»Die Kontrolleure haben gewonnen«

Seit fünf Jahren ist Brian Ora Coya auf Güterzügen quer durch die USA unterwegs. Stefan Hintsches sprach mit ihm über Hobo-Romantik, Bahnhofspolizisten und das Reisen ohne Kreditkarte

Wie reist man auf einem Güterzug ?

Da ist nicht viel dabei. Du gehst in einen Güterbahnhof, sprichst mit einem Arbeiter, findest raus, wo der Zug hinfährt, steigst auf und los geht's. Manchmal lügen die Arbeiter auch, oder sie behaupten, es nicht zu wissen.

In der Frachtindustrie gibt es eine ausgeprägte Klassenstrukur. Die Leute, die an den Zügen arbeiten, stehen ganz unten. Danach kommt das Personal im Kontrollturm, und über denen stehen die Polizisten und Manager. Die Arbeiter können die Polizisten nicht leiden, dafür kommen sie mit den Tramps gut zurecht. Sie wollen nicht, daß du Unsinn machst oder daß dir etwas zustößt, aber wenn du die richtigen Fragen stellst, merken sie sofort, daß du weißt, wovon du sprichst.

Es ist schon passiert, daß Arbeiter Züge für mich aufgebrochen haben, einmal haben sie sogar per Funk einen Zug angehalten, damit ich mitfahren kann. In manchen Höfen haben sie mich auch schon in ihren Ruheraum mitgenommen, wir haben gemeinsam ferngesehen und uns über Züge unterhalten.

In anderen Bahnhöfen seid Ihr aber nicht gerade erwünscht.

In manchen Höfen sind die Arbeiter wirkliche Arschlöcher, sie erzählen dir gar nichts oder rufen sofort die Polizei, andere Höfe sind angenehmer. Es hängt einfach von der Bahnpolizei ab.

Tauschen sich die Hobos untereinander aus, welcher Hof okay ist, oder verläßt Du Dich auf Deine eigenen Erfahrungen?

Beides. Die Höfe und sogar ganze Bahngesellschaften ändern sich ziemlich schnell. Wenn ich mitkriege, daß Freunde von mir irgendwo Ärger hatten, verhalte ich mich ein Stück unauffälliger, wenn ich da das nächste Mal durchkomme.

Vor einem Jahr hat uns in Denver die Bahnpolizei erwischt und aus dem Hof gescheucht. Nach ein paar Bieren sind wir zurückgekommen, und die Stadtpolizei hat uns mit ihren Hunden gekriegt und mit gezogenen Waffen bedroht. Wir dachten, daß sie uns jetzt einsperren, aber der Bahnpolizist war zu faul aufzustehen, um die Anzeige aufzunehmen. Also haben sie uns gehen lassen. Und schließlich haben wir ein paar Stunden später einen Zug erwischt - alles im selben Hof.

Wie verhält man sich, wenn Bahnpolizei auftaucht, redest Du mit ihnen, oder versuchst Du, einfach wegzurennen?

Wenn du rennst, kannst du gleich ein großes rotes Schild mit der Aufschrift "schuldig" mit dir rumtragen. Wenn du vor einem Bahnpolizisten davonläuftst, wird er versuchen, dich zu kriegen, er wird die Hunde holen. Nachts hast du dagegen gute Chancen wegzukommen. Die Höfe sind voll mit Zügen, und die dürfen sie nicht überqueren, bevor sie geprüft haben, daß sie nicht bewegt werden. Wir können in drei Minuten ein Dutzend Züge überqueren, uns unsichtbar machen und dann schauen, daß wir rauskommen, bevor sie die Hunde holen - wenn wir ihnen überhaupt so wichtig sind.

In der Regel fragen sie nur nach einem Ausweis und versuchen rauszukriegen, was deine Geschichte ist, was du da draußen treibst. Es gibt Travellers, die wissen, was sie tun, und solche, die es nicht wissen. Genauso gibt es zwei Arten von Bahnpolizisten. Du wirst niemals mit einem auskommen, der nicht versteht, warum du da draußen bist. Auch wenn sie dich nicht einsperren, sie werden dich zumindest belehren und versuchen, dich einzuschüchtern. Aber manche sind ziemlich cool.

Manchmal lassen sie dich sogar auf den Zug, oder sie schmeißen dich einfach raus und sagen: "Meine Schicht geht bis um sechs, versuch's danach nochmal."

Bist Du schon mal angezeigt worden?

