Kleinanleger auf der Flucht

Der IWF spricht nach den Milliarden-Verlusten der Banken erstmals von einer drohenden Weltwirtschaftskrise

Jetzt bekommen sogar die Berufsoptimisten kalte Füße. Der Internationale Währungsfonds, bekannt für seine stets rosigen Prognosen, räumte zum ersten Mal ein, daß eine weltweite Rezession durchaus möglich ist. Noch nie hat der IWF eine derart pessimistisches Bild von der globalen Wirtschaftslage gemalt wie vergangene Woche zu Beginn seiner Jahrestagung in Genf.

Mit dieser Angst steht er nicht alleine da. Denn nach dem Absturz der Long-Term Capital Management (LTCM) - einem Hedge-Fonds, der hochriskante Währungsspekulationen tätigte - wird befürchtet, daß weitere Fonds folgen und dadurch einen Dominoeffekt auslösen könnten: "Der Absturz des Risikofonds (...) bedroht sogar die Stabilität des Weltfinanzsystems. Was sich die Finanzjongleure internationaler Investmentbanken in ihren schlimmsten Albträumen nicht auszumalen wagten, scheint plötzlich möglich: der Ausfall eines großen Marktteilnehmers im globalen Geschäft mit Derivaten. Niemand weiß, was passiert, sollte es tatsächlich zu einer Kettenreaktion kommen", kommentierte die FAZ panisch.

Auch das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen bekommt es mit der Angst zu tun: Wenn Fonds sich über Bankkredite finanzieren, entwickelt sich aus dem privaten Risiko der Spekulanten eine Systemgefahr, so Wolfgang Artopoeus, der Chef der Behörde. Tatsächlich hatte LTCM sich zu den fünf Milliarden Dollar, die Anleger dem Fonds anvertraut hatten, das Vierzigfache, also rund 200 Milliarden Dollar, bei Banken hinzugeliehen.

Wie gewannen die Spekulanten das Vertrauen der Banken? Es waren wohl vor allem die Namen der Chefs des Fonds, die die Gläubiger ruhig schlafen ließen: Dessen Gründer John Meriwether war einst stellvertretender Boß des Investmenthauses Salomon Inc., das in den achtziger Jahren zum Synonym für den Traum vom schnellen Geld an der Wall Street avancierte. Außerdem befanden sich an der Spitze von LTCM noch die beiden Wirtschafts-Nobelpreisträger Myron Scholes und Robert Merton und der ehemalige Vizechef der US-Notenbank, David Mullins.

Selbst vier der besten Wirtschaftsexperten hatten also den Durchblick verloren - ihre Theorien trafen auf die Entwicklungen der letzten Monate nicht mehr zu. Die hochkomplizierten mathematischen Modelle, mit deren Hilfe sie winzige Unterschiede im globalen Wechselkursgefüge auszunutzen versuchten, verstellten den Ökonomen die Sicht auf das Ganze: Der Kurssturz des Rubels und der Rücktritt der russischen Regierung kam für die Spekulanten völlig überraschend. Denn die Modellrechungen basierten auf stabilen Größen: ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum der Schwellenländer, Kontinuität der politischen Systeme, Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen. Doch nach der Implosion von Ländern wie Malaysia, Indonesien oder Rußland steigt die Zahl der unbekannten Variablen. Der Algorithmus weicht dem Chaos.

Die Weltwirtschaft scheint zur Zeit so labil zu sein, daß sogar kleine Fehler im System - in diesem Fall die mangelhaften Computerprogramme des Fonds - ein Zusammenbruch bewirken könnten. Als bekannt wurde, daß die schweizer UBS, drittgrößte Bank der Welt, durch ihr LTCM-Engagement umgerechnet über eine Milliarde Mark verloren hatte, sank der Aktienkurs des Kreditinstituts um 30 Prozent. UBS-Chef Mathis Cabillavetta nahm daraufhin seinen Hut.

Auch die Notierungen vieler anderer Großbanken verzeichneten Verluste: Die Aktie der Dresdner Bank, die mit 240 Millionen Mark an LTCM beteiligt war, verlor zwei Prozent, die großen US-Investment-Banken wie Merrill Lynch, Lehman Brothers oder Morgan Stanley verloren sogar acht bis zwölf Prozent ihres Wertes. Selbst die Notierung der Hypo-Vereinsbank, des zweitgrößten Kreditinstituts Deutschlands, gab um fünf Prozent nach, obwohl diese Bank weder an LTCM noch an der Rettung des Fonds beteiligt war.

Die Finanzkrise dringt jetzt also auch in die Metropolen vor, während sie bisher vor allem auf Schwellenländer und Japan beschränkt blieb. Doch auch im Land der aufgehenden Sonne gibt es nach wie vor keinen Anlaß zu Optimismus: Wenige Tage nach dem größten Konkurs eines japanischen Finanzhauses seit dem Zweiten Weltkrieg - die Japan Leasing Corporation hatte Verbindlichkeiten von umgerechnet 27 Milliarden Dollar - hat das Unterhaus des Parlaments einen Gesetzentwurf zur Rettung des Bankensystems abgesegnet. Diesem Plan zufolge glaubt die japanische Regierung ernsthaft, daß sie mit einem 50 Milliarden Dollar schweren Hilfspaket uneinbringliche Schulden in Höhe von einer Billion kompensieren kann. Der Nikkei-Index fiel unterdessen zum ersten mal seit den achtziger Jahren unter die Marke von 13 000 Punkten.

Auch der sogenannte Tankan-Bericht sorgte für Enttäuschung: Demnach ist der Index, der die Stimmung in den großen Unternehmen wiedergibt, auf minus 51 gesunken. Das bedeutet, daß drei Viertel der Manager pessimistisch in die Zukunft sehen. Vor drei Monaten lag der Index noch bei minus 38.

Andere ökonomische Impulse gehen in die gleiche Richtung. Nachdem die US-Notenbank den Leitzins entgegen anderer Erwartungen lediglich um ein viertel Prozent gesenkt hatte, ließ die Angst vor einer Weltrezession den Deutschen Aktienindex Ende vergangener Woche um 14 Prozent absacken. "Die Angst vor einem Kurs-Crash grassiert", so ein Aktienhändler.

Das merken auch die Kleinanleger, die bisher apathisch den Kursrückgang verfolgten. Denn noch in den vergangenen Monaten riet beispielsweise n-tv, der offizielle Sender für den Kleinanleger, dazu, Aktien zu "halten" und zu "kaufen". Davon ist jetzt keine Rede mehr. Der Kauf von Aktien kann Kleinanlegern nicht mehr empfohlen werden, kommentierte der Tagesspiegel. Rette sich wer kann - das ist jetzt die Losung.