MännerWirtschaft

Mythen in Lohntüten

Frauenarbeit gilt immer noch als "Zuverdienst" und wird entsprechend niedrig bewertet Asymmetrische Berufsbilder wie "Chef und Sekretärin", "Arzt Sekretärin", "Arzt und Krankenschwester" erscheinen heute entweder als Rudimente einer vergangenen Geschlechterordnung oder sie werden als Folge unterschiedlicher Präferenzen von Männern und Frauen bei der Berufswahl interpretiert. Ob eine Frau beruflich Karriere macht, scheint inzwischen allein von ihrem Willen und ihren Fähigkeiten abhängig zu sein. Dennoch entsprechen jene Stereotypen, wonach Frauen die niedriger positionierten Stellen einnehmen, nach wie vor der Realität.

Noch deutlicher, weil bezifferbar, wird die Diskrepanz bei den Einkommen von Männern und Frauen: Das durchschnittliche Entgelt voll erwerbstätiger Frauen in Deutschland beträgt nur zwei Drittel des Einkommens, das Männer nach Hause tragen. Dabei scheint gerade in einem so verrechtlichten und quantifizierbaren Bereich wie der Entlohnung Gleichberechtigung zu bestehen. Zwar wird die Forderung "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" heute insgesamt akzeptiert, für die tatsächlichen Einkommensunterschiede jedoch sind vor allem zwei Faktoren verantwortlich: Die unterschiedliche Erwerbsarbeitsdauer und die unterschiedlichen Arbeitsgebiete von Männern und Frauen.

Diese Problematik verweist auf zwei Argumentationsmuster, die sich durch die gesamte Geschichte der Arbeit im 20. Jahrhundert hindurchziehen und den Diskurs bestimmt haben. Es handelt sich zum einen um die Darstellung der arbeitenden Frau als der "Zuverdienerin" und zum anderen um die Vorstellung, daß die Geschlechter über ein unterschiedliches Arbeitsvermögen verfügen, Frauen also nur leichtere Arbeiten leisteten. Beide Aussagen sind als Mythen zu bezeichnen, im Diskurs aber wird ihre gesellschaftliche Realität als gegeben betrachtet, wobei ihre scheinbar deskriptive oder auch explizit normative Verwendung selbstverständlich immer wieder auf die Realität zurückwirkt.

Komplementär zum Bild der "Zuverdienerin" ist die Figur des "Ernährers". Dieses dualistische Grundprinzip gilt über verschiedene geschichtliche Phasen hinweg, wobei diese Doppelkonstruktion in je unterschiedlichen Ausprägungen zutage tritt: so in den Demobilisierungskampagnen nach den Weltkriegen, in der Literatur zum "Familienlohn" und in der Bekämpfung des "Doppelverdienertums".

Im Kaiserreich wurde das Bild des (männlichen) Ernährers nicht hinterfragt. Durchschnittlich lagen die Frauenlöhne ein Drittel bis zur Hälfte niedriger als die Männerlöhne, selbst wenn Frauen und Männer die gleiche Arbeit verrichteten. Doch bereits 1898 wies Clara Zetkin darauf hin, daß die Auffassung, wonach das Fraueneinkommen einen Zuverdienst darstelle, nicht der Realität entspreche: Frauen seien häufig für den Unterhalt der ganzen Familie zuständig, und "allein die Auffassung der breiten Massen humpelt nur langsam hinter den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen drein".

Obwohl es ein erklärtes Ziel der Gewerkschaftspolitik war, die lohndrückende Konkurrenz der Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu beseitigen, wurde in den Tarifverträgen immer wieder ein Frauenlohn festgelegt, bei dem sich die Spanne zwischen Männer- und Frauenlöhnen nicht verringerte. Gefordert wurde die Aufhebung der Ausbeutung von Frauen durch niedrige Löhne immer wieder, wenn auch nicht nur, um die ökonomische Situation von Frauen zu verbessern, sondern auch, um die weiblich Niedriglohnkonkurrenz auszuschalten. Doch nicht alle Gewerkschafter stimmten der Forderung zu. So trat 1910 der Vorsitzende der Buchbindergewerkschaft, Emil Kloth, für eine tarifliche Festsetzung von Männerlöhnen in Relation zu den niedrigeren Frauenlöhnen ein. Er bezeichnete dies als ein berechtigtes Interesse der Männer gegenüber den "billigen und willigen" Kolleginnen, die immer wieder als Lohndrückerinnen fungieren würden. Damit wurde die Lohndifferenz zur Begründung für die Erhaltung derselben.

