MännerWirtschaft

Was Frauen schwach macht

Marx, Butler und die Humankapital-Theorien: Die Diskriminierung am Arbeitsplatz erklären sie nicht

Humankapital-Theorien gehen davon aus, daß Menschen Kosten für Ausbildung, Gesundheit, oder Arbeitsmarktinformationen als Investitionen in ihr Arbeitsvermögen betrachten und sich von den getätigten Investitionen eine bestimmte Rendite erwarten.

Nach dieser Theorie kalkulieren Frauen ein, daß sie nicht kontinuierlich am Arbeitsmarkt partizipieren, sondern sich über einen längeren Zeitraum hinweg der Familie und dem Haushalt widmen werden. Ihr Interesse an einer Berufsausbildung im Sinne einer Zukunftsinvestition ist daher ungleich geringer als das der Männer. Somit liegen auch ihre Ausbildungsinvestitionen und damit wiederum ihr Einkommen unter dem der Männer. Hieran knüpfen die New Home Economics an. Ihrer Theorie zufolge bilden Menschen zum Zwecke der Reproduktion ihrer Arbeitskraft (der täglichen wie der generativen, wobei Kinder als Konsumgut betrachtet werden) Haushalte. Diese "2-Personen-Firma" Familie teile ihre Arbeitszeit nach rationalen Gesichtspunkten unter Markt- und Haushaltsproduktion auf, wobei der auf dem Arbeitsmarkt zu erzielende Lohnsatz eine entscheidende Rolle spielt. Da Frauen einen geringeren Satz erzielen, übernehmen sie die Hausarbeit. Damit verlieren sie zugleich an Humankapital, und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verschlechtern sich weiter: Ihr potentielles Einkommen sinkt.

Zwar besitzen diese Erklärungen eine gewisse Evidenz, dennoch beruhen sie auf einer Reihe von Vorannahmen, die einer kritischen Überprüfung nicht standhalten. Die Vertreter dieses Theorieansatzes gehen dabei von folgenden Grundannahmen aus:

1. Arbeitsplätze sind geschlechtsneutrales Terrain,

2. Arbeitskräften wird Produktivität individuell zugerechnet,

3. Löhne dienen ausschließlich der Allokation,

4. die Präferenzen der ArbeitsmarktteilnehmerInnen sind exogen gegeben.

Eine Reihe von Untersuchungen widerlegen jedoch die These vom geschlechtsneutralen Arbeitsplatz; Forschungen haben vielmehr gezeigt, daß, schon bevor eine Stelle besetzt wird, feststeht, ob ein Mann oder eine Frau den Job bekommen wird.

Die Rolle, die das angeblich unterschiedliche Arbeitsvermögen von Frauen und Männern in den jeweiligen Diskursen spielte, unterstreicht zudem, daß von einer "Neutralität" bei der Arbeitsplatzvergabe nicht gesprochen werden kann. So ergibt sich auch ein Widerspruch zur zweiten Annahme. Eine Untersuchung vom WSI-Institut von 1992 kommt zu dem Schluß, daß das Merkmal "Qualifikation" nur innerhalb der Geschlechtsgruppen wirksam wird. Aufgrund ihrer empirischen Untersuchungen kommt Sigrid Pohl sogar zu dem Schluß, daß mit steigender Qualifikation die Frauenlohndiskriminierung zunimmt. Dies widerlegt die Behauptung, wonach die mangelnde Qualifikation der Frauen eine der Hauptursachen für die Lohndifferenz sei. Helga Krüger spricht in diesem Zusammenhang von einem "Bermudadreieck"; die Qualifikation durch Bildung von Frauen verschwindet schon auf dem Weg zum Arbeitsmarkt.

Auch die These, wonach die Präferenzen der Arbeitsmarktteilnehmenden exogen gegeben sind, kann nicht erklären, wieso diese dann so stark zwischen den Geschlechtern differieren, und warum sie über lange Zeiträume hinweg stabil bleiben. So muß hinsichtlich der liberalen Theorien resümiert werden, daß das Bestehende mit dem Bestehenden erklärt wird. So werden die für die geschlechtsspezifische Lohndiskriminierung ursächlichen Machtverhältnisse verschleiert.

