Auf dem Weg nach unten

Der IWF korrigiert seine Wachstumsprognosen nach unten, die Anzeichen für eine weltweite Deflation mehren sich

Selbst Berufsoptimisten bekommen langsam kalte Füße. So hat der Internationale Währungsfonds (IWF) vergangene Woche seine Konjunkturprognose nach unten revidiert. IWF-Chef Michel Camdessus erwartet für dieses Jahr ein weltweites Wirtschaftswachstum von nur zwei Prozent. Bisher hatte der Fonds eine Steigerung von über drei Prozent prognostiziert, vor einem Jahr hatte er für 1998 sogar ein Wachstum von vier Prozent angenommen.

Das Genfer Sekretariat der Uno-Konferenz für Handel und Entwicklung (Unctad) geht ebenfalls davon aus, daß das Wachstum der Weltwirtschaft in diesem Jahr nur magere zwei Prozent betragen wird. Den Grund für diese schlechten Daten sind dem Unctad-Bericht zufolge vor allem in der asiatischen Finanzkrise zu suchen.

Die sinkenden Wachstumszahlen werden sich allerdings kaum auf die bisherigen Problemregionen beschränken lassen. Bereits heute lebt ein Viertel der Weltbevölkerung in Ländern mit rückläufiger Wirtschaftsleistung. "Wenn der gegenwärtige Trend anhält, werden sich nächstes Jahr 60 Prozent der Welt in einer Rezession befinden", so der Chef-ökonom einer Investmentbank.

Auch US-Notenbankchef Alan Greenspan sah sich letzte Woche gezwungen, vor einer weltweiten Deflation zu warnen. In einer Anhörung vor dem US-Kongreß sagte er: "In Asien und vermehrt auch in anderen Teilen der Welt treten Deflationskräfte hervor, die sich klar in unsere Richtung bewegen".

Seine Äußerung stieß in Finanzkreisen auf große Aufmerksamkeit. Denn in den letzten Wochen vermehrten sich die Anzeichen, daß auch die USA bald von den Auswirkungen der Wirtschaftskrisen betroffen sein könnte. Nachdem die südostasiatischen Länder und Rußland in schwere Währungsturbulenzen geraten sind, haben viele Investoren ihr Geld auch aus Lateinamerika abgezogen. Um den Wechselkurs aufrechtzuerhalten, erhöhte Brasilien den Zinssatz auf 50 Prozent.

Bis Ende Oktober muß das Land jedoch Staatsanleihen in Höhe von etwa 80 Milliarden Dollar erneuern. Sollte Brasilien die Papiere zu einem derart hohen Satz verzinsen müssen, würde sich seine Wirtschaft nahe am Kollaps befinden. Hilfe von außen kann es kaum erwarten: IWF und Weltbank sind derzeit nicht in der Lage, einen Kredit in dieser Höhe zu vergeben. Sollte sich das größte lateinamerikanische Land jedoch zu einer Abwertung entschließen, würde es die gesamte Region, einschließlich der USA, mit in die Krise ziehen.

Die Warnung von Greenspan trifft allerdings besonders auf Japan zu - das Land befindet sich bereits in einer Phase der Deflation. Die Endverbraucherpreise fielen dort um 0,1 Prozent; die Großhandelspreise sogar um das Doppelte. Auch Hongkong ist gefährdet. Die Hongkonger Telekom, größter Arbeitgeber der Stadt, hat angekündigt, zehn Prozent ihrer Beschäftigten zu entlassen.

Sinkende Preise bei gleichzeitigem Stellenabbau sind ein deutliches Anzeichen für eine beginnende Deflation. Wenn die Verbraucher davon ausgehen, daß die Waren billiger werden, verschieben sie ihre Käufe. Durch die sinkende Nachfrage werden die Waren dann tatsächlich billiger, die Prophezeihung erfüllt sich also selbst. Gleichzeitig verringern die Unternehmen wegen der sinkenden Nachfrage ihre Produktion und streichen Jobs; die Kaufkraft sinkt, die Abwärtsspirale beschleunigt sich weiter. Während eine zu hohe Inflation durch Geldmengensteuerung reduziert werden kann, stehen die Zentralbanken einer Deflation machtlos gegenüber. Die meisten Länder streben daher eine leichte Inflation von ein bis zwei Prozent an.

Auch der Fondsmanager George Soros hat wegen dieser Entwicklung vor einem drohenden Crash der Weltwirtschaft gewarnt. Die Krise habe mit dem finanziellen Zusammenbruch Rußlands und der Wiedereinführung von Kapitalverkehrskontrollen in Malaysien ein kritisches Stadium erreicht, schrieb er im Wall Street Journal. Um einer weiteren Verschärfung vorzubeugen, müßten die führenden Industrieländer und der IWF das Weltfinanzsystem reformieren.

Die Finanzmärkte seien von Natur aus instabil, erklärte Soros weiter. Hausse- und Baisse-Phasen könnten sich aufschaukeln, außer Kontrolle geraten und dann eine Volkswirtschaft nach der anderen zusammenbrechen lassen. Den schon betroffenen Staaten, wie z.B. Rußland oder Indonesien, anschließend eine rigide Marktdisziplin als Heilmittel zu verordnen, reiche nicht mehr aus.