Auch der Erste Weltkrieg brachte keine wesentliche Veränderung. Trotz der massiven Einbeziehung von Frauen in die Erwerbsarbeit galten sie auch während des Krieges als Zusatzarbeitskräfte. Exemplarisch findet sich dies in einem Schreiben von Hindenburg an den Reichskanzler ( vom 13. September 1916) formuliert: "Es gibt ungezählte Tausende von kinderlosen Kriegerfrauen, die nur den Staat Geld kosten. Ebenso laufen Tausende Frauen und Mädchen herum, die nichts tun oder höchstens unnützen Berufen nachgehen. Der Grundsatz 'wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen' ist in unserer jetzigen Lage mehr denn je berechtigt, auch den Frauen gegenüber." Einen Monat später ergänzte er: "Fast die ganze geistige Arbeit, die schwere körperliche sowie alle eigentlich erzeugende Arbeit wird nach wie vor auf den Männern lasten - neben der ganzen Kriegsführung. Es wäre gut, wenn diese Tatsache auch öffentlich deutlich zum Ausdruck gebracht würde und der weiblichen Agitation auf Gleichstellung in allen Berufen, und damit natürlich auch in politischer Beziehung, ein Riegel vorgeschoben würde."

In keinem Industriezweig erreichten die Löhne der angelernten oder ausgebildeten Frauen die Höhe der im gleichen Sektor beschäftigten männlichen Ungelernten, weder im Kaiserreich noch in der Weimarer Republik. Es handelte sich also nicht mehr nur um eine Minderbezahlung, sondern um eine die Qualifikation außer Acht lassende Unterentlohnung der Frauen.

In der Weimarer Zeit wurde mit Hilfe der Arbeitswissenschaften und der empirischen Psychologie zum ersten Mal die Leistungsfähigkeit der weiblichen Arbeitskräfte genauer untersucht. Allerdings bewiesen diese Untersuchungen genau das, was sie beweisen sollten. So führte Herbert Winkler 1922 einen wissenschaftlichen Versuch über die Monotonie der Arbeit durch und fand heraus, daß Frauen sich für monotone Arbeiten besser als Männer eigneten, und begründete dies mit charakterlichen Unterschieden: Die Sensibilität, das Gefühl, das Anschauliche und Konkrete seien die Domäne der Frau; das Allgemeine, das Abstrakte, das streng Wissenschaftliche dagegen die Domäne des Mannes, da Frauen geringere Fähigkeiten zu logischem Denken hätten.

Das wissenschaftliche Alibi für solche Interpretationen lieferten biologistische Schriften wie Hermann Paulls in den dreißiger Jahren veröffentlichtes Buch "Die Frau", das 1950 eine Neuauflage erfuhr. Durch simple Analogieschlüsse leitet Paull aus biologischen Vorgängen bestimmte Folgen für die unterschiedliche berufliche Befähigung von Frauen und Männern ab: "Trieb und Wille zeigen sich schon in den ersten Lebensäußerungen als ausgesprochene Charaktere des Spermatozoons, während geduldige Erwartung und Hingebung ohne besonders stark hervortretenden Trieb und Willen das Ei kennzeichnen." So zeigten sich die Leistungen der Frau überall da, "wo sie nur aufzunehmen und das Aufgenommene weiterzugeben braucht".

Auch die Gewerkschafter konnten sich nach wie vor nicht dazu entschließen, der Arbeit der Frau den gleichen Wert beizumessen wie der des Mannes. 1928 stellten Gewerkschafterinnen auf dem Kongreß des Textilarbeiterverbandes den Antrag, die Beseitigung der Lohnkategorie "Arbeiterin" mit allen Mitteln zu erkämpfen. Die Antragskommission verwarf die Forderung mit der Begründung, daß die Arbeit der Frau tatsächlich minderwertig sei, "denn in vielen Berufen, wohl den meisten, ist es so, daß die Arbeiterin doch nicht die volle Arbeitskraft des Mannes erreicht, und daß sie im Tarifvertrag mit einem geringeren Lohn eingesetzt ist, wodurch dieser Leistungsunterschied zum Ausdruck kommt, ist eben die Verwirklichung des Prinzips für gleiche Leistungen gleicher Lohn."