Während liberale Theorien die Wahlfreiheit des einzelnen als Ausgangspunkt ihrer Argumentation nehmen, argumentieren marxistische AnalytikerInnen mit strukturellen Gegebenheiten, womit Ungleichheiten leichter erfaßt werden könnten. Zwar fand das Geschlecht als Kategorie in der marxistischen Theorie nur am Rande und fast unbeabsichtigt Berücksichtigung, allerdings erfuhr sie in der Folgezeit zahlreiche feministische Ergänzungen.

Christel Neusüß und Rainer Bauböck beziehen die Reproduktionsarbeit in die Analyse ein. Danach ergibt sich, daß (im Regelfall) "Frauen Männer reproduzieren", ihre eigene Reproduktion aber von ihren Kräften abziehen müssen. Insofern besitzen Männer faktisch mehr Wert für die Unternehmer, denn diese kaufen mit der Ware "Arbeitskraft Mann" einen unsichtbaren Anteil Frauenarbeit mit ein.

Ähnlich führt Ursula Beer die diskriminierte Stellung der Frauen auf die ihnen zugewiesene Funktion in der Versorgungsökonomie zurück: Durch die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, wie sie aus dem vorkapitalistischen "Primärpatriarchalismus" übernommen und transformiert worden sei, seien bei der Entstehung des modernen Arbeitsmarktes die Frauen in einem spezifischen Sinne weniger freigesetzt worden als Männer, und hätten von daher weniger Chancen gehabt. Durch die komplexe Verschränkung von Kapitalismus und Patriarchat - worin sich die Erfordernisse der neuen Produktionsweise mit der tradierten Geschlechterungleichheit getroffen hätten - sei der "Sekundärpatriarchalismus" des Kapitalismus entstanden.

Auch Ursula Beers Analyse läßt viele Problemstellungen unberücksichtig. Zwar sieht sie die Arbeitsteilung als konstitutiv für die Ungleichheit der Geschlechter an, doch zögert sie, die biologische Begründung als hinreichende Erklärung für den Patriarchalismus zu betrachten. So wird einerseits deutlich, daß die Ursachen der Ungleichheit nicht allein im Kapitalismus zu suchen sind, andererseits aber bleibt Beer der materialistischen Analyse verhaftet, so daß bei ihr wie auch bei den anderen vorgestellten ökonomischen Theorien eine Leerstelle bleibt. Es werden zwar Erklärungen für die Arbeitsteilung gegeben, es fehlen jedoch befriedigende Antworten, warum diese ausgerechnet entlang der Geschlechtergrenzen verlaufen.

Auch die Vertreterinnen des Bielefelder Ansatzes stimmen mit den Grundannahmen der marxistischen Gesellschaftsanalyse überein. Ursächlich für die Diskriminierung und Marginalisierung der Frauen ist für diese Theoretikerinnen die differente Körperlichkeit. Doch gehen sie an diesem Punkt wesentlich weiter, da sie wegen der andersartigen Körpererfahrung auch von andersartiger Wesenhaftigkeit zwischen Männern und Frauen ausgehen. Allerdings deuten sich unterschiedliche Bewertungen innerhalb dieses Ansatzes an, ohne daß diese explizit formuliert würden. So betrachtet Claudia von Werlhof Männer insofern als Opfer des kapitalistischen Systems, als diese erst durch die Vorteile, die ihnen das System bietet, der Versuchung erliegen, davon Gebrauch zu machen. Bei Veronika Bennholdt-Thomsen und Maria Mies steht dagegen die Gewalt der Männer als machterhaltender Faktor des Patriarchats im Mittelpunkt der Analyse. Danach scheint eine Art Mangelerfahrung der Männer - da Männer ihren Körper als nicht produktiv erfahren könnten - grundlegend zu sein für destruktives Verhalten. Unterschiedliche Tätigkeitsfelder werden ausdrücklich als "biologisch bestimmt" erklärt, "denn schließlich sind Männer und Frauen von Natur aus mit unterschiedlichen Fähigkeiten ausgestattet" (Bennholdt-Thomsen).

Die Differenz der Geschlechter wird entsprechend der dichotomischen Zuschreibung von Kultur und Natur verortet, im Unterschied zu traditionellen Interpretationen jedoch mit einer umgekehrten Wertigkeit belegt: Frauen sind aufgrund ihres produktiven und naturverbundenen Körpers sowie einem daraus resultierenden besseren (da gewalt- und herrschaftsfreien) Verhalten das überlegene Geschlecht.

