Radio Days

Piraterie und Bürgerfunk

ÄthertäterInnen kämpfen im Dschungel der Institutionen

"Die Mitglieder des Bundesverbandes Freier Radios (BFR) betreiben und unterstützen nichtkommerziellen, basisdemokratischen Gesellschaftsrundfunk, der sich kritisch mit den bestehenden Gesellschaftsverhältnissen auseinandersetzt", so heißt es in der Präambel des 1993 gegründeten BFR.

Dieser kleinste gemeinsame Nenner wird von Rundfunk Meißner (RFM) in Eschwege, das "die Identifizierungsmöglichkeiten der Bevölkerung mit ihrer Region" fördern will, ebenso geteilt wie vom Radio Flora in Hannover, bei dem MigrantInnen mit dreizehn Redaktionen eine starke Lobby haben. Und während sich beim nichtkommerziellen Radio X-Mix die Frankfurter DJ-Szene die Klinke in die Hand gibt, bleiben Frauenradioinitiative sowie andere politische Gruppen, einst Basis der Radiobewegung, frequenzlos.

Anders als beim Freiburger Radio Dreyeckland (RDL) beziehen sich die in den letzten Jahren gegründeten Freien Radios kaum mehr auf piratische Anfänge. ÄthertäterInnen der jüngeren Vergangenheit sind, wie Radio F.R.E.I. aus Erfurt, vor allem noch in Ostdeutschland zu finden. Die 27 Mitgliedsradios des BFR senden heute meist ganz legal. Sie bemühen sie sich um die medienrechtliche Verankerung der "Dritten Säule", die die Bipolarität von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk um werbefreien und lokalen "Bürgerfunk" ergänzen soll.

Die Freie Radios der neunziger Jahre nehmen also ihre Institutionalisierung bewußt selbst in die Hand. So haben Radioinitiativen wie Radio Unerhört (RUM) in Marburg zunächst an ihren gesetzlichen Rahmenbedingungen gearbeitet, bevor ihr Programm überhaupt hörbar wurde. Nie hatten sie sich zum Ziel gesetzt, einer sozialen Bewegung einen Sendemast zu bauen. Freies Radio soll heute in erster Linie Kommunikationsmedium sein. Vorbei sind auch die Zeiten, in denen RadiomacherInnen ohne Geld auskamen - und ohne Abhängigkeit von öffentlichen Mitteln.

Der BFR fordert zwar eine bundesweit einheitliche Finanzierungsregelung, nach der zwei Prozent des von der Gebühreneinzugszentrale (GEZ) kassierten Gelder an die nichtkommerziellen Sender gehen soll. Bislang existieren allerdings nur Abmachungen auf Länderebene. Den größten Zuschuß erhält Radio Flora aus Hannover. Für 580 000 Mark jährlich müssen es sich die FunkerInnen denn auch gefallen lassen, "Modellprojekt" der Landesmedienanstalt Niedersachsen zu sein. Anders in Baden-Württemberg: Mit rund 50 000 Mark jährlich muß sich das Karlsruher Radio Querfunk zufrieden geben. RUM-Mitarbeiter Thomas Dolla spricht bei einem Haushalt von 360 000 Mark vom "Widerspruch zwischen Unabhängigkeit und Größenwahn". Denn die Landesanstalt für Privaten Rundfunk (LPR) entscheide, was und wie RUM produzieren darf. Und schon 1999 wird in der Behörde erneut über die Lizenzvergabe diskutiert.

Wohin die finanzielle Abhängigkeit führen kann, sollten das Freiburger RDL und die Karlsruher QuerfunkerInnen im Sommer 1996 zu spüren bekommen: Weil sich die AlternativfunkerInnen geweigert hatten, beim Landesamt für Kommunikation Sendeaufzeichnungen abzugeben, wurden allein RDL rund 160 000 Mark Fördergelder vorenthalten. Die Stuttgarter Behörde wollte kontrollieren, ob zu einer verbotenen PKK-Demonstration aufgerufen worden war.

Ohne staatliche Zuschüsse könnte jedoch derzeit kaum ein nichtkommerzieller Sender überleben. Allein die zahlenden Mitglieder können die Kosten nicht tragen. Bei Radio Z, das wie RDL auf eine zehnjährige legale Sendepraxis zurückblicken kann, geht man sogar noch weiter: Die Nürnberger RadiomacherInnen senden auch kommerzielle Werbung. Damit verstößt Radio Z gegen einen Grundsatz des BFR. Da sie die "Mikrofon-Hemmschwelle" deutlich erhöhe, spricht sich der Verband gegen Werbung aus. Sendungen müßten dann festen Standards und Formaten genügen. Der offene Zugang würde eingeschränkt.

Etwa 30 000 Mark, ein Zehntel des Haushaltes, werden in Nürnberg durch Konzertankündigungen und Plattenpromotion finanziert. Die Auswahl trifft die Musikredaktion. "Wir können nicht so tun, als gäbe es den Kapitalismus nicht", begründet auch Andreas Hillert von Radio Flora, warum er den tabufreien Umgang mit Kommerzialität für nötig hält. Die Freien Radios müßten sich darüber klar werden, daß auch sie kommerziell funktionieren. Wenn DJs durch ihre Sendungen die kommerziellen Läden, in denen sie auflegen, vorstellen, so sei das schließlich auch Werbung. Hillert: "Wir müssen Kommerzialität allgemeingesellschaftlich diskutieren - und das bedeutet Kapitalismus zu diskutieren".