Tanz in den Mai

Die rechte Saat geht auf

Die NPD hat sich zur rechten Sammlungsorganisation gemausert, aber der 1. Mai könnte der Anfang vom Ende sein

Als die Nationaldemokratische Partei Deutschland (NPD) im Mai vergangenen Jahres einen Aufmarsch für den kommenden 1. Mai am Leipziger Völkerschlachtdenkmal mit 10 000 bis 15 000 Teilnehmern anmeldete, wurde diese Propagandazahl zumeist belächelt. Zwar war es der alten neofaschistischen Partei gelungen, in München am 1. März 1997 etwa 5 000 Rechtsextremisten zu einem Aufmarsch gegen die Wehrmachtsausstellung auf die Straße zu bringen, möglich war dies allerdings nur durch die eifrige Hilfe der CSU.

Am 1. Mai des vergangenen Jahres zeigte sich aber, daß die Moblisierungskraft der Nazis allein geringer ist: Von den etwa 2 000 Nazis, die führungslos auf den Autobahnen der Republik herumirrten, formierten sich nur einige Hundert zu verschiedenen Aufmärschen an anderen Orten, nachdem Leipzig als Veranstaltungsort ausfiel. Mittlerweile sind die Zahlen für den kommenden 1. Mai in der NPD-Eigenpropaganda auf 20 000 angestiegen, und die anfängliche Ankündigung von 10 000 Teilnehmern erscheint durchaus realistisch.

Seit etwa einem halben Jahr profitiert die NPD von der Aufbauarbeit neonazistischer Kader. War die Partei bis zu Beginn der neunziger Jahre vor allem damit beschäftigt, sich nationalkonservativ zu geben, um einen Abstieg in die Bedeutungslosigkeit zu verhindern, änderte sich dies mit dem Antritt Günther Deckerts als Parteivorsitzender 1991: Unter kämpferischen und offen antisemitischen Parolen umwarb dieser das militante Neonazispektrum, die Partei wurde umstrukturiert, die Führung verjüngt.

Mittlerweile hat die NPD, heute unter der Führung des geschickter als Deckert agierenden Hauptmann a.D. Udo Voigt, ihr Ziel weitgehend erreicht: Sie fungiert als Sammelorganisation für Neonazis und andere Rechte und hat ihren Führungsanspruch in diesem Lager in die Tat umgesetzt. Nahezu alle relevanten Gruppierungen rechts von den Republikanern schließen sich heute den Aufrufen der NPD an und arbeiten mit der Partei zusammen. Ganze Neonazi-Gruppierungen wie Die Nationalen sind in der NPD aufgegangen - in der Hoffnung, dort vor Verboten sicher zu sein. Ehemalige Kader verbotener Neonazi-Organisationen, wie Steffen Hupka und Jens Pühse von der 1992 verbotenen Nationalistischen Front, sitzen mittlerweile im NPD-Bundesvorstand.

Außerdem ist es der NPD gelungen, Teile der bisher für ihre Organisationsfeindlichkeit bekannten rechtsextremen Subkultur einzubinden. So rekrutierte der sächsische Landesverband seine mehr als 1 000 Mitglieder vorrangig unter aktionsorientierten rechten Jugendlichen und Skinheads. Um für dieses Klientel attraktiv zu bleiben, organisiert die NPD seit Anfang des Jahres nahezu jedes Wochenende einen Aufmarsch. Neben großen Aktionen, wie dem 1. Mai, sind dies meist regionale Aufmärsche, wie sie in den vergangenen Wochen in Klötze, Neustrelitz und Saalfeld stattfanden. Mit populistischen Parolen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik wie "Arbeitsplätze nur für Deutsche" versucht die NPD, sich auch außerhalb des rechten Lagers zu profilieren und Anhänger zu gewinnen.

Die auf diesem Wege erreichte Einigung hat die rechte Szene in einen kontinuierlichen Aufschwung versetzt. Dies schlägt sich nicht nur in der anhaltenden Mobilisierungsfähigkeit der NPD nieder, die diese zuletzt beim Aufmarsch gegen die Wehrmachtsausstellung in Dresden und beim Passauer Wahlkongreß im Februar unter Beweis gestellt hat. In diesem Zusammenhang ist auch der starke Anstieg rechtsextremer Straf- und Gewalttaten zu sehen.

Bis weit in die Gesellschaft hinein verankerter Rassismus, Autoritätsdenken und das Fehlen demokratischer und zivilgesellschaftlicher Strukturen haben besonders in Ostdeutschland zu einer Situation geführt, in der Neofaschismus immer weniger ein Tabu und rechte Gewalt alltäglich ist. Dies ist der Nährboden für den Erfolg der NPD und den Aufschwung der extremen Rechten. Trotz zahlreicher Organisationsverbote und anderen staatlichen Repressionsmaßnahmen gegen Rechts präsentiert sich das rechtsextreme Lager heute stärker, gefestigter und besser organisiert als zu Beginn der neunziger Jahre.

Ob es der NPD gelingen wird, aus dieser Tendenz heraus langfristige Erfolge zu erzielen, wird sich noch zeigen müssen - beispielsweise bei den Kommunalwahlen in Sachsen im nächsten Jahr. Der 1. Mai in Leipzig ist dabei von großer Bedeutung: Bereits im vergangenen Jahr brachte der klägliche Mißerfolg am 1. Mai der NPD nicht gerade Pluspunkte bei den "Kameraden" ein, nachdem die Partei zuvor großmäulig ein zweites München angekündigt hatte. Auch in diesem Jahr steht Parteichef Voigt bei den Anhängern in der Pflicht: Hat er doch die Propagandazahlen von 10 000 bis 20 000 Teilnehmern ausgegeben und muß dem nun Taten folgen lassen. Sollte dies nicht gelingen und die NPD am 1. Mai wieder nur einen Mißerfolg einfahren, könnte das der Anfang vom Ende des rechten Aufschwungs sein: Die Moral wäre geschwächt, das Fußvolk unzufrieden, interne Streitigkeiten damit vorgezeichnet und vielleicht sogar die den Aufschwung garantierende rechte Einheit in Gefahr.