Körperpolitik

Zucht und Ordnung

Von völkischen Idealen zu biopolitischen Vorstellungen: Biopolitik und die "Neuen Rechten".

Der Herausgeber der angesehenen US-amerikanischen Wissenschaftszeitschrift Science, Daniel E. Koshland, belebte vor Jahren die alte Behauptung, daß soziale Phänomene wie Armut, Obdachlosigkeit, Drogenabhängigkeit und Kriminalität das Resultat defekter Gene seien, und plädierte dafür, diese Erscheinungen durch Eingriffe in das Erbgut aus der Welt zu schaffen.

Der Direktor des anthropologischen Instituts der Universität Kiel, Hans Wilhelm Jürgens, spricht aus, was viele denken, aber sich noch nicht wieder laut zu sagen trauen: Er sei davon überzeugt, daß bestimmte Formen "asozialen Verhaltens" zu einem großen Teil genetisch beeinflußt sind. Jürgens meint damit Kleinkriminalität, "parasitäres Leben auf Kosten der Öffentlichkeit" und "ständiges Verschaffen von kleinen Vorteilen" - all das werde nicht nur durch elterliches Vorbild, sondern auch durch die Erbsubstanz weitergegeben.

Der Humangenetiker Hans-Hilger Ropers, Direktor des Max-Planck-Instituts für Genetik in Berlin, fahndete mit seinem Forschungsteam im niederländischen Nijmwegen nach dem Aggressions-Gen, meldete Erfolg und beschrieb dessen Träger durchgängig als Kriminelle. Wie die meisten seiner Kollegen und Kolleginnen in der Genetik möchte Ropers die gesellschaftlich gefährliche Seite seiner Zuschreibungen nicht sehen. Dabei bieten sie mit ihren einfachen Antworten die Voraussetzung für die Erklärung des Sozialen durch die Biologie.

Es verwundert nicht, daß die politische Rechte solche oder ähnliche Behauptungen begierig aufgreift. Sie passen in ihre Vorstellungen von Zucht und Ordnung. Denn die Rechtsradikalen betreiben zwar Stimmenfang mit fremden- feindlichen Parolen, sie besitzen aber ebenso biopolitische Konzepte, die sich gegen sozial ausgegrenzte Menschen richten.

Den Zusammenhang hat Gert-Klaus Kaltenbrunner, renommierter Publizist der "Neuen Rechten", formuliert: Fasziniert von radikalen Zuchtideen, forderte er dazu auf, endlich aus dem "Schatten Hitlers" zu treten und die (angebliche) Tabuisierung der eugenischen Zielsetzungen aufzuheben: "Wegen Hitler wird beargwöhnt, wer von nationalen Interessen oder von Erbgesundheit oder von Recht und Ordnung oder auch nur davon spricht, daß es darauf ankommt, Herr im eigenen Haus zu sein."

Da auch für die "Neuen Rechten" das Erbgut die Menschen bestimmt, ist die Genetik für sie von großer Bedeutung. Denn aus der beobachteten physischen und psychischen Verschiedenheit werden Rückschlüsse auf den Wert des Einzelnen gezogen. Das erklärt, warum die "Neuen Rechten" die Handlungsfelder Bevölkerungs-, Familien- und Gesundheitspolitik stets im Blick behalten haben.

Die Zusammenfassung neurechter Programmatik unterstreicht das eugenische Grundkonzept: Demnach muß die Qualität der Nachkommen Vorrang gegenüber ihrer Zahl haben. Anzustreben sei deshalb keine quantitative, sondern eine qualitative Bevölkerungspolitik. Für die staatliche Familienpolitik bedeutet das: Sie darf nicht um jeden Preis kinderreiche Familien fördern, denn zwei Kinder aus einer "erbgesunden" Familie seien wünschenswerter als fünf Kinder mit zweifelhaftem oder krankem Erbgut. In diese Richtung müssen die Instrumente der staatlichen Förderung - Kindergeld, Steuererleichterungen oder Mietzuschüsse - ausgerichtet werden.

Zur Absicherung der politischen Vorgaben sei die Forschung in den Wissenschaftszweigen zu intensivieren, die Fragen der Eugenik, Anthropologie und Bevölkerungspolitik berührten. Schon jetzt setzt die politische Rechte in ihrem Biologismus auf jede brauchbare Äußerung der Verhaltensgenetik, um die Besitzunterschiede, die Differenzen im Status und Machtgefälle zu erklären.

Die Wissenschaftler entsprechender Fachdisziplinen dagegen beteuern, daß der Sinn und Zweck ihrer Forschungen in der ganz individuellen Leidensverhinderung und Gesundheitsförderung liege. Die Benennung eugenischer Ziele in bewußter Verbindung zur überholten Tradition der Rassen- und Sozialhygiene ist in der Tat ein Tabu, den auch die "Neue Rechte" weitgehend mitvollzogen hat. Sie übersetzt die alte Ideologie in moderne Begriffe und verklammert grundlegende Schriften des Sozialdarwinismus mit dem aktuellen Stand der biotechnologischen Forschung. Aus der Verbindung von Anleihen aus Biologie, Psychologie und Genetik entsteht die neurechte Biopolitik mit der Option, menschliches Leben und seine Fortpflanzung zu regulieren.

