Kampf um den besten Tabellenplatz

Gefährliche Orte XXVII: Auf dem Berliner Zeitungsmarkt wird weiter um die Vormachtstellung gerungen. Berliner Zeitung und Morgenpost haben dafür einen neuen Kampfplatz gefunden: Den Immobilienmarkt

Das waren noch Zeiten, als es hieß, es wachse nun zusammen, was zusammengehört. "Wissen Sie, die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie einmal war", bemerkte schon vor fünfundzwanzig Jahren ein Berliner Taxifahrer gegenüber dem Schriftsteller Friedrich Torberg, und wie immer sollte der Vertreter einer der gefährlichsten Zünfte der neuen Hauptstadt recht behalten.

Neueste Entwicklungen zum Themenfeld "Berlin ist eins" gibt es auf dem Zeitungsmarkt, der "Werkstatt der Einheit" (Bundesbauminister Klaus Töpfer). Wer in Berlin die Presse sucht, wird sie finden - und zwar mannigfaltig, behaupten die Einfältigen. Doch neun Jahre nach dem Mauerfall werden noch immer mediale Produkte feilgeboten, die die städtischen Leserkreise bei genauer Betrachtung in zwei Gruppen teilt.

Im Osten hat die Berliner Zeitung eine nahezu traumhafte Monopolstellung. Ende 1990 erkannte der Hamburger Medienkonzern Gruner+Jahr die Auflagen-Goldgrube von samstags 247 365 verkauften Exemplaren (1998), setzte den Ex-Spiegel-Chefredakteur Erich Böhme in den Herausgebersessel und nahm sich Großes vor. Angesichts mangelnder Konkurrenz in Pankow und Umgebung fiel es nicht schwer, die östliche Marktposition auszubauen: 583 000 Leser werfen im Durchschnitt täglich einen Blick in die Zeitung, aber nur 94 000 tun dies an einem Westberliner Frühstückstisch.

Dort, tief im Westen, gibt es dagegen wenig Neues. Seit jeher reichen sich in der ehemaligen Insel der subventionierten Marktwirtschaft das Springer-Blatt Berliner Morgenpost und das Holtzbrinck-Risiko Tagesspiegel bei der westlichen Zielgruppeneinteilung in "eigentlich nicht so seriös" und "ein bißchen seriös" die Hand. Sonntags bringt die Morgenpost 268 775 Exemplare an den Berliner, während sich der Tagesspiegel mit 149 037 verkauften Zeitungen begnügt. Das Teilungsphänomen findet sich auch hier: Die Morgenpost wird von 477 000 Berliner Lesern zumindest überflogen, aber nur 76 000 davon leben im Osten.

Spätestens seit der Bonner Hauptstadt-Entscheidung vom Juni 1991 ist jedem Medienunternehmer klar, daß diese Welt nicht so bleiben darf. Die historisch-moralische-ökonomische Aufgabe lautet, die Vereinigung der entfremdeten Stadtstücke via medialer Gleichschaltung voranzutreiben. Das Reizwort "Hauptstadtzeitung" genügte, um im Kreise der Bertelsmänner und Springer den Wunsch nach Gewinn wach werden zu lassen - man schickte seine besten Markt-Strategen an die Front.

Die beste Startposition beim Wettlauf um einen Siegerplatz hatte die Berliner Zeitung. Während man sich im Hause Holtzbrinck und in der Springerstraße nur schwerfällig an die neuen Verhältnisse gewöhnen konnte, wurde im Berliner Verlag am Alexanderplatz geklotzt. Schon im letzten Jahr wurde eine einjährige Neuordnung der Redaktion abgeschlossen: Neben dem Aufkauf von namhaften Redakteuren von FAZ, Süddeutscher und Zeit, setzte man den Österreicher Michael Maier auf den Chefredakteursposten, Ex-Bild-Berlin-Chef Ulf C. Goettges wurde sein Stellvertreter. Die Redaktion sollte vor allem politisch aufpoliert werden. Im September konnte man zudem mit einem in der Medienwelt fast allerorten abgefeierten Relaunch aufwarten: Der US-Zeitungs-Designer-König Robert Lockwood hatte sich für viel Geld nicht lumpen lassen, den Wunsch nach einer "neuen Ästhetik" (Chefredakteur Maier) zu erfüllen.

Damit hatten die Hamburger aber erstmal nur Geld ausgegeben und noch keines verdient. Wahrscheinlich war man sich in Hamburg wie am Alexanderplatz bewußt, daß ein Jahr - denn so lange brauchen die Bonner noch zum Kofferpacken - nicht besonders viel Zeit ist, wenn es auf einem heiß umkämpften Markt mit drei nicht gerade schwächlichen Großunternehmen produzierten Blättern die Spitzenposition zu erlangen gilt. Also wurde im April eine Runde eröffnet und eine etwas härtere Gangart eingelegt.

