Mikado in Tokio

Die Wirtschaftskrise in Japan macht die Börsenwelt nervös

Schon in ein bis zwei Jahren werde sich Japans Konjunktur völlig erholt haben, kündigte vollmundig der neue japanische Ministerpräsident Keizo Obuchi in seiner ersten Regierungserklärung vergangene Woche an. Sein ehrgeiziges Ziel will er durch ein weiteres Konjunkturpaket und durch die Sanierung der Banken erreichen. Schon seit sieben Jahren liegen die Wachstumsraten des Landes der aufgehenden Sonne nahe Null, mittlerweile ist die Volkswirtschaft sogar in die Rezession abgerutscht. Auch die Wirtschaftslage und die Börsenkurse anderer Kontinente zieht die japanische Krise zunehmend mit nach unten. Obuchi plant, die Einkommens- und Unternehmenssteuer um sieben Billionen Yen (85 Milliarden Mark) zu senken, um damit bei der Bevölkerung die erwünschte Reaktion - Mehrkonsum - hervorzurufen. Zur Finanzierung der Steuersenkungen will der Vorsitzende der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) Staatsanleihen ausgeben.

Ob die Verringerung der Einkommenssteuer den gewünschten Effekt beschert, ist jedoch fraglich, da die Erwerbstätigen das Geld in Anbetracht der steigenden Arbeitslosigkeit wohl lieber als Reserve auf die hohe Kante legen. Ebenfalls ungewiß ist, ob die Steuersenkung tatsächlich von langer Dauer sein wird: Die meisten Beobachter der japanischen Politik rechnen nicht mit einer langen Amtszeit Obuchis. Jeder Anleger, der in Japan Investitionen tätigen möchte, kann sich an fünf Fingern abzählen, daß die japanische Regierung die angehäuften Schulden irgendwann mittels Steuereinnahmen bedienen muß.

Schon heute übersteigt die Staatsverschuldung Japans das Bruttoinlandsprodukt. Zum Vergleich: Beim Euro hätte das Inselreich keine Chance. An der Europäischen Währungsunion kann nur ein Land teilnehmen, dessen Staatsververschuldung 60 Prozent des BIP nicht übersteigt. Den zweiten Teil von Obuchis Konjunkturprogramm bildet ein keynesianischer Nachtragshaushalt in Höhe von zehn Billionen Yen (125 Milliarden Mark) - ebenfalls durch Kredite finanziert. Innovativ ist dieses Programm nicht: Seit 1992 schnürte die japanische Regierung bereits neun solcher Konjunkturpakete aus staatlicher Nachfragesteigerung und Steuersenkungen. Insgesamt 70 Billionen Yen kosteten diese, das entspricht nach heutigem Umrechnungskurs 900 Milliarden Mark. Keines davon bewirkte auch nur kurzfristig die erwarteten Wachstumsraten. So ist auch jetzt kaum zu erwarten, daß sich diesmal der ersehnte Erfolg einstellt. Hinzu kommt, daß die Bevölkerung auch wegen der sich abzeichnenden Deflation ihre Ausgaben schmälern wird.

Die Befürchtungen, die Unternehmerkreise vor der Wahl Obuchis hegten, scheinen sich zu bestätigen, denn der 61jährige gilt als in Wirtschaftsfragen inkompetent. Seinen Posten verdankt der politisch konturlose Staatsmann dem internen Machtgefüge der regierenden Liberaldemokratischen Partei. Der ehemalige Außenminister ist seit 35 Jahren im Parlament, in dieser Zeit fiel er hauptsächlich dadurch auf, daß er auf seinem Weg an die Spitze nicht auffiel. Bereits der Vater des Kopfes der größten LDP-Gruppe war Abgeordneter. Ein wahres Relikt der japanischen Machtelite ist auch der neue Finanzminister Keiichi Miyazawa. Der 78jährige Parteiveteran bekleidete bereits während der "Seifenblasenwirtschaft" in den achtziger Jahre schon einmal dieses Amt; nach einem Skandal um einen fingierten Wertpapier-Handel mußte er seinen Posten aufgeben - allerdings nur, um kurze Zeit später als Premierminister wieder zurückzukehren. Noch 1993 - die Rezession war längst im vollen Gange - verkündete er unbekümmert, daß sich die japanische Wirtschaft bald erholen werde.