Eine Vorreiterrolle übernehmen neurechte Wissenschaftler hingegen in der Soziobiologie mit ihren Behauptungen von der natürlichen Ungleichheit der Völker und den naturgegebenen Fähigkeiten der Individuen. Insbesondere im Bereich der Soziobiologie suchen die Verfechter der "natürlichen Ungleichheit" nach Argumenten. Und sie werden fündig. Beispielsweise mit Hinweis auf den Psychologen Arthur Jensen stellt die "Neue Rechte" die Behauptung auf, daß 80 Prozent der menschlichen Intelligenz angeboren sei. Umwelteinflüsse oder erlernte Fähigkeiten spielten eine untergeordnete Rolle. Der Intelligenzbegriff wird weit gefaßt, in die Ermittlung der angeblichen IQ-Werte fließen Faktoren wie Gedächtnis, Wortflüssigkeit, Phantasie, Willensstärke, Ausdauer, Motivation, Fleiß, Wahrnehmungsvermögen, Konzentrations- und Ausdrucksfähigkeit mit ein.

Der französische Philosoph Michael Foucault hat in kritischer Absicht den Begriff "Biopolitik" definiert. Gemeint ist damit: Physische und psychische Gesundheit ist ein zentrales Thema in Alltag und Politik geworden. Der menschliche Körper wird zum Austragungsort des politischen Geschäftes. Biopolitik hat sowohl den Einzelnen als auch die Allgemeinheit im Blick. Dabei tritt die biologische Norm zunehmend an die Stelle gesetzlicher Vorgaben. Moralische Institutionen und staatliche Organe besitzen das Recht des Zugriffs auf das Individuum.

Eine Konsequenz dieser Entwicklung bedeutet: "Wenn die Schlüsselkategorie einer bestimmten Politik der sichtbare Unterschied des Körpers ist, dann ist die Anwesenheit des Anderen schon an sich ein Ärgernis und eine Quelle von Spannungen. Und das beste Mittel, Spannungen zu reduzieren, ist Gewalt, die physische Entfernung des Ärgernisses."

Die Rechten benutzen den Begriff "Biopolitik", um alte Inhalte mit neuem Etikett zu versehen: Aus "völkischen Idealen" wurden "biopolitische Vorstellungen", die allerdings im Zusammenhang mit Entwicklungen in der Mitte der bundesdeutschen Gesellschaft stehen. Denn bei genauer Betrachtung verschwimmen immer wieder die Grenzen: Es zeigt sich, daß Aktivitäten zur Selektion ohne ein umfassendes rechtsradikales Weltbild möglich sind.

Schon seit Beginn dieses Jahrhunderts existiert eine sozialrassistische Linie, die sich gegen verarmte, in ihrer Sexualität unangepaßte, gegen physisch oder psychisch auffällige Menschen aus der Bevölkerung richtet. Die Aussonderung Unangepaßter konnte und kann sich auf das "gesunde Volksempfinden" stützen. Bei dem Zugriff auf die Gruppen, die nicht in das Bild passen, helfen moderne Sozialtechniken wie die der Erfassung, der Kontrolle, der technokratischen Sanktionen wie der Entzug von Unterstützungsleistungen, die der Androhung der Bestrafung oder die der kurzfristigen oder endgültigen Freiheitsberaubung in verschiedenen Institutionen.

Und Foucault erklärte mit Blick auf die gut zweihundertjährige Geschichte der staatlichen Kontrollversuche über die Bevölkerung, warum die neurechten biopolitischen Konzepte sich innerhalb der modernen politischen Rationalität bewegen: "Die Fortpflanzung, die Geburten- und die Sterblichkeitsrate, das Gesundheitsniveau, die Lebensdauer, die Langlebigkeit mit all ihren Variationsbedingungen wurden zum Gegenstand eingreifender Maßnahmen und regulierender Kontrollen: Bio-Politik der Bevölkerung."

Foucault schließt daraus: "Mir scheint, daß eines der grundlegenden Phänomene des 19. Jahrhunderts in dem besteht, was man als Vereinnahmung des Lebens durch die Macht bezeichnen könnte (...), eine Machtergreifung in Bezug auf den Menschen als Lebewesen, eine Art Verstaatlichung des Biologischen."

Der erneute Aufschwung des Biologismus seit Beginn der siebziger Jahre steht auch im Zusammenhang mit der Entstehung der sozialen Bewegungen und ihren Forderungen nach Gleichbehandlung und Gerechtigkeit: Der Verweis auf die angebliche Dominanz genetischer Vorgaben soll Veränderungen in den gesellschaftlichen Machtstrukturen oder wirtschaftliche und soziale Zugeständnisse an die Diskriminierten ersetzen. Soziale Handlungen sind in dieser Logik überflüssig, denn wer am gesellschaftlichen Rand steht, gehört dort naturbedingt hin.

Vom Autor erschien zuletzt: NORMalisierung von rechts - Biopolitik und "Neue Rechte". Verlag Libertäre Assoziation, Hamburg 1997