Stripped

Pop und Affirmation bei Kraftwerk, Laibach und Rammstein.

Kraftwerk und das Spiel mit "dem" Deutschen

Mitte der siebziger Jahre wurde der bekannte US-amerikanische Musikjournalist Lester Bangs gefragt: "Where is rock going?", Wohin geht's mit der Rockmusik?, und der Gefragte antwortete wie aus der Pistole geschossen: "It's been taken over by the Germans and the machines."

Die Deutschen und die Maschinen galten 1975 als die Zukunft der Rockmusik und der Kritiker attestierte dies nicht ohne Sarkasmus. Es war der Sieg dessen, was als "Krautrock" und "Teutonentum" noch verhöhnt wurde. Es war - so Bangs - der Sieg des blutlosen, eisernen Willens und des vielversprechenden Aufbruchs des Maschinenzeitalters in der Musik. Ein Sieg, der nach Bangs' Meinung schon mit der germanischen Erfindung der Amphetamine begonnen hatte. Diese wurden einst als Aufputschmittel für Bomberpiloten entwickelt und sollten deren psychische Apparate beschleunigen. Die Droge wurde dann für viele Pop-Musiker und Literaten wie Bob Dylan, Lou Reed, Jack Kerouac zu einem Wahrnehmungsdoping, das ihre Songs und Bücher tunte.

"The Reich never died", schrieb Bangs weiter. Und: "It just reincarnated in American archetypes". Die Erfindung von Speed - im doppelten Sinne von Droge und Geschwindigkeit - durch "die Deutschen" hat die Pop-Kultur beschleunigt, kälter und technoider gemacht. Dementsprechend neugierig war Bangs, als er 1975 Florian Hütter und Ralf Schneider von Kraftwerk während ihrer "Autobahn"-Tour in den USA traf und interviewte. Er blickte den Erben des Reiches direkt in die Augen.

Wie komisch das sein konnte, schilderte Bangs in einer Slapstick-ähnlichen Szene zu Beginn des Gesprächs. Bangs machte sich über die beiden Percussionisten Wolfgang Flür und Karl Bartos lustig. Diese waren von US-amerikanischen Musiker-Kollegen im Slang gefragt worden, ob sie sich von den Groupies einen hätten blasen lassen. Und diese, weil sie das Englisch nicht verstanden haben, hätten nur mit "Ja, Ja" geantwortet - streng und ohne eine Miene zu verziehen. Hätten die beiden noch Monokel getragen, es wäre eine klassische Filmszene gewesen, in der das steife, kalte Wesen der Deutschen vorgeführt worden wäre.

Der Typus des verrückten Wissenschaftlers scheint als Blueprint über der Begegnung mit Hütter und Schneider zu liegen. Ihre beherrschte und ruhige Art zu reden und zu denken, wird in dem Text minutiös protokolliert. Im Verlauf des Interviews mit Bangs erklären Hütter und Schneider, die beide gut englisch sprechen, ihre Theorie von den Menschmaschinen und warum die Synthesizers sensible, eigenwillige Apparate sind, die den Menschen helfen und ihnen gleichzeitig ihren Willen aufzwingen. Sie betonen ihre Macht als Maschinen-Komplex und Laboratorium, das Publikum zu manipulieren und es physisch zu ergreifen. Die beiden Masterminds wirken gefährlich oder zeitgenössisch ausgedrückt: absolut nicht pc. Erst recht, da sie sich als Exponenten deutscher Kultur outen.

"After the war", erzählt Hütter, "German entertainment was destroyed. The German people were robbed of their culture, putting an American head on it. I think we are the first generation born after the war to shake this off, and know where to feel American music and where to feel ourselves. We are the first German group to record in our own language, use our electronic background, and create a Central European identity for ourselves."

Die beiden wollten nicht mit Tangerine Dream oder Can in einen Topf geworfen werden, mit Bands, die englische Namen haben und sich auf der Bühne eine angloamerikanische Identität geben. Sie sprechen deutsch, betonen ihren deutschen Background und benutzen Maschinen, die von der deutschen Industrie hergestellt worden sind. "We cannot deny we are from Germany, because the German mentality, which is more advanced, will always be part of our behaviour", meint Hütter.