Ich habe in Cleveland ein paar Tage gesessen. Ein Freund und ich sind auf der hinteren Lokomotive mitgefahren. Es hat geregnet, und wenn ein Zug zwei oder mehr Loks hat, funktioniert das. Wir wachten in Cleveland auf und bemerkten, daß sie das Personal austauschten, also mußten wir runter. Es war ein Zug mit dringender Ware, und die Polizei hat auf diese Züge eher ein Auge. Der Schlafsack meines Freundes hat sich aufgerollt, und genau in diesem Moment kam die Bahnpolizei. Der Kerl hat aber nur gefunkt, und vor uns war ein leeres Grundstück mit einem Zaun dazwischen, also dachten wir, er will einfach, daß wir verschwinden. Also sind wir über den Zaun, aber dahinter war auf einmal sehr viel mehr Polizei ...

Bist Du meistens allein unterwegs?

Ungefähr ein Drittel der Zeit. Es ist schön, mit anderen unterwegs zu sein, aber ich bin auch gern allein. Am Anfang hatte ich davor ziemliche Angst.

Aber unterwegs triffst Du auch Leute.

Nicht an der Ostküste. Im Osten von Chicago und nördlich von Carolina ist kaum jemand unterwegs. Die Städte sind zu dicht aneinander, Tramps mögen das nicht so.

Hast Du ein bestimmtes Ziel oder springst Du einfach auf den Zug und siehst dann, wo er hinfährt?

Kommt drauf an. Manchmal lege ich mich schlafen, ohne mich darum zu kümmern, wo der Zug hinfährt.

Wie lange würdest Du brauchen, um von hier bis an die Westküste zu kommen?

Von hier (New York; S.H.) bis Chicago sind es drei Tage, von dort bis nach Kalifornien nochmal drei oder vier Tage. Aber wenn du Pech hast, kann es auch drei Wochen dauern. Es gibt einen Zug, der in drei Tagen von New Jersey bis nach Kalifornien fährt, der TVLA. Aber der Zug transportiert nur Sattelschlepper, und es gibt nur eine Möglichkeit, auf diesem Scheißzug mitzufahren: Du mußt dich auf der Achse eines Lkw verstecken und dich mit irgendwas tarnen. Dann kannst du es schaffen. Aber ich war ein einziges Mal drei Tage auf einem Zug unterwegs, danach hast du für eine Weile genug.

Halten die Züge auf offener Strecke an?

Des öfteren. Viele Hauptstrecken sind eingleisig, also müssen manche Züge auf einem Nebengleis halten, um einen anderen Zug passieren zu lassen.

Kann man eigentlich als Traveller die Zugtoilette benutzen?

Das ist eine Geschlechterfrage, für Männer ist es schlicht einfacher, von einem Zug zu pissen. Neulich ist eine Frau umgekommen. Sie pißte von einer Leiter, der Zug schlingerte und schleuderte sie aufs Gleis. Manche Frauen benutzen Plastiktüten.

Sind auf den Zügen viele Frauen unterwegs?

Eine ganze Menge sogar. Ich weiß nicht, warum, aber ich finde das großartig. Ich habe eine Menge Respekt davor, vor allem, wenn zwei Frauen zusammen unterwegs sind. Alleinreisende Frauen sind selten, aber manche machen auch das. Viele haben einen Hund mit, der ihnen unangenehme Leute vom Hals hält.

Wie finanzierst Du Dich, verdienst Du unterwegs Geld?

Ich war auf Lebensmittelmarken, habe auf Bauernhöfen gearbeitet oder vor Geschäften aufgeräumt. Ich steh' nicht besonders auf schlecht bezahlte Jobs, aber ich tu, was ich tun muß. Außerdem mache ich unterwegs Fotos, ziehe die Abzüge auf Karton und verkaufe sie dann.

Hast Du Dich schon mal verletzt?

Wenn du von einem zu schnellen Zug abspringst, frißt du halt Staub, du kugelst durch die Gegend und holst dir ein paar Schürfwunden. Einmal rannte ich neben einem Zug her, um einer Freundin zu helfen, die das zum ersten Mal machte. Meine Füße verfingen sich in irgendwas, ich fiel in Scherben und meine Hand mußte genäht werden. Aber das war auch schon das Schlimmste.

Seit Anfang des Jahrhunderts reisen Hobos durch die USA. Dieses Leben zieht jetzt immer mehr junge Menschen an, die abseits des Mainstream leben wollen. Du gehörst zu dieser neuen Hobo-Generation.

