Bei »Kids« dreht nicht nur Opa durch

Deutsche Sprachpflege ist längst nicht mehr nur ein Thema der Rechten.

Hilmar Hoffmann war einst Aushängeschild sozialdemokratischer Kulturpolitik. "Kultur für alle", lautete seine Zauberformel. Seit 1993 ist er Präsident des Goethe-Instituts, und nun kämpft er an vielen Fronten gegen Einsparungen in Kulturetats und gegen Geldverschwendung durch ein Bundeskulturministerium, wie es kürzlich sein Parteifreund Peter Glotz und die bündnisgrüne Antje Vollmer forderten.

Sozialdemokratisch der Welt zugewandt, meint Hoffmann, kulturelle Abschottung sei im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr möglich, um dann zur nationalen Front vorzurücken: "Wir empfangen ja nicht nur über das Fernsehen ständig andere kulturelle Einflüsse, wenn auch leider vor allem amerikanische." Amerika essen deutsche Seele auf - das wußten wir schon lange.

Weitere Schmach droht dem Volk-der-Dichter-und-Denker. Woher die "Ängstlichkeit" rühre, daß die deutsche Kulturpolitik sich nicht gegen die "Zurückdrängung deutscher Kultur und Sprache" wehre, wurde Hoffmann gefragt. "Die Bundesregierung hat sich in den ersten 30 Jahren nach dem Krieg zurückgehalten, um nicht wieder den Eindruck zu erwecken, als erhöben die Deutschen die Hegemonieansprüche. Aber ich finde, nach einem halben Jahrhundert wäre es zumindest an der Zeit, Deutsch als offiziell anerkannte Sprache in Brüssel entsprechend zu würdigen."

Soviel demonstrative Bescheidenheit vermag Hoffmann nicht durchzuhalten, eine militärische Metapher rutscht ihm heraus: "Aber das Goethe-Institut hat mit dieser Defensive nichts zu tun, im Gegenteil."

Ist Goethe in der Offensive? Und überhaupt, vorausgesetzt, man kann von einem Kulturapparatschik fordern, daß er sich klar auszudrücken vermag: Was will der Funktionär deutscher Kultur sagen, wenn er davon spricht, die Bundesregierung habe "nicht wieder den Eindruck erwecken" wollen, als erhöben "die Deutschen die Hegemonieansprüche"? War die Besetzung großer Teile Europas durch die Nazi-Wehrmacht nur das Erwecken eines Eindrucks, eine Als-ob-Hegemonie?

Das Interview mit Hoffmann erschien am 8. Mai in der Jungen Freiheit. Deren redaktionelle Inkompetenz könnte der Grund für die schlampige Formulierung sein. Daß es dem Wochenblatt für das junge deutsche Geblüt mal wieder gelang, einen Vertreter des Establishments als Interviewpartner zu gewinnen, wäre nicht weiter berichtenswert. Von Bedeutung ist, daß nach mehreren Jahren Vorlauf wieder ein Thema des deutschen Identitätsdiskurses, nämlich Schutz und Förderung der deutschen Sprache, breitenwirksam in einer informellen Allianz durchgesetzt wird.

Die Klage über Anglizismen in der Sprache, insbesondere in der Jugendsprache, ist ein Thema, das regelmäßig und selbst in Regionalzeitungen auftaucht. Sogar der gewitzte Kritiker des Identitätsdiskurses könnte Schlagzeilen wie die der Aachener Nachrichten vom 22. Februar 1995 nicht erfinden: "Bei 'Kids' dreht Opa regelmäßig durch" - "Wegen zuviel englischer Wörter drohte 75jähriger mit Vergiften von Gummibärchen".

Beschleunigend und die Rechte ermutigend wirkte die von Heinz-Rudolf Kunze u.a. propagierte Forderung nach einer Quote für deutsche Musik im Radio, die Kunze in der rechtsextremen Zeitschrift Nation & Europa den Ehrentitel "Botho Strauß des Rock'n'Roll" einbrachte. Es geht längst nicht nur um die vermeintliche Benachteiligung Deutschlands und deutscher Industrie, da die Institutionen der EU Französisch und Englisch privilegieren, oder um die materiellen Interessen der deutschen Phonoindustrie. Auch ist das Gezeter um die Rechtschreibreform kein Produkt des Wohlgefallens an der Schönheit der deutschen Schriftsprache.