Bangs referiert diese Passagen, ohne sie zu kommentieren. Und doch spürt man die eisige Befremdung, die ihn angesichts so viel Deutschtums befällt - genau dreißig Jahre, nachdem die US-Amerikaner die Deutschen von den Nazis (mit-)befreit haben. Gleichzeitig erfährt Bangs jedoch die Bestätigung seines Weltbilds, wie er es sich von den Deutschen schon vor dem Treffen zurechtgelegt hatte.

Kraftwerk appellieren an seine Vorstellungen des Fremden und nehmen diese gleichzeitig zur Grundlage, um sie noch deutlicher überzeichnen zu können. Als Bangs fragt, ob sich Hütter und Schneider fotografieren lassen, lehnen sie dies ab. "Wir haben unsere eigenen Bilder. Die können Sie benutzen." Als Bangs verwundert nachfragt, erklären die Kraftwerker: "Wir posieren nicht. Wir sind paranoid." Weitere Erklärungen bekommt Bangs nicht. Die beiden Musiker in den schwarzen Anzügen, mit den schmalen Krawatten und dem kurzen Haar brechen das Interview ab. "Wir müssen uns ausruhen. Bitte entschuldigen Sie uns", erklären sie höflich. Bangs zieht verwundert und offensichtlich erleichtert ab: "Still, it was somehow comforting to know that they did, apparently, sleep."

Das Aufeinandertreffen von Lester Bangs und Kraftwerk war sicherlich die erste bedeutende Begegnung zwischen einem Vertreter der US-amerikanischen Pop-Intelligenz und deutschen Pop-Konzeptualisten und sollte eine der spannendsten und spannungsvollsten bleiben. Auch optisch muß das Aufeinandertreffen eine Augenweide gewesen sein. Bangs mit Bierbauch, Schnauzer und langen Haaren und die beiden Kraftwerker wie Ingenieure einer deutschen Raketenfabrik.

Das wechselseitige Befremden hat den Dialog nicht unmöglich gemacht, und dennoch bleibt die Begegnung Symptom einer Unvereinbarkeit, die für den kosmopolitischen Gestus der Pop-Kultur weitgehend untypisch ist.

Aliens im Mainstream der Pop-Kultur

Pop entstand nach dem Zweiten Weltkrieg als rebellisches Kind der westlichen, kapitalistischen Zivilisation, um als Sprachrohr, Gefühlsverstärker und Identitätskonstrukteur schnell fast alle Jugendlichen dieser Zivilisation zu einen. Pop-Musik war eine Sprache, die jeder verstehen konnte. Englisch wurde zum Esperanto der Pop-Kultur. Nicht englisch sprechende Bands hatten sich zu assimilieren oder mußten untergehen. Dachte man. Bis Kraftwerk 1975 mit "Autobahn" in den USA in den Top Ten der Charts landeten. Danach wurde die Band zu einer der am stärksten stilbildenden Formationen der Pop-Musik.

Kraftwerk hatten sich als Aliens in den Mainstream der angloamerikanischen Pop-Kultur eingeschleust und suchten ihren Erfolg gerade in der Verweigerung der Assimilation. Sie bezeichneten sich als Kinder von Fritz Lang und Wernher von Braun, um deutlich zu machen, daß ihre Wurzeln nicht bei Elvis, den Beatles oder den Rolling Stones zu suchen waren. Ihr Dasein als "Fremde" reflektierte in gewisser Weise Fremdenhaß, Rassismus und Antisemitismus, die die Deutschen zu einer Bedrohung der Weltgemeinschaft gemacht hatten. Kraftwerk unterstrichen die Elemente ihres Selbstentwurfs und ihres Deutschseins, die sie besonders in der Pop-Welt zu Fremden werden lassen mußten. Das Zurschaustellen des Tabus - und eben nicht des Nationalstolzes - bedeutete, die Dialektik einer negativen Affirmation zu nutzen.

Ähnlich wie später im HipHop "Blackness" als Dissidenzmerkmal ästhetisch und politisch eingesetzt wurde, relativierten Kraftwerk ihre "Germanness" als ein Element der Dissidenz. Der politische Kontext nach 1968 schien dies zu ermöglichen. Hütter wie auch Schneider hatten sich in der Apo engagiert, mit Willy Brandt war ein Antifaschist Bundeskanzler geworden. Der Kniefall Brandts in Warschau wurde als die Ankunft eines neuen Deutschland gedeutet.