Ich versuche nicht, einen Zusammenhang zu konstruieren und von einer neuen Generation zu sprechen, nur weil ich in dieser Zeit lebe. Ich kriege Zustände, wenn jemand versucht, eine Bewegung von Leuten intellektuell einzuordnen. Aber es werden langsam mehr Leute. Ich will nicht alle in einen Topf werfen, aber ein paar sind definitiv aus den falschen Gründen unterwegs. Leute, die das Leben von Nomaden imitieren, zum Spaß ein bißchen durch die Gegend fahren und keinerlei Respekt vor dem Leben der Menschen haben, die das jeden Tag machen. Sie machen den Leuten, die wirklich auf der Straße leben, eine Menge Ärger.

Anfänglich war das eine Subkultur, mit der der Mainstream nichts zu tun haben wollte. Aber jetzt machen sie das schmackhaft. Sie treiben sich in den Bahnhöfen rum, weil sie irgendwo einen Artikel darüber gelesen haben und werden vielleicht getötet. Oder sie machen eine Netzseite darüber, das ist das Schlimmste.

Triffst Du viele Schwarze oder Latinos auf den Zügen?

Eine Menge Hobos sind mexikanische Wanderarbeiter. Das klassische Bild von einem Hobo ist ein Wanderarbeiter in der Landwirtschaft. Sie arbeiten in den Feldern und fahren auf der Suche nach Arbeit von Ort zu Ort. Das sind die wirklichen Hardcore-Tramps. Sie haben es am härtesten, die Bahnpolizei behandelt sie wie Dreck, wie Tiere. Sie haben nicht viel bei sich, man nennt sie Streamliners. Der mexikanische Hobo benutzt einen zugenähten Pullover als Tasche. Wenn es zu kalt ist, wird die Tasche wieder zum Pullover.

Schwarze sind auf den Schienen eine absolute Minderheit, es ist einfach zu hart für sie. Wenn du als Schwarzer auf einem Güterzug erwischt wirst, behandeln sie dich nicht als Tramp, sondern beschuldigen dich, in den Zug einbrechen zu wollen.

Gibt es Konflikte zwischen den Mexikanern und anderen Hobos?

Es gibt ein paar ziemlich rassistische Tramps, sie reisen in Gruppen von vier oder fünf Leuten, ein paar Mexikaner machen das auch so. Es hat Kämpfe gegeben. Aber die Menschen auf der Straße haben auch einen gewissen Respekt voreinander. Manche kapieren das nicht, Leute, die mit schicken Rucksäcken durch die Gegend fahren und ihre kleinen Annehmlichkeiten dabei haben. Es ist offensichtlich, daß das Touristen sind - und natürlich werden sie ausgeraubt.

Was hast Du gemacht, bevor Du mit dem Reisen begonnen hast?

Ich habe eine Schauspielausbildung, klassisches und experimentelles Theater. Nachdem ich meinen Abschluß hatte, hätte ich ganz unten auf der Karriereleiter einsteigen können. Ich bin davor schon auf Güterzügen mitgefahren, aber ich fühlte mich nie wirklich mit dem Leben verbunden, das dazugehört. Außerdem kannte ich sonst niemanden, der das machte, es waren ganz andere Leute.

Ich hatte nur mit Akademikern zu tun, eine völlig verschiedene Welt. Dann traf ich auf andere Tramps, und sie brachen mein gesamtes Weltbild auf. Ich konnte einfach nicht mehr zurück in die Welt dieser Künstler, die über irgendwelchen Theorien von einem besseren Leben masturbierten. Weißt du, wen ich meine? Leute, deren Leben nichts mit ihrer Kunst zu tun hat.

Aber nach all den Jahren der Heimatlosigkeit habe ich immer noch Lust darauf, andere Menschen zu treffen und mich mit ihnen auszutauschen. Mein Leben unterwegs ist eine Performance für sich - unsichtbares Theater. Ich fahre bei jemand als Anhalter mit oder unterhalte mich mit einem Bahnarbeiter, und wenn wir ein gutes Gespräch haben, gehen sie in Zukunft vielleicht anders auf andere Leute zu. Oder sie erzählen ihrer Familie davon. Das ist natürlich keine Performance im herkömmlichen Sinn, niemand sonst macht so etwas.

Welche Möglichkeiten gibt es denn in unserer Gesellschaft, andere Leute kennenzulernen, die Geschichten anderer Leute zu hören oder die Hand eines Fremden zu berühren? Die Menschen sind einfach viel zu verängstigt. Wenn du per Anhalter fährst, lassen dich Tausende von Leuten stehen, bis dich am Ende einer mitnimmt.

