Wenn der Wecker zweimal klingelt

Das Weckertheater

In der Nacht des 26. Oktober 1986 reißt ein Sprengsatz ein Loch in die Betonwand des Lufthansa-Verwaltungsgebäudes in Köln-Deutz. Es ist 2.34 Uhr. Der Sachschaden beträgt etwa 130 000 Mark. Noch am gleichen Tag übernehmen Revolutionäre Zellen mit der Parole "Für Freies Fluten" die Verantwortung. Die Deutsche Lufthansa, so heißt es in dem zweiseitigen Schreiben, beteilige sich an der rassistischen Abschiebepraxis von Flüchtlingen.

Bei der Spurensicherung finden die Fahnder in der Umgebung des Tatortes die Reste eines Weckers der Marke Emes-Sonochron. Auf der Rückseite des Zifferblattes ist die Nummer 6 457 eingestanzt. Über diese Nummer hoffen die Staatsschützer endlich den Mitgliedern der RZ auf die Spur zu kommen. Seit Mitte der siebziger Jahre benutzten die feministische Rote Zora und die Revolutionären Zellen bei über 40 Anschlägen einen Emes-Wecker mit einem mechanischen Uhrwerk als Zeitverzögerer. Von der Uhrenfabrik waren deshalb sämtliche Restbestände dieser Weckerserie aufgekauft, die noch nicht verkauften Emes-Uhren vom Markt genommen und etwa 7 000 Zifferblätter unter Kontrolle des Bundeskriminalamtes (BKA) mit einer vierstelligen Nummer versehen worden. Nur insgesamt 80 speziell ausgesuchte Geschäfte im damaligen Bundesgebiet führten danach wieder den nun markierten Wecker, vom Bundeskriminalamt mit einer speziellen Videoüberwachungsanlage ausgerüstet. WeckerkäuferInnen sollten, so die Anweisung an das Verkaufspersonal, beim Einkauf unauffällig gefilmt werden.

Auf frischer Tat wurde niemand ertappt. Aber zwei KäuferInnen seien sie auf die Spur gekommen, behaupteten die Kriminalisten. Eine sei die ehemalige emma-Redakteurin Ingrid Strobl gewesen. Sie habe den Wecker für den Anschlag auf das Kölner Lufthansa-Gebäude gekauft. In der Revisionsverhandlung wurde die Buchautorin 1990 zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren wegen "Beihilfe zu einem Sprengstoffanschlag" verurteilt. Die andere Käuferin, so das BKA, sei Adrienne G. gewesen, eine feministische Aktivistin. Sie habe in Dortmund jenen Wecker gekauft, der bei dem fehlgeschlagenen Anschlag im Herbst 1986 auf das Berliner Institut für Gentechnik eingesetzt wurde. Die heute 48jährige Adrienne G. tauchte im Dezember 1987 unter und wird seitdem mit Haftbefehl gesucht. Auch Juliane B., die seit dem Dezember 1987 "unbekannten Aufenthalts" ist und per Haftbefehl gesucht wird, hat laut Polizei einen Emes-Wecker in Originalverpackung besessen.

Im Kontext des Fahndungsprogrammes wurde jede Käuferin und jeder Käufer zum potentiellen Mitglied der Roten Zora bzw. der Revolutionären Zellen. Das mußte auch eine weitere Kölner Journalistin erfahren. Als mögliche Weckerkäuferin verdächtigt, fuhren die Fahnder drei Tage mit der Uhrenverkäuferin hinter der Journalistin her, bis diese dann die Observierte als Uhrenkäuferin definitiv ausschloß.

Der Krimiautorin Corinna K., die sich nach acht Jahren Illegalität im Oktober 1995 stellte, wird von Ende Januar des kommenden Jahres an der Prozeß wegen Mitgliedschaft in der "terroristischen Vereinigung" Rote Zora vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gemacht. Hauptindiz auch hier: ein mechanischer Wecker der Marke Emes-Sonochron, den die Polizei im Dezember 1987 während der Fahndungsaktion "Zobel" in ihrer Wohnung fand.

Auch die gegen den Autor im Dezember 1987 durchgeführte Hausdurchsuchung begründete sich unter anderem darauf, daß er als Käufer eines Weckers der Marke Emes im Mai 1986 aufgetreten sei. Daß sein Aufenthaltsort unbekannt war, galt für Bundesanwaltschaft lange als Schuldeingeständnis. Im März 1996 stellten die Ermittlungsbehörden das Verfahren gegen ihn ein.