Die Kampagne des obersten Deutschlehrers mit dem schönen Namen Denk eignete sich nur zu gut als populärer Aufhänger einer sprachpolitischen Offensive, die von den Kräften des völkischen Nationalismus initiiert wurde.

Ein Blick ins Ostpreußenblatt vom 8. Mai genügt, um die Tragweite und die Bedeutung, die dem Thema beigemessen wird, zu erkennen. Gleich vier Artikel zum Thema brachte die Wochenzeitung der Landsmannschaft Ostpreußen. Selbst bei gedrängter Darstellung reichte die Antifa-Seite der Jungle World nicht aus, um das Dickicht der Organisationen aufzuschlüsseln, die der Sprachpolitik einen großen Stellenwert beimessen. Die Liste reicht von Alfred Mechtersheimer, dessen Deutschland-Bewegung in diesem Jahr mit einer sprachnationalistischen Selbstverpflichtungserklärung hausieren geht, bis hin zu Günther Zehm, der in seiner "Pankraz"-Kolumne in der Jungen Freiheit eine Lanze für den relativistischen Sprachidealismus und die "Muttersprache"-Philosophie des vormaligen Ahnenerbe-Sprachwissenschaftlers Leo Weisgerber bricht.

Der praktische Umgang mit der eigenen Sprache soll eine Botschaft vermitteln: "Ich bin stolz, Deutscher zu sein." Wenn Wilfried Böhm im Deutschland-Magazin schreibt, "die unverwechselbare Identität des Standortes Deutschland" laufe Gefahr, zerstört zu werden, sollte man das trotz des verräterischen Wortes "Standort" nicht ökonomistisch verkürzt interpretieren, so, als produziere der Vorstandsvorsitzende der Deutschland-Stiftung hier bloß ein Überbau-Blabla, das die Zurichtung Deutschlands für die Weltmarkt-Konkurrenz begleite und als bloßes Bewußtseinsphänomen nationale Identität als Kompensation in ökonomisch härteren Zeiten stiften solle. Darum geht es gewiß auch, allerdings als Teil eines nicht auf Ökonomisches beschränkten gesellschaftlichen Prozesses der ständigen (Re-)Produktion einer Belegschaft für die Firma Deutschland.

Dezentrierungen und Entgrenzungen - die Völkischen sprechen hier gerne von "Entortung" und packen hierunter auch Phänomene, die einst von links als "Entfremdung" gehandelt wurden - sollen mit Rezentrierungen beantwortet werden. (Diskurstheoretisch wäre von diskursiver Subjektkonstituierung zu sprechen, ideologietheoretisch von ideologischer Subjektion - im doppelten Sinne von Subjektwerdung und Unterwerfung. Die Differenzen der konkurrierenden und teilweise konvergierenden theoretischen Perspektiven müssen hier nicht eigens erörtert werden, um einige der politischen Effekte jenes neu lancierten Identitätsdiskurses zu beschreiben.)

Sprachpolitik des Deutschen rührt unmittelbar an das Zentrum des völkischen Nationalismus, dessen Reinheitswahn in verschiedenen Variationen, mal neben-, mal gegeneinander, der "Sprache" und dem "Blut" galt, also zwischen "Gemüt" und "Geblüt" oszillierte. Aus dem Katalog abstruser Phantasien über das Privileg des Deutschen als "Ursprache" können hier nicht einmal die Highlights geboten werden.

Léon Poliakov hat diese Geschichte, die ja nicht erst mit Fichtes "Reden an die deutsche Nation" beginnt, in seinem Buch "Der arische Mythos" (1993) zusammengetragen. Feindschaft gegen Rom, die Welschen und Frankreich ist ihr fast durchweg implizit. Besonders kraß wirkt sich die Stilisierung der Deutschen als eines wegen seiner Sprache "auserwählten Volks" im Verhältnis zu Juden aus. So versuchten deutsche Christen, den Beweis zu führen, Deutsch sei ursprünglicher als Hebräisch.

Gewiß setzt sich in den gegenwärtigen Bemühungen zur Reinhaltung der deutschen Sprache der damit verbundene historische Antisemitismus nicht naturwüchsig fort; viele Protagonisten sind eifrig bemüht, antisemitische Implikationen zu vermeiden. Dennoch wird ausdrücklich an eine Diskurstradition angeknüpft, die nach 1945 zurückgedrängt, verdrängt oder verleugnet wurde, doch in den Speichern und Archiven - oder im Giftschrank - überdauert hat. Im Zuge der Aktualisierung bricht dies deutlich durch, so wenn Wilfried Böhm eine "Bastardisierung der deutschen Sprache" beklagt.