Anknüpfend an die Analyse Rosa Luxemburgs zeigen die Bielefelderinnen auf, daß das Ziel des Kapitalismus nicht die Durchkapitalisierung der Welt ist - also nicht die Verwandlung jeglicher Form von Arbeit in Lohnarbeit -, sondern es im Gegenteil bestehensnotwendig für das kapitalistische System ist, die Arbeit der Frauen als Quasi-Naturressource ausbeuten zu können. Da die Arbeit der Frauen in Form von Hausarbeit unsichtbar gemacht werde und meist nicht in der gleichen Weise wie bei Männern als Lohnarbeit erscheine, könne sie auch zu einem geringeren Entgelt gekauft werden.

Der auf der Psychoanalyse aufbauende Ansatz Luce Irigarays nimmt ebenfalls eine differente Körperlichkeit als Grundlage für eine Umwertung der bestehenden hierarchischen Ordnung. Am Ausgangspunkt ihrer theoretischen Überlegungen steht das Begehren. Auch sie betrachtet den weiblichen Körper als dem männlichen überlegen, da er im Gegensatz zum männlichen "autonom Lust erzeugen" könne, und auch sie geht davon aus, daß aus dieser differenten Körperlichkeit eine unterschiedliche Wesenhaftigkeit von Männern und Frauen entstanden sei. Zwar lehnt sie explizit eine Hierarchisierung der Geschlechter ab, doch ihre Zuschreibungen verraten Wertigkeiten: Ähnlich wie im Bielefelder Ansatz schreibt Irigaray Männern ein destruktives Verhalten zu, dem Frauen entgegenarbeiten müßten, um die Welt wieder in ein Gleichgewicht zu bringen.

Irigaray erkennt mit der Konstruiertheit der bestehenden kulturellen und symbolischen Ordnung die subversive Kraft an, die aus dieser Feststellung hervorgehen kann. Doch geht sie von einem Wesen der Frau aus, welches es zu entdecken gilt, und postuliert damit eine spezifische Subjektivität der Frau auf der Grundlage eines differenten Körpers. Sie strebt keine zweite symbolische Ordnung an, sondern möchte die erste dekonstruieren, um zu einer gemeinsamen zu kommen. Doch Irigarays Philosophie sowie der daran anknüpfende Politikansatz des affidamento favorisieren eine Segregation der beiden Geschlechter. So fordert Irigaray nicht, neue Gesetze zu erlassen, die der Situation von erziehenden Eltern oder Versorgungsarbeit leistenden Menschen allgemein gerecht werden könnten, sondern sie propagiert verschiedene Gesetze für Männer und für Frauen. Frauen, die nicht Mutter werden wollen, scheint es demnach nicht zu geben.

Wenn jedoch die Zweigeschlechtlichkeit selbst - also nicht nur die Kategorie "Gender", sondern auch die des "Sex" - als Konstruktion begriffen wird, ändert sich die Perspektive hinsichtlich einer möglichen Veränderung. Geht man von der Existenz einer Differenz aus, liegt die Perspektive in einer Enthierarchisierung und Reformulierung der Differenz; wird die Differenz in die Konstruktion mit einbezogen, so liegt die Perspektive in einer Dekonstruktion der Differenz selbst, und zwar als Voraussetzung für einen Abbau der Geschlechterhierarchie. So wird die Annahme eines über alle Zeiten hinweg gleichen Körpers in historischen Untersuchungen zur Entstehung des modernen Geschlechtskörpers widerlegt. Der geschlechtliche Körper selbst wird in dekonstruktivistischen Ansätzen als konstituiert begriffen.

So fordert die Diskurstheoretikerin Judith Butler dazu auf, gerade die Unterschiede zwischen und unter Frauen stärker zu beachten. Das bedeute nicht, den Terminus Frauen zu verdrängen, doch die verschiedenen Versuche, die Kategorie "Frau(en)" zu einer universalen zu machen, führten zwangsläufig Ausschlüsse mit sich. Die Infragestellung der Kategorie "Frau(en)" als Subjekt des Feminismus solle nicht heißen, den Frauen zu verbieten, sich zu bestimmten Zwecken auch als Frauen zusammenzutun. Aber erst feministische Politik, die sich von der Idee der Identitätspolitik verabschiede, ermögliche es verschiedenen Gruppen und einzelnen, temporäre Koalitionen zur Durchsetzung bestimmter Forderungen miteinander einzugehen, ohne ihre Differenzen aufgeben zu müssen.

