Wenn der Wecker zweimal klingelt

Ein Anschlag kam selten allein

Kurze Geschichte der Zoras und Zorros. Um die militanten Revolutionären Zellen und die Rote Zora ist es ruhiger geworden

Als erstmals im November 1973 Revolutionäre Zellen (RZ) mit einem Anschlag auf den US-amerikanischen Multi ITT wegen dessen Beteiligung am Militärputsch in Chile an die Öffentlichkeit traten, waren die historischen Kader der Rote Armee Fraktion schon inhaftiert. Aus den ersten Erfahrungen der Organisierung einer bundesdeutschen Stadtguerilla war gelernt worden. Den Gründungsmitgliedern der RZ ging es Mitte der siebziger Jahre nicht darum, "eine Partei oder Rote Armee" aufzubauen, sondern "Gegenmacht in kleinen Kernen" zu organisieren. In der ersten Ausgabe ihrer Zeitung Revolutionärer Zorn wird das damalige Spektrum der militanten Angriffe beschrieben: "Antiimperialistische Aktionen...; Aktionen gegen die Filialen und Komplizen des Zionismus in der BRD; Aktionen, die den Kämpfen von Arbeitern, Jugendlichen, Frauen weiterhelfen sollen, die ihre Feinde bestrafen und angreifen".

Manche der damaligen Aktionen sind auch heute noch in der Linken heftig umstritten. Im Dezember 1975 überfiel ein palästinensisches Kommando die Konferenz der Erdölexportierenden Staaten (OPEC) in Wien und erschoß drei Sicherheitsbeamte. Mit dabei war der Frankfurter Hans-Joachim Klein, der sich später als RZ-Mitglied outete. 1976 beteiligten sich die RZ-Mitglieder Brigitte Kuhlmann und Wilfried Böse an der Entführung einer Air-France-Maschine nach Entebbe. Die nicht-jüdischen Passagiere wurden freigelassen, aber "israelische Staatsbürger und jüdische Passagiere anderer Nationalitäten ausgesondert und als Geisel genommen", beschrieben später selbstkritisch RZ-Beiträge dieses dunkle Kapitel ihrer Geschichte. Bei der Befreiung der Passagiere wurden die beiden RZ-Kommando-Mitglieder erschossen. Aufgrund "der Erfahrung von Entebbe", die in der Organisation "tiefe Spuren" hinterlassen habe, begannen sich die RZ gegen Ende der siebziger Jahre mehr auf Kämpfe und Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik zu beziehen und mit eigenen Aktionen in den Bereichen Anti-Atomkraft, Hausbesetzungen und Startbahn-West im Rhein-Main-Gebiet einzugreifen und den militanten Widerstand "zu vermassen". Parole: "Schafft viele Revolutionäre Zellen!" Sprengstoff- und Brandanschläge auf Häuserspekulanten, AKW-Betreiber, Großkonzerne und Stadtverwaltungen folgten. Im Mai 1981 wird von einer RZ der hessische Wirtschafts- und Verkehrsminister Herbert Karry in seinem Bett im Schlaf erschossen. "Versehentlich", wie es später in einem Bekennerschreiben heißt, eigentlich sei beabsichtigt gewesen, Karry in die Beine zu schießen.

Zwar haben bereits 1974 "frauen der rz" auf die anstehende Grundsatzentscheidung zum Abtreibungsparagraphen 218 mit einem Sprengstoffanschlag auf das Gebäude des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe reagiert, aber erst im Jahr 1977 bildete sich eine eigenständige Frauengruppe, die Rote Zora. Zwar gebe es inhaltliche und praktische Verbindungen zur RZ, hieß es. Aber die politische Auseinandersetzung über sexistische und patriarchale Herrschaftsverhältnisse sei nicht nur gesellschaftlich, sondern auch innerhalb der RZ kaum entwickelt, kritisierten die Roten Zoras: "männer, die ansonsten ihren radikalen bruch mit diesem system in eine konsequente praxis umsetzen, sind oft erschreckend weit davon entfernt, zu begreifen, was antisexistischer kampf heißt und welche bedeutung der für eine sozialrevolutionäre perspektive hat." Dazu komme, so die militanten Zora-Frauen, daß zu jeder Zeit Frauen in bewaffneten Gruppen gekämpft hätten, "ihr anteil am kampf wurde aber meist unterschlagen". "wir kämpfen nicht für die frauen in anderen ländern, sondern mit ihnen."

Erstmals bekennt sich die feministische Rote Zora 1977 zu einem Sprengstoffanschlag auf die in Köln residierende Bundesärztekammer als "Vertreter der Vergewaltiger in weißen Kitteln". In den nachfolgenden Jahren greifen die Zoras Pornoshops und Sexboutiquen an, flambieren die Autos von Mädchenhändlern und "Eheanbahnern", die mit "Billigfrauen" aus den drei Kontinenten in Deutschland Handel treiben, legen Sprengsätze am Gebäude der philippinischen Botschaft in Bonn ab, weil die den internationalen Frauenhandel offen stütze. Multinationale Elektrokonzerne wie Nixdorf und Siemens sind weitere Ziele von Anschlägen, denn "bei der Produktion dieser Elektronik werden die Frauen der sogenannten dritten Welt verschlissen". In einer gemeinsamen Erklärung mit den RZ kritisiert die Rote Zora im Januar 1984 die westdeutsche Friedensbewegung. Deren entscheidender Fehler sei nicht nur die Konzentration auf den "Erhalt des Friedens", der faktisch nur ein "Friede in den Metropolen" sei, sondern auch, daß diese Bewegung "den imperialistischen Zusammenhang zwischen Rüstung und Krise, Dritte-Welt-Elend und Sozialabbau, Sexismus und Rassismus" nicht herausarbeite.

