Siegfried Martsch, Landtagsabgeordneter der Bündnisgrünen aus dem Ahaus-Landkreis Borken

»Grüne garantieren Sensibilität«

Werden Sie sich auf die Gleise setzen, wenn der Castor kommt?

Wenn es eine Möglichkeit gibt, ohne Gewaltanwendung einen Platz auf dem Gleis zu finden, dann ja. Ich bin bereit, im Rahmen von zivilem Ungehorsam auch Ordnungswidrigkeiten zu begehen, aber nicht bereit, Straftaten zu begehen oder zu befürworten. Ich werde mich nicht durch eine Polizeikette kämpfen.

Aber Ihr Parteikollege, Polizeipräsident Hubert Wimber, wird dafür sorgen, daß der Weg auf die Gleise versperrt ist.

Der Parteikollege Wimber ist nur ein Glied einer langen Kette. Am Anfang der Kette steht die Bundesumweltministerin Merkel, die den Transport angeordnet hat, und dann kommt Innenminister Kniola, der die Demonstrationsverbote ausgesprochen hat.

Trotzdem gab es nach dem Polizeieinsatz gegen die Schienen-Aktionstage im Oktober auch aus Ihren Reihen Kritik an Wimber.

Das war der erste Einsatz unter Hubert Wimber. Damals gab es tatsächlich bestimmte Dinge, die nicht in Ordnung gewesen sind, wie Einkesselungen oder bestimmte Fesselungsmethoden. Aber das ist aufgearbeitet worden, und Hubert Wimber hat selbst sehr aktiv die Aufklärung betrieben und sogar einen Beamten strafrechtlich angezeigt.

Wie fühlen Sie sich als grüner Landtagsabgeordneter - gleichzeitig Castorgegner und Teil der Gegenseite?

Ich bin nicht Teil der Gegenseite. Ich war seit der ersten Brokdorf-Demo auf nahezu allen großen Anti-Atom-Demonstrationen. Fakt ist natürlich auch: Wenn man Regierungsverantwortung übernimmt, kann man sich nicht nur bestimmte Aspekte heraussuchen. Fakt ist aber auch, daß es eine positive Sache ist, daß Grüne einen Polizeipräsidenten stellen, denn das Geschäft von Hubert Wimber besteht über die Jahre gesehen nicht vor allem darin, Castortransporte zu schützen, sondern in der alltäglichen Arbeit dazu beizutragen, daß im Polizeiapparat mehr Demokratie entwickelt wird. Und auch bei den Castortransporten garantiert ein grüner Polizeipräsident sicherlich mehr Sensibilität als ein sozialdemokratischer oder ein CDU-Polizeipräsident.

Teile der Anti-Atom-Bewegung scheinen mißtrauischer gegenüber den Grünen geworden sein. Als die Grünen in Ahaus ein eigenes Camp einrichten wollten, haben sich die Initiativen dagegen ausgesprochen.

Das ist so nicht ganz richtig. Es gab die Überlegung, eine Art eigenes Camp einzurichten, dagegen hat sich die Mehrheit des sogenannten Delegiertenplenums ausgesprochen. Ob das Delegiertenplenum unbedingt repräsentativ ist für den Widerstand, das würde ich dahingestellt sein lassen.

Ihr Slogan ist "Grüne stellen sich quer". Man hat den Eindruck, daß sie sich in der Landesregierung nicht besonders quer gestellt haben. Obwohl zum Beispiel in der Koalitionsvereinbarung steht, nach Ahaus komme nur Atommüll aus NRW.

Die Landesregierung hat nur einen minimalen Einfluß auf die Angelegenheit. Die Transportgenehmigung wird von der Bundesregierung erteilt. Allein die Frage, wie die Sicherstellung des Transportes stattfindet, kann die Landesregierung entscheiden.

In dem Bereich kann man natürlich sehen, ob der SPD-Innenminister seinem Polizeiapparat - und damit als letztem Glied auch Hubert Wimber - die richtigen Vorgaben gemacht hat, um das größtmögliche Maß an Deeskalation, an Verhältnismäßigkeit der Mittel, an Garantie der Demonstrationsfreiheit zu gewährleisten. Ich persönlich meine, der Innenminister hat das nicht getan.

Aber Sie wollten kein zweites Garzweiler riskieren.

Man kann nicht jede Woche mit einem Koalitionsbruch drohen und einen Sonderparteitag machen. Das würden wir sicherlich nicht überstehen.

Warum haben die Grünen nicht stärker auf die Einhaltung der Vereinbarung von 1979 gedrungen, die vorsieht, daß kein Müll in Ahaus eingelagert wird, solange kein Endlager in Sicht ist?

Wir haben, was diese Passage betrifft, auf den Vertrag gedrungen. Wir haben sogar auf dem Landesparteitag in Gelsenkirchen eine Parteitagsresolution verfaßt, obwohl wir diese Energiekonsensvereinbarung insgesamt ablehnen, weil sie der Fortführung der Atomenergie dient. Außerdem handelt es sich nicht um einen einklagbaren Vertrag, sondern nur um eine Absichtserklärung einer Ministerpräsidentenkonferenz.

Übrigens will das neue SPD-Idol Schröder zur Entwicklung einer neuen Reaktorlinie an diese Konsensvereinbarung anknüpfen.

Und mit dem selben Schröder wollen Sie in einer rot-grüne Koalition auf Bundesebene die Atomindustrie stoppen?

Es ist so, daß wir als Grüne klar und präzise gesagt haben, der technisch gesehen schnellstmögliche Ausstieg aus der Atomenergie ist die Bedingung für eine Koalition. Das ist eine Aussage des Parteitages von Magdeburg. Wobei niemand von uns Illusionen hat, was eine Auseinandersetzung mit Schröder anbetrifft.

Also richten sich Ihre Schienenblockaden gegen den rot-grünen Kanzlerkandidaten. Werden Sie sich denn wegtragen lassen?

Es ist nicht so einfach, mich wegzutragen, das könnte unter Umständen zu Verletzungen führen. Ob ich mich wegtragen lasse oder freiwillig gehe, das wird die Situation zeigen. Ich sehe meine Aufgabe nicht in erster Linie darin, unbedingt ein paar Minuten auf dem Gleis zu verbleiben.

Ich halte es für die vornehmste Aufgabe, die hiesige Bevölkerung in den Widerstand mit einzubinden, das geht nur, wenn es einen geordneten und gewaltfreien Ablauf der Aktionen gibt - das schließt auch die Vermeidung von Sachbeschädigung ein.

Aber in Gorleben haben doch alle Aktionsformen zusammen dazu beigetragen, die politischen und finanziellen Kosten so hoch zu treiben, daß jetzt lieber nach Ahaus geliefert wird.

Man kann nicht sagen, was an einem Widerstandsort gewesen ist, ist auf einen anderen übertragbar. Das ist ein bißchen wie die Theorie von Che Guevara, der geglaubt hat, man könne den Guerillakrieg auch in andere Länder tragen, aus denen er nicht kommt.

Das heißt, in Gorleben ist der Guerillakrieg angemessen und in Ahaus noch nicht?

Um in der Terminologie zu bleiben: Alles braucht sein revolutionäres Subjekt. Und wenn es nicht gelingt, die Bevölkerung einzubinden, dann ist der Widerstand nicht sehr stark. Im übrigen bin ich nicht aus taktischen Gründen, sondern aus prinzipiellen Überlegungen für einen gewaltfreien, friedlichen Protest.