Dienst nach Vorschrift bei VW

Erfolgsmalus

28,8 Wochenstunden sieht der VW-Haustarifvertrag vor, der nach dem Prinzip "Weniger Arbeit (und weniger Lohn) pro Arbeiter bedeutet mehr Arbeitsplätze" verfaßt wurde. Weil der Arbeit aber gar nicht so wenig ist, sondern die Auftragsbücher des Auto-Konzerns übervoll sind, müssen die VW-Arbeiter beispielsweise im ostfriesischen Werk Emden 36,8 Stunden arbeiten. Trotzdem haben dort letzte Woche 550 Mitarbeiter die Kündigung gekriegt. Daß die nur befristete Arbeitsverträge hatten, war zwar schlechte VW-Praxis, aber VW-Praxis war es bis dahin auch, solche Verträge zu verlängern. 6 000 befristete Arbeitsverhältnisse laufen bei VW in den nächsten 18 Monaten aus.

Schon bei den Tarifverhandlungen im April hatte die Konzernspitze versucht, mit Hilfe dieser Verträge umfangreiche Lohnkürzungen durchzusetzen: Neu Eingestellte sollten sieben Jahre lang nur 2 600 Mark statt rund 4 000 Mark brutto erhalten. Wenn die Gewerkschaft IG Metall dazu ja sage, sei man auch bereit, eine Weiterbeschäftigungsgarantie für die befristeten Arbeitsverhältnisse abzugeben. Das könne "ein Modell für ganz Deutschland werden", freute sich VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz schon im voraus.

Doch zu diesem "Bündnis für Arbeit" sagte die IG Metall nein. Eine schlechte Lohnrunde, so kalkulierten die Gewerkschafter, würde irreversibel sein, während gegen eventuelle Entlassungen der Widerstand auch später noch möglich wäre. Für die 100 000 Beschäftigten in den sechs VW-Werken im Westen endeten die Verhandlungen am 23. April mit einem oberflächlichen Erfolg: Mit Lohnerhöhungen von 3,2 Prozent und einem "Erfolgsbonus" von 2 000 Mark.

Der VW-Vorstand schäumte. Daß er so schnell reagieren würde, hatte dennoch niemand erwartet. Was die Unternehmer in den Verhandlungen nicht hatten durchsetzen können, wollten sie nicht einmal eine Woche nach deren Abschluß mit der Emdener Kündigung nachholen: Die IG Metall sollte zu Nachverhandlungen über die Lohnkürzungen gezwungen werden.

Doch da spielte der VW-Betriebsrat nicht mit. Am Freitag vergangener Woche verweigerte er die Genehmigung für die von der Werksleitung Emden beantragte Mehrarbeit. Die Viertagewoche war wieder Wirklichkeit, 10 000 Beschäftigte nahmen die Arbeit nicht auf. Nun hat die Belegschaft die VW-Spitze am Wickel: Solange der Betriebsrat auf der Umsetzung der tarfivertraglichen 28,8-Stunden-Regelung beharrt, kann der Konzern die Produktion nur aufrecht erhalten, wenn er auf die geplanten Kündigungen verzichtet. In den Ruin treiben die Beschäftigten ihre Firma damit nicht: Nachdem VW schon im Vorjahr einen Rekordgewinn erzielt hatte, konnte das Geschäftsergebnis im ersten Halbjahr 1999 abermals um 180 Millionen Euro erhöht werden.