlaubt sein.

5,5 Milliarden Dollar der Kreditsumme erhält das Land sofort, weitere Raten nach Überprüfung der Verwirklichung des Programms. Die absolute Rekordhöhe des Kredits ist ein zuverlässiger Indikator für das Ausmaß der Wirtschaftskrise in der Region, die im Sommer in Indonesien, Thailand und Malaysia begann. Bislang hatte der Rekord bei 48 Milliarden Dollar gelegen, die der IWF Mexiko anläßlich der Tequila-Krise Ende 1993 / Anfang 1994 bereitgestellt hatte. Eine rasche ökonomische Erholung in der südostasiatischen Region ist trotz des Riesenkredits an Südkorea noch unwahrscheinlicher geworden, nachdem nun in Japan einige Banken zusammengebrochen sind.

Als Yamaichi am 24. November seine Schließung beantragte, war es nicht das erste Mal, daß das viertgrößte Brokerhaus am Abgrund stand. Bereits 1991/ 1992 mußte die Regierung mit finanzieller Hilfe einspringen, nachdem 1990 die Bodenpreise in Japan drastisch fielen und Grundstücke nicht mehr die Beträge wert waren, mit denen sie beliehen worden waren. In den letzten Jahren hatte Yamaichi bei illegalen Geschäften Verluste erlitten, die zunächst durch Tricks verschleiert werden konnten. Dennoch kamen entsprechende Gerüchte an die Öffentlichkeit, weswegen der Broker zahlreiche Kunden verlor, was seine Lage noch einmal verschlechterte. Vor einigen Wochen wurde gegen die Bank ermittelt, weil sie verdächtigt wurde, an einen Erpresser Geld bezahlt zu haben - was ihren Ruf weiter schädigte. Nachdem dann am 21. November auch noch die Rating-Agentur Moody's die Bewertung der Kreditwürdigkeit von Yamaichi herabstufte, war die Firma am Ende.

Der Wertpapierhändler war dabei, einen einschneidenden Strukturplan zu verwirklichen. Da die Notierung seiner Aktien jedoch von 900 Yen im Januar 1996 auf 65 Yen (weniger als eine Mark) am 19. November dieses Jahres gefallen war, war es unmöglich, durch Aktienemissionen die nötigen Mittel aufzunehmen.

Neben Yamaichi sind seit Anfang November in Japan noch vier weitere Banken zusammengebrochen. Der Neuen Zürcher Zeitung zufolge ist die Wirtschaftsweise Japans geprägt von informellen und losen Zusammenschlüssen von Unternehmen und deren enger Zusammenarbeit mit Bürokratie und Regierung. Doch seien letztere immer weniger bereit, kriminelle Machenschaften zu decken, denn das internationale Vertrauen in das japanische Finanzsystem ist deswegen und ob der faulen Kredite in Höhe von umgerechnet mehreren hundert Milliarden Mark gering.

Die Regierung hat nunmehr aber ein Gesetz verabschiedet, das den Bankensektor dereguliert. Die Leitartikler der bürgerlichen Zeitungen sind sich weitgehend einig, daß weitere japanische Finanzinstitute zusammenbrechen werden, die sowieso schon an der Herz-Lungen-Maschine hängen: Nicht wenige sind eigentlich pleite, werden aber, ähnlich wie Yamaichi, noch gedeckt.

Weit weniger einig sind sich die Beobachter, was die zu erwartenden Folgen der Bankenkrise angeht. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung gibt sich optimistisch: Zwar sei kurzfristig "zu erwarten, daß die Unternehmen und die Verbraucher aus Besorgnis über den Zustand des Finanzsystems nur zurückhaltend investieren und konsumieren werden. Das schade der bereits stagnierenden Wirtschaft Japans." Jedoch: "Sollte die Regierung schnell reagieren und vor allem die Tatsachen nicht - wie in der Vergangenheit so oft - im dunkeln lassen, dann versprechen sich Fachleute vom Yamaichi-Zusammenbruch eine bereinigende und heilende Wirkung für den Markt. (...) Den Schaden für die japanische Gesamtwirtschaft schätzen Wirtschaftsexperten als eher gering ein. Langfristig verspricht man sich sogar eine ausgesprochen positive Wirkung, weil dadurch Überkapazitäten in der Branche abgebaut würden."

Kenneth Courtis, Chefökonom der Deutsche-Bank-Gruppe Asien-Pazifik in Tokio, ist hingegen skeptisch: "Sollte sich der Nikkei-Index bis Februar nicht von der kritischen Marke um 16 ooo Punkte erholt haben, dann müssen sich Japans Banken Geld beschaffen. Ihre Immobilien können sie nicht verkaufen, die Preise sind im Keller. Aktien können sie nicht abstoßen, weil sie dann Geld verlieren. Sie können auch nicht neues Kapital aufnehmen, weil die Börse zu schwach ist. Würden sie japanische Staatsanleihen verkaufen, dann steigen die Zinsen, was in dieser Situation das falsche Signal wäre. Folglich werden sie versuchen, japanisches Kapital aus dem Ausland zurückzuholen. Damit würden sie die internationalen Märkte unter Druck setzen."

Auch das Wall Street Journal Europe erinnert daran, daß US-amerikanische Staatsanleihen im Wert von über 300 Milliarden Dollar in japanischem Besitz sind, zwei Drittel davon gehören der Notenbank. Es geht jedoch nicht davon aus, daß diese verkauft werden, denn dann würde der Dollarkurs sinken, was japanische Exporte verteuern würde und somit schlecht für die sowieso schon darnieder liegende Konjunktur wäre. Der Economist macht darauf aufmerksam, daß das Abstoßen von US-Staatsanleihen Kursverluste an den Börsen der Vereinigten Staaten zur Folge hätte. James Fiorillo von der ING Barings Bank in Tokio schließlich sieht tiefschwarz: "This is a very serious situation. Things are getting out of the government's control."

Bleibt nur noch festzustellen, daß Gold auch nicht mehr sicher ist: Der Preis des Edelmetalls sank in der Woche des Yamaichi-Konkurses auf ein Zwölf-Jahres-Tief.