Danach begannen beide Gruppierungen ihre Aktionen wieder vermehrt in einen antiimperialistischen Kontext zu stellen. Die RZ konzentrierte sich auf die BRD-Ausländerpolitik. "Wir wollen zur Rückgewinnung eines konkreten Antiimperialisms in der BRD beitragen", schreiben die AutorInnen in einer Extra-Ausgabe des Revolutionären Zorn im Oktober 1986. Im August 1986 wird in den Räumen des Hamburger Ausländeramtes ein Brandsatz gelegt, um "möglichst viele Akten zu vernichten". Es folgt ein fehlgeschlagener Sprengstoffanschlag auf das Oberlandesgericht Lüneburg, das "Menschen gnadenlos der Folter ausliefert". Rote-Kreuz-Funktionären in Berlin werden die Fahrzeuge in Brand gesteckt, weil "das DRK dem Staat das schmutzige Geschäft mit der Lagerhaltung von Flüchtlingen abnimmt". Eine Bombe explodiert am Kölner Ausländerzentralregister. Ebenso bei der Lufthansa-Zentrale in Köln: "Für Freies Fluten". In Berlin wird dem Leiter der Ausländerpolizei in die Knie geschossen: "Hollenberg ist ein Menschenjäger und Schreibtischtäter". Anschläge gegen örtliche Ausländerbehörden und die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber in Berlin folgen. "Die ZSA und mit ihr alle rassistischen Behörden müssen weg!" Im September wird der Vorsitzende Richter des Berliner Asylsenats am Bundesverwaltungsgericht ebenfalls von zwei Knieschüssen getroffen. "Der oberste Asylrichter Korbmacher ist ein furchtbarer Jurist."

Schwerpunkt der Anschläge der Rote Zora-Frauen sind in dieser Zeit Institutionen und Firmen, die in der Gen- und Biotechnologie Profit machen: der Technologiepark in Heidelberg,

das Max-Planck-Institut in Köln und weitere Forschungsinstitute, denn "mit ihrer Forschung dehnen die Herren ihre Macht auf die innere Struktur des Lebens aus". Die Rote Zora sucht das Humangenetische Institut in Münster heim - Forschungsunterlagen werden geraubt, bevor es in Brand gesteckt wird. Im Januar 1987 veröffentlicht die Rote Zora die in Münster "beschlagnahmten" Papiere. Die Strafverfolgungsbehörden reagieren mit Durchsuchungen und Ermittlungsverfahren gegen Kritiker der Humangenetikforschung. Mitte August 1987 brennt es in acht Filialen des Discount-Kleidermarktes Adler. "Aus Protest gegen die beschissenen Lebens- und Arbeitsbedingungen" der rund 3 200 Adler-Arbeiterinnen in Südkorea und Sri Lanka und aus Solidarität mit den in Südkorea für bessere Arbeitsbedingungen streikenden Adler-Arbeiterinnen. "Die Frauen bei Adler in Südkorea kämpfen gegen die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft und setzen sich gegen den alltäglichen Sexismus zur Wehr. In diesen Aktionen kann Antiimperialismus praktisch werden", schreibt die Rote Zora. Nach einem weiteren Anschlag auf die Adler-Filiale in Berlin gibt das Unternehmen dem feurigen Druck nach. Die entlassenen Arbeiterinnen in der südkoreanischen Niederlassung des Konzerns werden wieder eingestellt, die Löhne der Frauen erhöht.

Nach der Fahndungsaktion des Bundeskriminalamtes ("Aktion Zobel") im Dezember 1987 ist es um Rote Zora und RZ ruhiger geworden - jedenfalls im Vergleich zu den fünf davorliegenden Jahren. 1991/92 schockierten die RZ dann die linke Öffentlichkeit mit einer Erklärung, in der die Ermordung eines ihrer Genossen, Gerd Albertus, durch eine "Gruppierung, die sich dem palästinensischen Widerstand zurechnet", öffentlich gemacht wurde. Diese Erklärung beinhaltet eine sehr ausführliche und selbstkritische Reflexion der Politik und Aktionen der RZ, ohne sich jedoch von der "Option bewaffneter Politik" zu verabschieden. Kurze Zeit danach erklärt eine Gruppe aus dem Zusammenhang der RZ ihre Auflösung und "das Ende unserer Politik".

Seitdem sind die RZ kaum noch in Erscheinung getreten. Im Juli 1991 wurden Brandbomben bei der Supermarktkette Kaiser's gelegt, um gegen den Marktbau vor den Toren der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück zu agieren. Der letzte bekannt gewordene Anschlag erfolgte im Oktober 1993 auf zwei Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes in Frankfurt/Oder aus Protest gegen die Verfolgung von Flüchtlingen. Die Rote Zora ließ 1994 mit zwei Anschlägen auf Firmen von sich hören, die Lebensmittel in "Asylbewerberheime" lieferten. 1995 erklärte sie sich für einen Sprengstoffanschlag auf eine Bremer Werft verantwortlich, die die Türkei mit Rüstungsgütern beliefere.

Zwischen 200 und 250 Anschläge schreibt das Bundeskriminalamt seit 1973 den Frauen der Roten Zora und den Revolutionären Zellen zu.