Die Rekonvaleszenz ließ allerdings bis heute auf sich warten, insbesondere im maroden Bankenwesen. Obuchi hat in seiner Ansprache nun angekündigt, den unter seinem Vorgänger Ryutaro Hashimoto ausgearbeiteten Bankensanierungsplan durchzuführen. Die Masse von faulen Krediten, die auf Japans Kreditinstituten lastet, und der daraus resultierende Mangel an Vertrauen in den Finanzbereich ist die zentrale Ursache für die schwache Konjunktur. Analysten rechnen damit, daß die Sanierung umgerechnet eine Billion Mark kosten kann - mehr, als alle Konjunkturprogramme der letzten sieben Jahre zusammen. Zur Finanzierung will Obuchi die Verwaltungskosten senken und die Zahl der Staatsbeamten um 20 Prozent reduzieren. Die zu erwartende höhere Arbeitslosigkeit ist natürlich wenig geeignet, Obuchis Ziel - die Verbraucher zu größeren Ausgaben zu bewegen -, zu ereichen; folglich sank der Kurs des Yen gegenüber dem Dollar nach der Regierungsansprache weiter. Der Yen-Abstieg könnte sich etablieren. Vor kurzem hatte die Ratingagentur Moody's angekündigt, die Kreditwürdigkeit Japans möglicherweise schlechter zu benoten. Das renommierte Wirtschaftsinstitut Standard & Poor's DRI entwarf ein Katastrophenszenario, das von einer 25prozentigen Wahrscheinlichkeit ausgeht: ein scharfer Wachstumseinbruch in Japan von mindestens zwölf Prozent in diesem und im nächsten Jahr, ein Rückgang der Wachstumsrate in China von derzeit acht auf ein Prozent und ein Schuldenmoratorium für Indonesien. In der Folge würde der japanische Yen von derzeit 145 auf 200 Yen je Dollar abgewertet, was wiederum eine Freigabe der chinesischen Währung und deren Wertverlust von 40 Prozent nach sich ziehen würde. Auch die asiatischen Schwellenländer müßten dann ihre Währungen nach unten korrigieren. Das würde zwar deren Exportfähigkeit steigern. Da die asiatischen Länder hauptsächlich innerhalb des Kontinents exportieren, wäre dieser Effekt jedoch nur gering. Die Spirale nach unten wäre dann kaum aufzuhalten. Nicht unwahrscheinlich sei, daß die Folgen noch drastischer ausfallen werden.

Jenseits des asiatischen Binnenlandes sind die Folgen der Krise immer deutlicher zu spüren. Die Rezession in Japan belastet mittlerweile auch die Konjunktur in den Vereinigten Staaten. Die positive Entwicklung der ersten beiden Quartale werde sich nach Einschätzung US-amerikanischer Wirtschaftsblätter voraussichtlich nicht fortsetzen, die Gewinne der Unternehmen fallen deutlich geringer aus, als bisher angenommen. Diese Erwartung bewirkte, daß der Dow-Jones-Index in den letzten Wochen um rund zehn Prozent nachgab, an einem Tag brachen die Kurse sogar um 3,4 Prozente ein - der drittgrößte Sturz in der hundertjährigen Geschichte des Index.

Sagenhafte Steigerungen der Unternehmensgewinne haben die Aktienkurse in den letzte Jahren in die Höhe getrieben: Lag der Dow-Jones-Index Ende des letzten Jahres noch bei 6 000 Punkten, stieg er zwischenzeitlich auf über 9 000. Die rapiden Kursgewinne haben viele Kleinanleger dazu gebracht, sich an die Börse zu wagen. Wenn aber diese ihre Erwartungen nicht mehr erfüllt sehen, könnten sie sehr schnell wieder auf das traditionelle Sparbuch ausweichen - und einen wahren Dominoeffekt auslösen.