Kraftwerk spielten mit ästhetischen Codes, die einer spezifisch deutschen Tradition zugeordnet wurden. Den beiden war dabei natürlich bewußt, daß sie ein typisches Pop-Image schufen: überdeutlich, überzeichnet und dadurch überwältigend. Es war in der Sprache von Pop und dessen Vermarktungsstrategien formuliert. Dissidenzentwürfe im Pop benötigen für die Außenseiterrolle eine Doppelkodierung, die Songs und Images sowohl für den Mainstream wie für die anderen Aliens verständlich machen.

Auch die Musiker von Kraftwerk machten sich die Ambivalenz und Mehrdeutigkeit von Pop-Kultur zu eigen, die abwechselnd die Rolle des Aufrührers wie des integrierenden Beschwichtigers in den gesellschaftlichen Verschiebungen übernehmen kann. Die Vermischungen und Koketterien der Auflehnung als Anpassung, der Anpassung als Auflehnung, der angepaßten Auflehnung als rebellische Anpassung usw. verliefen sich dabei in eine feingliedrige Struktur, die nur mehr schwer in die gängigen Schemata von Nicht-Dissidenz oder Subversion zu passen schienen. (...)

Punk und posthumanes Androidentum

Zur selben Zeit wie Kraftwerk beschäftigten sich auch die New York Dolls und wenig später die Sex Pistols mit dem kulturellen Erbe des Faschismus. Knapp ein Jahrzehnt nach den Studentenunruhen (denen Kraftwerk als Musikstudenten angehörten) und der antifaschistischen Auflehnung gegen die Väter, deren Werte und Institutionen, wurden die Hippies zu Feinden erklärt und ihr naiver Humanismus bekämpft. Mit allen Mitteln - wenn es sein mußte, auch mit dem Hakenkreuz.

Der in den siebziger Jahren stattfindende Rückgriff auf die Zeichen der Barbarei bedeutete in erster Linie eine Ablehnung des Gutmenschentums der Hippies. An dessen Stelle trat eine aggressiv-zynische Selbstdenunziation. Das "Pretty Vacant" der Sex Pistols war dem Robotertum Kraftwerks verwandt: was die Rigidität der Selbstdenunziation betraf wie auch die damit einhergehende Koketterie mit "Radikalität".

Koketterie und Selbstdenunziation waren wechselseitig verschränkt. Das eine ohne das andere nicht denkbar. Gerade als erklärter Antichrist, Müll, menschlicher Abfall und apokalyptischer Reiter bekam die Nazi-Binde bei Punks eine moderne Identität: nicht als Zeichen der Identifikation mit politischen Zielen wie im Dritten Reich, nicht als Feindbild, dem man 1968 als Student eine gute, linke Moral entgegengesetzt hatte, sondern als Kommunikation, symbolischer Ausdruck eigener Zerstörtheit, der jede Moral weit hinter sich ließ.

Kraftwerk entzog sich der Positionierung im Kontext der Moral durch eine futuristische Affirmation des Maschinenhaften. Als Roboter war die Seelenlosigkeit und damit die nicht vorhandene Kompetenz für Moral konstituierend. Das offensive Spiel mit dem "Deutschsein" kündete auch von dessen nahem Ende: als Übergang in die Schaltkreise - ein Programm neben vielen.

Der angeblichen und so schuldbewußten Identitätslosigkeit der Teutonen nach dem Zweiten Weltkrieg wurde mit einer koketten Bezugnahme auf absonderliche Traditionen begegnet. Das oberflächliche Spiel mit Assoziationen wurde von Kraftwerk in einem bisher tabuisierten Raum vollzogen: Während in amerikanischen Fernsehserien und Kriegsfilmen der strenge, hagere Deutsche mit kurzen Haaren immer noch als Feind und im Nazikontext wahrgenommen wurde, versuchten Kraftwerk den Quantensprung, um über eine oberflächliche Identifikation mit dem Feind in eine futuristische Zukunft des "Deutschseins" zu springen, die diese Vergangenheit nicht vergessen machte, sondern eine Bedrohung an die Wand malte, die gerade die westliche Zivilisation ergriffen hatte: die Angst vor der Herrschaft der Technik und die Ausrottung der Menschen durch den Computer.

