Radio Days

Herrschaftsfrei im Studio

Die ProtagonistInnen der "souveränen Medien" ersetzen die Kritik der Inhalte durch die Kritik der Methode.

In einem Waldstück am Kaiserstuhl: Bauern, Winzerinnen und Städter aus dem nahen Freiburg wehren sich gegen den drohenden Bau des AKW Wyhl. Ihre Wut gilt nicht nur der prügelnden Staatsgewalt: Der Südwestfunk polemisiert aus seinem bequemen Monopol gegen sie, die auf Atomkurs eingeschworene Lokalzeitung tut ein übriges.

Die Schläge ins Kreuz wären auszuhalten gewesen. Die Schläge ins Gesicht, abends um viertel vor acht aus der Glotze, ließen sie den Gesetzen trotzen und den Kampf aufnehmen gegen die herrschenden Medien. Parole: Gegenöffentlichkeit, Methode: Piratenradio, Premiere: 4. Juni 1977.

Heute halten die Kinder der ehemaligen Piraten im längst legalisierten Radio Dreyeckland Einzug. Sie finden sich inmitten einer völlig veränderten Medienlandschaft wieder: Kommerzfernsehen und Satellitenradio sind alltäglich, ganz zu schweigen von den Nischen, die die neuen Medien bieten: Die eine surft im Internet, der andere hört nur noch selbstgebrannte CDs. Inhaltlich ist heute fast alles möglich, darf politische Kritik in deutlich weiterem Rahmen über Sender und Redaktionstische gehen. Der Deutschlandfunk stellt in einem 45-minütigen Feature wohlwollend die Kampagne "Kein Mensch ist illegal" vor. Ein Trend zu kritischen Mainstream-Medien? Ist der medial-staatliche Komplex zerfallen?

Keineswegs: Die monopolartige Stellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist lediglich einer bunten Fassade gewichen - hinter Fantasie-Namen wie Pro 7 oder Radio Regenbogen verbergen sich wenige weltweit kassierende Medienkonzerne. Sie lassen plaudern bis zum Erbrechen, explizit politische Parole tritt in den Hintergrund vor der Jagd nach Quote. Resultat: Opium fürs (pardon) Volk. Dachten wir einst, die Einführung des Kommerzrundfunks führe zu unmittelbar-loyalem Programm, müssen wir heute feststellen: Die Satelliten bringen weder gleichgeschaltetes noch Einheitsprogramm im Dienste der herrschenden Verhältnisse. Der Schein der Freien Presse bleibt gewahrt, Gräfin Dönhoff als Vorsitzende des Orwellschen Wahrheitsministeriums könnte sich entspannt zurücklehnen, die Geschäfte laufen bestens: Selbst im Internet wird spiegel.de in einigen Minuten so oft angeklickt wie die Seite der Wendland-Initiativen im ganzen Jahr.

In einer solchen Situation nun behaupten die ProtagonistInnen der "souveränen" Medien allen Ernstes, Gegenöffentlichkeit sei Schnee von gestern. Mir scheint, als ersetze deren Kritik der Methode die Kritik der Inhalte: Wer jemals ein Radioprogramm gesucht hat, in dem gesellschaftliche Verhältnisse kontinuierlich von ihrer Wurzel her, also radikal betrachtet wurden, wird wohl kaum fündig geworden sein. Der hegemoniale Diskurs ist durchgängig ein Diskurs zu der Frage, mit welchen Methoden die Verhältnisse am wirkungsvollsten stabilisiert werden können. In der täglichen Presseschau soll die Gegenüberstellung von liberaler taz und nationalchauvinistischer FAZ die Freiheit der Medien beweisen, in der Talk-Runde treffen die wirtschaftspolitischen Vorstellungen von Schröder und Hundt "hart aufeinander". Auch die sogenannte Frauenfrage ist öffentlich: Die Familienministerin ist entrüstet, daß noch immer keine Gleichberechtigung herrscht hierzulande.

Gegenöffentlichkeit? Ja, genau: Die Machtfrage aufwerfen! Gibt es ein Leben jenseits von Sozialdemokratie und neoliberaler "Modernisierung"? Eine Diskussion über die Rolle von Frauen und Männern jenseits ökonomischer Verwertbarkeit? "Grenzen auf für alle?" - welche Interessen haben denn erst zu einer Situation geführt, in der wir diese Forderungen erheben müssen? Vielleicht scheinen schon heute die Umrisse einer herrschaftsfreien Gesellschaft durch ein Programm, hinter dem weder Intendant noch Chefredakteur stehen.

Gewiß, politischem Propagandaradio, das sich beschränkte auf das Ablesen von Flugblättern und das Einlegen der jeweils aktuellen CD von Chumbawamba, trauert kaum jemand nach. Auch die Fraktion "Nürnberger Trichter", die schlicht glaubte, die Revolution durch permanente Wiederholung der korrekten Botschaft herbeiagitieren zu können, ist deutlich geschrumpft.

Allein deshalb aber Freies Radio in Frage zu stellen, weil sich Herrschaft und Unterdrückung auch kulturell, also auch im Radioprogramm und seinen Formen widerspiegeln, erscheint mir mehr als fragwürdig: Wenn der letzte Hörer wegen des irritierenden Programms das Freie Radio abgeschaltet hat, dann ist dies nicht ein emanzipatorischer Schritt, sondern die Abschaffung des Freien Radios. Lustige Collagen, bei deren Produktion die AutorInnen erklärtermaßen Spaß haben und nicht unbedingt eine interessante Sendung erstellen wollen, mögen individuell ihre Berechtigung haben. In einer politischen Nachrichtensendung sind sie kontraproduktiv. Gegenöffentlichkeit: "Es tut mir gut, wenn ich höre, daß ich nicht allein bin bei meinem Versuch, einigermaßen aufrecht weiterzugehen. Einem Versuch, über den die Collagefraktion nur lacht, weil sie selbst nicht geht, sondern schwebt", höre ich aus Tübingen.

Neue, kreative, mit Spaß produzierte Radiosendungen tun not, nicht die Aufgabe des Wunsches, Menschen zu erreichen. Wer jemals im Studio saß und kaum mehr selbst zu Wort kam, weil sich die HörerInnen Wortgefechte lieferten, weiß, wovon ich spreche.

Wer heute meint, Informationen ausgerechnet in Freien Radios "entweihen" zu müssen, zeigt ein merkwürdiges Verhältnis zur eigenen politischen Arbeit. "Willst du nicht für die Disko einen Artikel schreiben - so 4 000 Zeichen?" Wetten, daß mein Gegenüber nicht versucht, die Information der Jungle World zu entweihen, also keine Collage, sondern einen ernstgemeinten Artikel abgibt? So macht Zeitunglesen Spaß. Radiohören auch.