Verzögerungen im Nahost-Friedensprozeß

Der Weg als Ziel

"Sehr erstaunt" seien vergangene Woche in London Verhandlungspartner aus Großbritannien und den USA gewesen, berichtete die israelische Tageszeitung Ha'aretz nach Ende der Friedensgespräche, als Netanyahu ihnen erklärt habe, er als Premierminister sei nicht bevollmächtigt, Zugeständnisse zu machen. Die müßten erst mit seinem Kabinett abgesprochen werden.

Benjamin Netanyahu verzögert den Friedensprozeß geschickt. Will er? Muß er? Bei einer Regierungsmehrheit von nur einem Sitz scheint der israelische Regierungschef zu müssen, zumal ein Teil des liberalen Likud-Flügels angekündigt hat, eigene Wege gehen zu wollen. Der Vorschlag zur Einbeziehung eines weiteren Flügels der nationalen Rechten, der Moledet-Partei, ist hingegen als Verzögerungswunsch zu verstehen, da die Falken in Koalition und Kabinett weiter gestärkt werden.

Doch auch die palästinensische Seite verzögert (und drängt zugleich), indem sie sich strikt an die US-Vorschläge hält und sich seit letzter Woche nicht mehr an Verhandlungen, sondern nur noch an Vereinbarungen interessiert zeigt.

Und das, obwohl der Zeitplan des im September 1995 in Oslo unterzeichneten Friedensabkommens ohnehin nicht mehr stimmt. Während beide Seiten noch um den Umfang des zweiten israelischen Truppenrückzugs ringen, sollten nach dem in Oslo erzielten Interimsabkommen israelische Truppen schon längst den größten Teil des Westjordanlands verlassen haben. Drei Rückzüge innerhalb von 18 Monaten waren vorgesehen. Bislang sind - gemäß einem noch älteren Vertrag von 1994 - jedoch nur der Gaza-Streifen und Jericho geräumt und mehrere große Städte im Westjordanland (darunter auch der größte Teil Hebrons) an die neu eingerichtete Palästinensische Autonomiebehörde übergeben worden.

Rund zehn Prozent des Westjordanlands werden von Israel beansprucht - im Osloer Vertrag bewußt unscharf als "spezielle militärische Gebiete" deklariert; inoffiziell werden von beiden Seiten auch die jüdischen Siedlungen dazu gezählt. Demnach hätte Israel rein rechnerisch (und illusorisch) in drei Rückzugsetappen jeweils 30 Prozent seiner Truppen abzuziehen. Doch würde Arafat sich für die zweite Etappe mit einem Abzug von insgesamt 13 Prozent der israelischen Truppen zufriedengeben, was exakt dem US-amerikanischen Vorschlag entspricht und Netanyahu in London einfach vier Prozent zuviel waren.

Die von der Palästinensischen Autonomiebehörde administrativ und polizeilich kontrollierte Zone A, Vorstufe zu einem eigenen Staat, soll so um einzelne kleinere Städte und Dörfer des Westjordanlandes erweitert werden. Diese gehörten bisher zur Zone B, wo die Palästinensische Autonomiebehörde nur für die Zivilverwaltung, israelisches Militär aber für die "öffentliche Sicherheit" zuständig ist. Übrig bleiben noch andere Streitpunkte, die von beiden Seiten als leicht lösbar (Straßenverbindungen Gaza-Streifen/Westjordanland, Errichtung je eines Flug- und Seehafens in Gaza) bis unlösbar (Siedlungen, Flüchtlinge, Jerusalem) eingestuft werden.

In den anvisierten Endstatus-Gesprächen, die eigentlich auf 1996 terminiert waren und bereits im vergangenen Jahr hätten beendet werden sollen, soll nun - nach dem Wunsch Netanyahus - all das, was bisher nicht zu lösen war, irgendwann demnächst zusammen verhandelt werden. Nein, vereinbart, und zwar diese Woche, widerspricht Arafat.