Wie hätte sich die Welt wohl über den Technik-Positivismus eines Bill Gates gefreut, wenn dieser ein Deutscher gewesen wäre? Was wäre gewesen, wenn die Furcht vor den Deutschen mit der Furcht vor der Knechtschaft durch die Technik zusammengefallen wäre? Diese Fragen stellten Kraftwerk in der Prophetie großer Künstler und ließen sie unbeantwortet. Kraftwerk waren damit Geschichtsaufarbeitung und Science-Fiction in einem. Ein undurchsichtiges Amalgam, ausgestattet mit starken Zeichen, die sofortige Aufmerksamkeit garantierten.

Die Anklänge an deutschtümelnde Kulturhuberei, wie im Interview mit Bangs herausgestellt, von diesem dankbar geschluckt und weiterverwertet, und einem posthumanen Androidentum machten Kraftwerk unangreifbar. Die Band verband die losen Enden von einander scheinbar vollkommen fremden Identitäten. Sie nannten eine LP nach der Autobahn, die als populistische Maßnahme den Nazis in Deutschland viele Sympathien eingebracht hatte, und präsentierten sich zwei Jahre später auf der LP "Menschmaschine" als Nachfahren der sowjetischen Konstruktivisten mit einem Hauch Metropolis von Fritz Lang.

Die Synthesefähigkeit von Pop-Musik scheint keine Grenzen zu kennen: außer diejenige, wirklich im alten Sinne ideologisch zu werden. An dieser Schnittstelle verkehrt sich der Pluralismus der Kulturindustrie, der sich nicht auf die Freiheit des Konsums beschränkt, in eine dogmatische Sperre gegen jeden Anflug von Totalitarismus. Dessen Eindeutigkeit ist im ästhetischen Prinzip von Pop in der Regel nicht vorgesehen. Die kurze Geschichte der Pop-Kultur kennt als Bastard nur Fehlgeburten und Mischehen, deren Erbanlagen jegliche eindeutige Parteinahme für eine genetische Disposition ausschließen sollte.

Zusammengefaßt heißt dies: daß sowohl Rassismus als auch Totalitarismus als natürliche Feinde des Pop gelten müßten, wären da nicht die Versuche politischer Interessen, gerade diese Disposition zu korrigieren. Die nationalsozialistische Propagandamaschinerie versuchte, ihren völkischen Begriff einer Kulturnation gerade mit den avancierten Medien der Massenkommunikation zu vermitteln. Aber das war vor dem Pop, wie er im bürgerlich-demokratischen Amerika entstanden war.

In den Wurzeln der Country & Western-Musik führte das Ideologische dieser Kultur noch explizit und altmodisch in Form von Inhalten eine Randexistenz, ansonsten wurde Inhaltsschwäche und Inhaltsferne zum eigentlichen Dogma der Kulturindustrie. Die Ursprungslosigkeit des Neuen, wie sie die Kulturindustrie in ihrer Produktion maschinenähnlich hervorbringen wollte, führte zu einer Distanz jeder identifizierbaren Bestimmung.

Gerade die Identitäten der ersten Stars als Rebellen und Volkshelden zugleich, das Durcheinander der Hautfarben und Haltungen, hat die Integrationsfähigkeiten der Wohlstandsgesellschaften deutlich erhöht. So gesehen funktionierte die supranational agierende Pop-Kultur auch als Konstituens einer Kultur-Supra-Nation, die als "der Westen" im Kulturkampf gegen den roten Osten in Position gebracht werden konnte. Die Kulturnation war somit nicht mehr auf eine Staatsnation fixiert oder gar auf ein völkisches Nationenkonzept. Kraftwerk deutete das Hinfällige dieser alten Konzepte an.

Die Nazi-Ideologie konstruierte ein Ewig-Deutsches, Arisches, in einer glorreichen Tradition und Geschichte. Indem Kraftwerk damit kokettierten und gleichzeitig diese Bezüge in ihren Arbeiten wild mit anderen verknüpften, entwerteten sie das Ideologische. Sie machten dabei auch die Autorenschaft von Künstlern als Position kenntlich und demaskierten so die angeblich mythischen Wurzeln.

Laibachs ambivalente Totalitarismus-Kritik

Der slowenische Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Zizek hat in einem Verteidigungstext für die slowenische Band Laibach die ihnen unterstellte Nazitümelei als künstlerische Strategie verteidigt. Es sei, so Zizek, das Anliegen von Laibach, das versteckte Umgekehrte der Ideologie an den Tag zu bringen. Indem Laibach die Ästhetik des deutschen und italienischen Faschismus mit der des Staatskommunismus kombinierten, verband die Band zwei Formen des Totalitarismus und amalgamierte sie zu einer künstlichen Einheit, die in ihrer offensichtlichen Nicht-Authentizität vor allem dem Wesen des Faschismus widersprach.