Innerhalb der Ideologie des Nationalsozialismus hatte die Forderung nach Lohngleichheit keinen Platz. Hitler behauptete, eine völlige Gleichstellung der Frauenlöhne bedeute eine Mißachtung der Leistungen des Mannes für die Volksgemeinschaft. Die Arbeit der Frau sei "klein" und nur in der Vermittlung über die Taten des Mannes wertvoll. Dennoch wurde den Frauen suggeriert, diese Tätigkeiten seien ihr höchstes Glück. Welche Folgen eine Einmischung von Frauen habe, malte der nationalsozialistische Chefideologe Alfred Rosenberg in düsteren Farben aus: "Halten wir uns die Tatsache vor Augen, daß in der ganzen Weltgeschichte Staat, soziale Architektonik, überhaupt jeder dauernde Zusammenschluß die Folge männlichen Willens und männlicher Zeugungskraft gewesen sind, so ist klar, daß ein grundsätzlich zugestandener dauernder staatlicher Einfluß der Frau den Beginn des offenkundigen Verfalls darstellen muß."

Frauen galten für leichte, feine, monotone Arbeit als besonders geeignet. Selbst in der Rüstungsproduktion wurden Frauen überwiegend für Tätigkeiten eingesetzt, die ihrer vermeintlichen Wesensart entsprachen, insbesondere betraf dies Frauen aus der Mittel- und Oberschicht. Ihnen wurden vorzugweise "leichtere" Arbeiten zugewiesen. Dies wurde allerdings erst möglich aufgrund des Einsatzes von Zwangsarbeiterinnen. In einer internen Stellungnahme formulierte Göring 1942 die klassenspezifische Orientierung der Politik des Fraueneinsatzes: In der Pferdezucht unterscheide man schließlich auch zwischen Arbeits- und Rassepferden, und wenn das zur Zucht bestimmte Rassepferd "am Pflug eingespannt werde, verbrauche es sich schneller" als das Arbeitspferd. Frauen aus den oberen Gesellschaftsschichten seien nun einmal "eugenisch hochwertig".

Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden in den beiden deutschen Staaten hinsichtlich der Arbeitsbewertung ganz unterschiedliche Entwicklungen statt: In der sowjetischen Zone wurde zwar sofort mit der Umsetzung des Gebots der Lohngleichheit begonnen; am 17. August 1946 verbot die Sowjetische Militärverwaltung die Lohnungleichheit aufgrund des Geschlechts. Doch auch hier wurde die Lohngleichheit durchaus nicht reibungslos umgesetzt, selbst, als sie bereits Eingang in die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (Art. 18) gefunden hatte. Da in der DDR keine nach Geschlecht getrennten Angaben über die Lohnhöhen gemacht wurden, ist eine Aussage über die Umsetzung von Artikel 18 problematisch.

Erst kurz vor dem Ende der DDR erschien eine Aufschlüsselung des Einkommens, das nach Geschlechtern unterschied. Daraus ging hervor, daß im Jahr 1988 die Differenz zu Lasten der Frauen bei 32 Prozent lag. 1988 waren 57 Prozent der weiblichen, aber nur 22 Prozent der männlichen Arbeiter in den untersten Lohngruppen 4 und 5 eingeordnet. Fünfmal mehr Männer als Frauen fanden sich in den beiden oberen Lohngruppen 8 und 9. Zudem bestanden Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen auch innerhalb der gleichen Qualifikationsstufe. Der Anteil von Frauen in Leitungspositionen lag bei knapp einem Drittel überwiegend auf den unteren und mittleren Ebenen; in Spitzenfunktionen bildeten sie die Ausnahme. Dem beruflichen Fortkommen stand in der DDR nicht zuletzt die Doppelbelastung der Frauen entgegen, denn die Zuständigkeit der Frauen für die Hausarbeit wurde kaum in Frage gestellt.