Gibt es die Hobo-Camps noch?

In den Teilen des Landes, in denen mehr Tramps verkehren, ja. Die Leute sagen, daß die Jungles (Hobocamps; S.H.) von früher stets sauber gewesen seien und immer ein Kaffee auf einen gewartet habe. Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll, ich denke, das ist Unsinn. Heute sind sie ziemlich fertig, es gibt eine Feuerstelle und ein paar alte Möbel, überall liegen Flaschen, Müll und Scheiße rum. Es kann gefährlich sein, mit Unbekannten in einem Jungle abzuhängen und zu trinken. Wenn ich die Leute nicht kenne oder mich nicht richtig wohlfühle, mache ich lieber mein eigenes Camp auf.

Gibt es unter Hobos so etwas wie einen Ehrenkodex?

Wenn du aufwachst und 20 Dollar weg sind und du rausfindest, wer es war, schreist du nicht rum, sondern du stößt ihn vom Zug oder benutzt dein Messer. 20 Dollar sind viel Geld, wenn du nichts hast. Und es geht dabei nicht mal um das Geld. Wenn du auf der Straße bist, sind die Beziehungen zu anderen Leuten die einzige Stabilität, die du hast. Wenn du den Leuten, neben denen du schläfst, nicht trauen kannst, dann müssen sie dafür bezahlen. Das kommt vor. Die meiste Gewalt auf der Schiene passiert zwischen Leuten, die sich kennen.

Wie denkt die Gesellschaft über Dein Leben?

Das ist sehr unterschiedlich. Manche halten es für sehr romantisch, manche bemitleiden mich. Und dann gibt es noch religiöse Leute, die versuchen, meine Seele zu retten.

Du fährst nicht ausschließlich mit dem Zug.

Nur mit dem Güterzug fahren, funktioniert einfach nicht. Manchmal fährt ein Zug in die falsche Richtung, oder du landest irgendwo im Niemandsland, auch das passiert. Außerdem komme ich mit Trucks einfach besser voran. Ich hab das ziemlich gut raus, ich habe ein Funkgerät mit, gehe auf Kanal 19 und gebe mich als Trucker aus.

Fühlst Du Dich als Nomade?

Reisen ist ein Teil meines Lebens. Ich muß irgendwann noch einen Weg finden, um mich damit zu finanzieren. Ich möchte irgendwann einmal Land in Tennessee kaufen, aber ich weiß, daß ich auch dann noch reisen werde.

Beschreib mal, wie Deine erste Fahrt ausgesehen hat.

Ich bin einfach los und hab's gemacht, ich hatte einen Freund dazu überredet, indem ich ihm von der Hobo-Romantik vorschwärmte. Das war ohnehin alles, was ich bis dahin darüber wußte. Er hatte ziemliche Angst, ich aber nicht. Vor zwei Jahren, nachdem ich vier Jahre auf Güterzügen unterwegs war, fand ich heraus, daß mein Großvater ein Hobo war - und dann Bahnpolizist wurde. Später stellte sich heraus, daß meine Vorfahren aus Rumänien kamen, womöglich Roma.

Wie verändert das Reisen auf den Zügen die Menschen?

Manche Menschen öffnen sich dadurch. Aber wenn sich jemand nicht verändern will, passiert überhaupt nichts. Ich habe Leute mit raus genommen, und es hatte nicht den geringsten Einfluß auf sie. Aber manchmal schmeißt es das gesamte Leben von Menschen um.

Ich hatte ein paar Romanzen unterwegs. In einem Café in Florida traf ich eine Frau, sie arbeitete dort, und ich fragte nach etwas Wasser. Wir verbrachten eine schöne Woche bei ihr zu Hause, dann verließ ich die Stadt. Später fand ich heraus, daß sie ihre gesamte Habe verkauft und ein Kätzchen weggegeben hatte, um sich auf den Weg zu machen. Sie hatte es vorher nicht mal ausprobiert und reiste per Anhalter quer durchs Land. Später fuhr sie zu dem Hobofestival in Iowa. Sie ist immer noch unterwegs, aber die Geschichte ist mittlerweile ein paar Jahre her.

Also hast Du ihr Leben ziemlich durcheinandergebracht.

Ich habe sie dem nur ausgesetzt. Das ist mit vielen Sachen so, egal ob du per Anhalter reist oder Häuser besetzt. Du weißt, daß es da draußen Leute gibt, die so etwas machen. Aber wenn du nicht weißt, wie man's anstellt, wird es nicht Realität.