Angelika Wetterer, Vertreterin einer Theorie der Sozialen Konstruktion, betont, daß die Geschlechtszuordnung der Berufe zurückwirkt auf die Geschlechterzuordnung der Menschen: Männer und Frauen werden im doing gender konstruiert. Es habe in der Geschichte der "Vergeschlechtlichung von Berufsarbeit", also bei der Zuordnung von Tätigkeiten zu den Geschlechtern, eine überaus konstante Reproduktion der hierarchischen Polarisierung gegeben. Andererseits hätten die Begründungen für die Differenz im Zuge der Modernisierung erstaunliche Wandlungen erfahren. Es sei gerade diese Gleichzeitigkeit von Konstanz der hierarchischen Struktur und fortwährender "Umschrift der Differenz", die dem Verfahren jene Flexibilität und Omnipräsenz verleihe, die es so überaus funktionstüchtig mache. Deshalb bleibe die Hierarchie zwischen den Geschlechtern durch jede Phase sozialen Wandels hindurch erhalten. Wetterer erkennt darin die Reproduktion der Grundstruktur einer immer schon hierarchischen Differenz. Dadurch entstehe eine scheinbare Plausibilität der Zuordnung der Tätigkeiten zu den Geschlechtern, die die tatsächliche Beliebigkeit überdecke.

Diese Plausibilität werde in der Regel durch Analogiebildung erzielt. Neu entstehende (Berufs-) Tätigkeiten würden in Analogie gesetzt zu anderen Tätigkeiten, die - je nach hierarchischer Positionierung der neuen Tätigkeit - Männer bzw. Frauen schon immer übernommen hätten. So habe aus der Röntgenassistenz mühelos ein Frauenberuf werden können, weil dort der Umgang mit Menschen gefragt sei, also etwas "typisch Weibliches". Die männlichen Röntgentechniker, die sich dieses Berufsfeld phasenweise anzueignen suchten, hätten auf andere und nicht minder plausible Analogien verwiesen: An die Stelle des Patientenbezugs sei in ihrer Argumentation die Apparatur getreten, die beim Röntgen eingesetzt werde und zu deren Bedienung technische Kompetenz unerläßlich sei.

Gerade im Bereich der Berufsarbeit sei deshalb die von Teilen der Frauenbewegung vollzogene Aufwertung eines angeblich weiblichen Leistungsvermögens verheerend. Solange die Strukturalisierungsprozesse innerhalb der Berufswelt, welche der Aufrechterhaltung der Hierarchie dienten, mit Differenz begründet würden, könne der Anschein aufrecht erhalten werden, die Vergeschlechtlichung von Berufsarbeit liege letztlich auch im Interesse der Frauen, weil sie ihren Präferenzen und Fähigkeiten entsprächen. Von dort sei es nicht weit zu der Einschätzung, daß es die Frauen selbst seien, denen die "weiblichen" Berufe so am Herzen lägen, daß sie dafür deren niedrigen Status zumindest billigend in Kauf nähmen. Auch nach Wetterer muß die Aufmerksamkeit feministischer Forschung auf Brüche und Widersprüche, auf Ungleichzeitigkeiten und Verwerfungen im Zuge der Produktion und Reproduktion der zweigeschlechtlichen Strukturierung sozialer Realität gelegt werden.

Dekonstruktivistische Ansätze sind geeignet, den Herstellungsmodus der Zweigeschlechtlichkeit herauszuarbeiten. Hier ergeben sich Erklärungen für die Stabilität der Verhältnisse. In diesen nach ökonomischen Folgerungen zu suchen, ist jedoch mühsam. Diskursanalyse verschließt sich diesem Zugang weitgehend, da nach ihr Realität nicht getrennt von den Bezeichnungspraxen zu fassen ist.

So bleibt die schwierigste Aufgabe für die feministische Theorie und Praxis, (dekonstruktivistische) Analysen der Geschlechterdichotomie mit (strukturellen) Analysen der politischen Ökonomie zusammenzubringen.