In der Bundesrepublik verlief die Demobilisierung der erwerbstätigen Frauen nach dem Zweiten ähnlich wie nach dem Ersten Weltkrieg, wobei in der Adenauer-Zeit an das nationalsozialistische Bild von der sorgenden Ehefrau und Mutter angeknüpft wurde. Gleichzeitig wurden den Frauen immer wieder "unersetzliche" Fähigkeiten zugesprochen. 1950 hieß es im Bundesarbeitsblatt, die Frau weise aufgrund der "vorherrschenden Tendenz des Passiven als Empfangsorgan für Berührungserlebnisse eine größere Glattheit, Zartheit und Empfindsamkeit" auf. Die Frau nehme "Erscheinungen, die beim Mann bereits heftigen Unwillen erregen", mit "mehr Geduld auf sich", der Verstand trete zurück, und ihre Einstellung zur Umwelt werde "vom Gefühl bestimmt". Neben dem Tastsinn bezeichnete Helga Läge vom Bundesarbeitsministerium noch Mitte der sechziger Jahre die Duldsamkeit gegenüber monotonen Arbeiten als "tragendes Element des Industriearbeiterinnenberufes". Für diese Arbeiten besäße sie eine "ganz besondere konstitutionelle Eignung": "Die geringe Monotonie-Unempfindlichkeit der Frau kann zum Teil psychologisch mit speziell weiblichen Anlagen und Verhaltensweisen erklärt werden. Die Natur der Frau ist mehr als die des Mannes auf Erdulden und Ertragen, auf das Mit-sich-geschehen-Lassen angelegt." Auch ihre sozialen Fähigkeiten wurden als unersetzlich erachtet: "Welcher Mann wäre im Stande, an der Art, wie der Chef den Hut morgens an den Nagel hängt, sofort zu erkennen, wie man ihn heute behandeln muß, damit der Tag ohne unnötigen Krach vergeht?" hieß es in der Zeitschrift Die Mitarbeit.

Die über eine Umbenennung in Leichtlohngruppen kaum hinausgehende Abschaffung der Frauenlohngruppen setzte dies fort. Mitte der siebziger Jahre gelang es den großen Gewerkschaften, die untersten Lohngruppen abzuschaffen. An die Stelle der Lohngruppen 1 bis 10 traten die Lohngruppen 3 bis 12. Die meisten Frauen fanden sich in den Gruppen 3, 4 oder 5 wieder. Vereinzelt wurden zusätzliche Vorkehrungen getroffen, um den männlichen Status quo nicht zu gefährden, wie eine Protokollnotiz von 1977 verrät: "Die Tarifvertragsparteien sind sich darüber einig, daß für männliche Arbeitnehmer über 18 Jahre Arbeitsverträge auf der Basis der Lohngruppen 4 - 6 abgeschlossen werden."

1978 erreichte der Frauenlohnanteil mit 72,9 Prozent seinen historischen Höhepunkt. Auch nach der Verabschiedung der Lohngleichheitsrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft 1975 sowie des Gleichbehandlungsgesetzes 1980 änderte sich nichts Grundlegendes - nur die Formulierungen waren nicht mehr so unverblümt. Die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts erfolgt seitdem zwar subtiler. Die Auswirkungen können aber - wie für die ostdeutschen Frauen nach der Wende - durchaus drastisch sein: Von 100 000 Frauen, die 1990 in Leitungsfunktionen arbeiteten, waren ein Jahr danach nur noch 17 000 beschäftigt. Neun von zehn der von 1992 bis 1994 geschaffenen Stellen wurden mit Männern besetzt.

Der Frauenlohnanteil der vollbeschäftigten Industriearbeiterinnen lag 1996 in Westdeutschland bei 72,11 Prozent, die Gehälter der weiblichen Angestellten betrugen anteilig 69,47 Prozent. In Ostdeutschland lagen die Einkommensanteile deutlich höher, und zwar bei 75,58 Prozent für die Arbeiterinnen und bei 75,53 Prozent für die Angestellten; diese Steigerung ergibt sich wohl ausschließlich aus dem allgemein wesentlich niedrigeren Lohn- und Gehaltsniveau in den neuen Bundesländern. 72 Prozent aller Frauen beziehen kein existenzsicherndes Einkommen; 54 Prozent aller erwerbstätigen Frauen verdienen weniger als 1 800 Mark, was in etwa der Armutsgrenze entspricht - bei den Männern sind es nur 13 Prozent. Selbst bei gleicher Ausbildung bekamen Männer bereits nach fünf Jahren Beschäftigung ein durchschnittlich um mehr als ein Fünftel höheres Einkommen als Frauen.

Nach einem Datenreport von 1997 des Statistischen Bundesamtes stimmten 47 Prozent aller westdeutschen Frauen der Aussage zu, es sei "für alle Beteiligten besser, wenn der Mann voll im Berufsleben steht und die Frau zu Hause bleibt und sich um den Haushalt und die Kinder kümmert". Knapp die Hälfte wolle den Karrierestreß gar nicht erst mitmachen und räume freiwillig die Startplätze, folgert der Spiegel. "Du mußt A sein, weil du zu B nichts taugst. Du taugst zu B nicht, weil du A bist", kommentierte bereits 1889 Bertha von Suttner Zirkelschlüsse dieser Art.