Als Kampfplatz wurde der Berliner Immobilienmarkt gewählt, der im Gefolge des Schweinezyklus nicht nur rund eine Million Quadratmeter leerstehender Büroflächen anzubieten hat, sondern zudem den Wohnungsmarkt zu teilweise ungewohnt moderaten Preisen zwingt. Und während man in den Maklerbüros schwitzt und stöhnt, weil sich unvermietbare Gewinnspannenlücken auftun, hat man im Strategenzentrum der Berliner Zeitung die Chance gewittert. Die Devise: Zuallererst muß der Immobilienmarkt zusammenwachsen, und die schwere Last der Makler, die ihre Immobilienangebote der westlichen Bezirke im Tagesspiegel und der Berliner Morgenpost, die östlichen dagegen in der Berliner Zeitung inserieren, muß auf die starken Schultern von Gruner+Jahr gelegt werden. Man entwarf eine "neue optimale Anzeigenform" in Form einer Tabelle, die bis dato nur beim Tagesspiegel zu finden war.

Also wurden Anfang April 2 000 aufwendig bedruckte Din-A 4-Broschüren mit dem Namen "Angriff" per Boten in die Maklerbüros der westlichen Bezirke versandt, Mitte April folgte eine weitere Auflage namens "Volltreffer". Der Clou, mit dem der immobile Aktionsradius erhöht werden soll, steckt im "Powerplay der kleinen Preise". Zwei Mark kostet die Freunde der Spekulation im Westteil der Stadt eine Eintragung, ein fast symbolischer Preis. Zum Vergleich: Beim Tagesspiegel werden bis zu 34,50 Mark abgebucht.

Die neuen Spielregeln machten jedoch zumindest einen Konkurrenten in den westlichen Bezirken munter, und das Spiel gewann wieder an Schnelligkeit. Während der Tagesspiegel träge wie ehedem reagierte und seine Preise lediglich saisonbedingt bereinigte, blies man bei der Berliner Morgenpost zum Gegenangriff. Rechtzeitig zum Erscheinen des neugestalteten Immobilienmarktes in der Berliner Zeitung am vergangenen Wochenende erfand man nun auch bei der Morgenpost die innovative Tabelle neu und rückte der Ost-Kundschaft mit einem Preis von fünf Mark pro Eintrag auf den Leib. Zugleich wurde der Verkaufspreis der Zeitung von 1,20 Mark auf 90 Pfennige herabgesetzt.

Die Langzeitstrategen der Berliner Zeitung wurden schon bei der Ankündigung aus dem Hause Springer hektisch und versuchten, das Spiel wieder unter Kontrolle zu bekommen. In internen Papieren von Anfang Mai gibt man sich zwar von der "Dreistigkeit des Plagiats", daß "die Morgenpost mit einer quasi 1:1-Kopie (...) an den Start geht", verärgert, sieht aber "keinen Grund, in die Defensive zu gehen". Statt dessen wird den Mitarbeitern der Anzeigenabteilung - "Anbei einige Argumentationsansätze, die Sie je nach Gesprächssituation einfließen lassen sollten" - ein "Argumentationsleitfaden" mit auf den Weg gegeben, daß "der Morgenpost nichts Originelleres eingefallen ist, als die Berliner Zeitung zu kopieren". Ein interessanter Ansatz, wenn man bedenkt, daß es die Tagesspiegel-Tabelle schon seit einiger Zeit gibt.

Aber damit nicht genug, neben der Verlosung von Reisen nach Peking, Miami und Paris an die neuen Kunden, überschwemmte die Berliner Zeitung am 8. Mai, einen Tag vor dem Erscheinungstermin, den Westen massenhaft mit Gutscheinen für die Samstagsausgabe, in deren Immobilienteil die Interessenten kostenlose Eintrittskarten für die städtischen Zoos und Museen fanden. Die angepeilten 2,1 Millionen Mark, die Gruner+Jahr nach internen Verlautbarungen für die Ergreifung der westlichen Immobiliengebiete ausgeben wollte, werden wohl kaum ausreichen.

Beim Kampf um den Anzeigenmarkt im jeweiligen Feindesland haben sowohl Berliner Zeitung als auch die Berliner Morgenpost die Preise für die neuen Tabellenanzeigen gesplittet. Zwei Mark kostet das Inserat einer West-Immobilie in der Berliner Zeitung. Befindet sich das Anlagestück im Osten, werden 15 Mark fällig - runde 750 Prozent mehr. Die Berliner Morgenpost gibt sich nicht viel moderater: Fünf Mark für den fernen Osten, in heimischen Gefilden werden 30 Mark fällig - immerhin noch 600 Prozent mehr.

Ob dieses Gefälle nicht gerade die treuen Leser und Inserenten auf die Barrikaden bringt, bleibt abzuwarten. Auf dem Weg zu der Hauptstadtzeitung wird die Stadt erstmal wieder geteilt. Statt "Wir sind der Immobilienmarkt" heißt es nun "Wir sind zwei Zielgruppen".