Doch das ist nicht die Regel. Der Tenor ist antiamerikanisch. Damit aber ist die Koppelung mit explizit antisemitischen Aussagen leicht herzustellen. Die Autoren des JN-Schulungsblattes Einheit und Kampf bringen das mit einem flotten Wortspiel: "Jewnited States". Andere belassen die Verknüpfung auf der Ebene des Suggestiven und reden in ihrer Kulturkritik von "Hollywood", auf daß die Botschaft, "die Juden" hätten dort das Sagen, implizit durchkomme.

So manche zum Klischee erstarrte Kulturkritik linker Herkunft arbeitet dieser Diskurstaktik zu, wenn sie - statt von Kulturindustrie als warenförmiger Produktion von Kultur zu sprechen - verkürzend über "Hollywood" und US-Kulturimperialismus schwadroniert. Zudem ist diesen Nachbetern Adornos und Horkheimers die Entwicklung der Kulturindustrie seit der Abfassung der "Dialektik der Aufklärung" entgangen. Sonst würden sie auch mal von öden Orten wie Gütersloh und dem dort ansässigen Medienkonzern reden.

Denn die industrielle Infrastruktur für kulturelle Selbstbehauptung existiert; ihre politischen Protagonisten nehmen den Identitätsdiskurs über Sprache und Kultur nur nicht weltanschaulich puristisch, sondern pragmatisch realpolitisch, und wenn sie an Sonn- und Feiertagen den Wert der Kultur hochhalten, stellen sie den humanistisch-universalistischen Aspekt in den Vordergrund. Sie kombinieren Globales und Nationales, Popkultur und (angeblich genuin deutsche) Kultur.

Besonders tun sich dabei Sozialdemokraten hervor, die deutsche bzw. europäische Selbstbehauptung auf dem Mediensektor betreiben. Viva-Chef Dieter Gorny, ein Vertrauter des zukünftigen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Clement, ist für deutsche Sprachpolitik im Bereich der Popkultur durchaus zu haben: Es wachse "eine Generation heran, die (...) kein Problem mit dem Begriff nationale Kultur und die vor allem auch keine künstlich aufgebauten Hemmschwellen mehr hat, was die deutsche Sprache als Ausdrucksmittel betrifft", stellte er im Mai 1997 in der Bild am Sonntag fest - die Junge Freiheit druckte es erfreut nach.

Der mittelgroße Kommunikator Peter Glotz ist für so etwas immer zu haben. Ein wichtiges Vorbild liefert die Kulturpolitik der französischen Sozialisten in den achtziger Jahren. Jacques Renard, ein Berater des damaligen Kulturministers Jacques Lang, propagierte die drei Cs des "ƒlan culturel" (Paris, 1987): "Culture, création, communication". Und sein Chef übte sich in antiimperialistischer Rhetorik auf der Unesco-Konferenz in Mexiko, als er die zeitgenössische Kultur als "Opfer eines multinationalen Systems finanzieller Herrschaft" wähnte.

Heute erzählt Lang dies mit antiamerikanischem Impetus der Wirtschaftswoche, und Fritz, das Blatt der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen, stützt darauf seinen Aufruf zum Kampf gegen den "kulturellen US-Totalitarismus". Überhaupt erfreuen sich französische Linke und Intellektuelle, wenn es um nationale Identität geht, großer Beliebtheit bei völkischen Nationalisten. So hofft das Ostpreußenblatt, daß die vor vier Jahren erlassene Loi Toubon zum Schutz der französischen Sprache populärer werde; Hoffnung gebe die "Kritik der Intellektuellen" an einem OECD-Programm, das die französische 'kulturelle Ausnahme' nicht beachtet und den Investitionen der amerikanischen Filmindustrie in Europa freien Zugang gewähren würde".

Diese Projektionen auf Frankreich und die gewünschte Übertragung eines äußerst fragwürdigen französischen Gesetzes auf das neue Deutschland sind bereits Akte erschlichener "Normalisierung", die übersehen lassen (sollen), daß der darin zum Ausdruck kommende französische Nationalismus sich auf ein Verständnis der Nation als Republik, nicht wie in Deutschland als Blutsgemeinschaft, bezieht. Der nächste Schritt wäre dann, Hitler als eine Art deutscher Napoleon zu historisieren.