Die Deutschen und die Anderen

Menschen auf Bewährung

Asylbewerber, Bürgerkriegsflüchtlinge, Kurden: Bundesdeutscher Brauch wollte es, daß bislang immer eine bestimmte Gruppe zum Gegenstand ausländerpolitischer Kampagnen gemacht wurde. Mit dieser Tradition bricht die CDU/CSU nun: Ihre jüngste Aktion dehnt den Kreis derer, die zum Gegenstand der Kampagne werden, ebenso radikal aus wie den Kreis derjenigen, die über Ausländer ein Urteil fällen sollen.

Ihre Kampagne, betont die konservative Opposition, richte sich selbstverständlich lediglich gegen die Regelung selbst. Doch Gegenstand der Kritik und Anlaß des Protestes war von Anfang an die Qualität der Personen, welche die doppelte Staatsbürgerschaft in Anspruch nehmen könnten: Wer will diese Ausländer hier haben? Wer will sie rechtlich mit den Deutschen gleichstellen?

In der Diskussion geht es einerseits um "Integration", andererseits um "Bekenntnis". Die Definition beider Begriffe wird derart offen gehalten, daß die rechtliche und politische Gleichstellung endlos hinausgezögert wird. Selbst dann, wenn behauptet wird, die Ausländer seien sehr wohl einzubürgern und zu integrieren, die Einbürgerung müsse aber durch spezifische Klauseln abgesichert werden, geht man davon aus, daß sie nicht ohne Voraussetzung von ihrem Bürgerrecht Gebrauch machen können, daß die Mündigkeit ihnen nicht als menschliches Vermögen gegeben ist. Sie werden damit zu einer Sonderkategorie von Menschen erklärt, die erst Beweise erbringen und sich bewähren muß, während den Deutschen insgesamt unterstellt wird, dieses Vermögen sei ihnen angeboren. Von den Gegnern der doppelten Staatsangehörigkeit übernehmen deren Befürworter die Forderung, rechtlicher Gleichstellung müsse soziale Integration und das Bekenntnis zum deutschen Staatswesen vorangehen.

Nehme man die doppelte Staatsbürgerschaft hin, meint die CDU/CSU, so beeinträchtige das bei den Bewerbern die klare Entscheidung für Deutschland. Einem Ausländer sei nur dann zu glauben, wenn er aus seiner primären Staatsbürgerschaft austrete. Der Austritt aus einer Staatsangehörigkeit geschieht aber nicht einfach auf der Grundlage von Absicht und Wille. Darüber entscheiden vielmehr die Regeln des jeweiligen Staates und dessen Verhältnis zu Deutschland, die von der Absicht des Individuums vollkommen unabhängig sind. Durch die doppelte Staatsangehörigkeit wird es erst möglich, von der Absicht des Bewerbers zu reden, denn nun kann er die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen, ohne von der Gewährung der Entlassung abhängig zu sein. Doch der CDU/CSU geht es gar nicht um die Absicht der Person, sondern um die Personalisierung eines Sachverhaltes, der staatlicher Regelung unterworfen ist.

Nicht als Unmündiger, als großes Kind, steht der Ausländer bezeichnenderweise im Zentrum dieser Aktion, sondern als wesenhaft Verdächtiger, der sich permanent bewähren muß. Schilys Bekenntnis- und Prüfungsklauseln bestätigen diese Gefährlichkeit. Und bei der Unterschriftenkampagne geht es vollends nicht mehr um Ja oder Nein, sondern nur um ein Nein; abgestimmt wird nicht über einen Gesetzestext, sondern über eine hier lebende Gruppe von Menschen. Die Bevölkerung drängt zu den Unterschriftenlisten, um in einem paradoxen Akt diese Menschen von genau dem auszuschließen, was sie selbst damit in Anspruch nimmt: vom Partizipationsrecht. Wovor will die Kampagne schützen? Vor der demokratischen Partizipation selbst? Dann will sie nicht weniger, als die Ausländer dauerhaft als politische Subjekte negieren. Das hat zwar nicht die Dramatik der Brandstiftungen und Gewalttaten, ist aber kaum weniger brutal: Ausländer werden damit als menschliche Sonderkategorie eingestuft.

Wer den Aufruf unterschreibt, der hat dieser Einstufung bereits mit vollem Bewußtsein zugestimmt. Wer "Ja zur Integration, Nein zur doppelten Staatsbürgerschaft" sagt, der plädiert damit für eine Gesellschaft, die eine angeblich freiheitlich-demokratische Grundordnung benützt, um einer bestimmte Gruppe von Menschen nicht nur Partizipationsrechte vorzuenthalten, sondern auch, um diesen Menschen immerfort Bewährung aufzuerlegen - um sie mit Hilfe der Drohung zu regieren, daß ihnen jederzeit durch Abschiebung die Existenzgrundlage entzogen werden kann.