Das hat eine Menge mit Angst zu tun.

Richtig, es gibt eine ganze Menge mieser Klischees. Die meisten Leute denken, daß sie dich entweder einlochen, oder daß dich der Zug oder ein anderer Hobo umbringt. Mir ist noch nie etwas passiert - stimmt nicht ganz, einmal entgleiste ein Zug, doch das war kein wirkliches Problem. Dann war da noch eine Notbremsung, die ich allerdings verschlafen habe - die Crew konnte es nicht glauben.

Aber es passiert schon, daß Leute, die auf den Zügen fahren, dabei ums Leben kommen.

Gemessen an den Tausenden von Leuten, die unterwegs sind, ist die Anzahl ziemlich gering. Außerdem gibt es Gründe dafür: Das größte Problem ist der Alkohol, der bringt die meisten Leute um. Leute besaufen sich und versuchen dann, auf Waggons aufzuspringen. Stell dir deinen Körper im Vergleich zu einem fünf Tonnen schweren Waggon vor.

Springst Du manchmal auf fahrende Züge auf ?

Ständig.

Und das ist vermutlich die gefährlichste Übung von allen.

Nicht wirklich. Am gefährlichsten ist das Auf- und Abspringen von geschlossenen Waggons, weil die Kante der Ladefläche ziemlich hoch ist. Die meisten andere Waggons haben Leitern, du rennst also einfach neben dem Zug her. Es gibt richtige oder falsche Wege, deshalb brauchst du jemand, der es dir zeigt.

Die Bahnpolizei fühlt sich von Euch provoziert. Sonst stört Ihr niemand, durch Eure Art zu reisen?

Allein der Gedanke daran stellt das ganze amerikanische System in Frage. Die gesamte Wirtschaft des Landes basiert darauf, daß sich die Menschen niederlassen, daß sie Kreditkarten und Rechnungen haben und ein Leben, für das sie verantwortlich sind. Meine Güte, was würde passieren, wenn es keine Kreditkarten mehr gäbe ... Die ganze Struktur wäre bedroht, wenn die Menschen die Freiheit hätten, sich zu bewegen und mehr Zeit unterwegs zu verbringen. Aber die haben sie eben nicht. Es ist noch schlimmer: Die Leute denken, die Welt geht unter, wenn ihnen jemand ihr Auto wegnimmt.

Dann ist die Hobo-Existenz eine Form der Subversion.

Darum geht es überhaupt nicht mehr, ich denke mittlerweile anders: Es ist ein Glücksfall, daß ich diese Leute gefunden habe. Sie sind eine verschwindend geringe Minderheit, eine Sorte von Menschen, die seit Ewigkeiten verfolgt wird, Zigeuner zum Beispiel. Zigeunerverfolgung gibt es seit 400 nach Christus, und der Kampf zwischen Menschen, die frei sein wollen, und denen, die sie kontrollieren, findet seitdem statt. Die Leute, die kontrollieren, haben gewonnen. Wir sitzen hier und quatschen, aber ihre Maschine arbeitet 24 Stunden am Tag. Sie haben die Ressourcen und die Mehrheit der Menschen hinter sich, so funktioniert das.

Vielleicht sind wir ein integraler Bestandteil der Gesellschaft, und wenn wir vollständig ausgelöscht sind, gerät alles völlig durcheinander, wer weiß. Es hat mich eine Menge Zeit und Kraft gekostet, um in der Position zu sein, das sagen zu können. Und das kann mir kein Mensch jemals wegnehmen. Sie können von mir aus versuchen, es zu imitieren oder es selbst zu durchleben, aber sie können es nicht haben. Das ist traurig, denn eigentlich würde ich all das gerne teilen. Aber Menschen sind einfach verschieden, und nicht jeder ist in der Lage, sich zu ändern. Es ist wohl auch nicht für jeden das richtige. Aber unglücklicherweise gibt es immer weniger von uns.

Noch was, falls Du Spaß an apokalyptischen Debatten hast: Wenn die ganze Scheiße eines Tages runterkommt, werden zwei Gruppen übrig bleiben: Die ganz Reichen, weil sie die Ressourcen kontrollieren, und die ganz Armen, Menschen wie ich oder die Menschen, die mir wichtig sind. Wir wissen nämlich, wie man ohne irgend etwas zurecht kommt. Die Mittelklasse allerdings ist ziemlich am Arsch.