Wie in der Leni-Riefenstahl-Ausstellung in Potsdam zu sehen war, wird in der faschistischen Ideologie und der von ihr geprägten kulturellen Produktion gerade das Ewige, alle Zeiten und Ären transzendierende arische Ideal gepflegt - so leer und nichtssagend es bei näherer Prüfung auch sein muß, um in seiner Übersignifikanz politisch wirksam sein zu können. Gerade die Nähe zur Leere radikalisierte dessen Streben nach einer strahlenden, in sich geschlossenen, ästhetischen Oberfläche.

Wie diese Mythen konstruiert werden und welche Lügen größte Erfolgsmöglichkeiten haben, analysierte der Künstlerverband aus Slowenien im Gesamtkontext der Neuen Slowenischen Kunst. Mit großer Freude stellten die Künstler immer wieder neuen Unfug an: schufen imaginäre Landkarten, gaben immer absurdere historische Referenzen und vereinten die Volksstämme der Slowenen, Slowaken, Slawonier und Slawen kurzerhand zu einer völkischen Einheit - wegen ihrer sprachlichen Ähnlichkeit.

Laibach waren mit dieser Praxis nicht nur eine erste seismographische Warnung für den ethnischen Irrsinn, der im ehemaligen Jugoslawien und im gesamten Ostblock ausbrach. Gerade als Staatsangehörige Jugoslawiens, einem relativ jungen Nationalstaat mit einem stark regionalistisch-föderalistischen System, konnten sie die Ideologie als - so Zizek - "leeren Container" entlarven, in den jeder hineingreift und das herauszieht, was ihm gerade brauchbar erscheint. Ideologie ist als Container ein leerer Punkt der Übereinstimmung. Wichtig ist nur, daß alle Gläubiger der Ideologie den Container als denselben wahrnehmen.

Eine reaktionäre Identitätsbestimmung kann in diesem Zusammenhang als ein bewußt-unbewußter Glauben an die ewige Gültigkeit der Inhalte verstanden werden. Nicht reaktionär ist der Umgang, der diesen Glauben verloren hat, oder besser noch, sich nicht mehr erinnern kann. Kraftwerk und Laibach operierten mit ihren Arbeiten an einer historischen Übergangssituation, in der sie ungläubig das Alte beschworen, weil sie sich - im Falle von Kraftwerk - sicher waren, daß dieser Spuk ausgestanden sei, und - im Falle von Laibach - weil sie ahnten, daß dieser Spuk mit Vehemenz nochmals auf sie zukommen würde.

Die kalkulierten Ambivalenzen trugen Spuren der Verunsicherung mit sich, die beiden Bands angesichts der kontaminierten Geschichte der Massenkommunikation im 20. Jahrhundert als Selbstreflexion unabdingbar erschienen. Es war diese nahezu paradoxe, ja exorzistische Praxis im Umgang mit der Macht der Pop-Kultur, ein Akzeptieren der Verantwortung, die genau jene Macht problematisierte, ohne auf ihren Nutzen verzichten zu wollen.

Kraftwerk und Laibach bilden mit dieser Praxis sicherlich Ausnahmen im Kontext der Pop-Kultur, in ihrer Durchdachtheit vielleicht vergleichbar mit einigen HipHop-Musikern oder dem Situationistentum Malcolm McLarens. Brandstiftertum und künstlerische Avantgarden lagen in diesem Jahrhundert oft nahe beieinander. Ihre Statements hatten oft Manifestcharakter, wie um das Ideologische ihrer Kunstwelten zu manifestieren und gleichzeitig damit das Ideologische der klassischen Avantgarden aufzuzeigen.

Die künstlerische Praxis von Laibach und Kraftwerk arbeitete - trotz des Wissens um die Unmöglichkeit eines solchen Vorhabens - in jeder Richtung auf eine Auflösung wie auch immer gearteter ideologischer Strukturen hin und wählte dafür die Mechanik einer paradoxen Strategie: Die Katharsis wurde durch hysterische Übertreibung und Ikonoklasmus eingelöst.

Provokation ohne Provokation: Rammsteins Leere

Anders funktionieren Rammstein: die zweite Band nach Kraftwerk, die in den USA mit ihrem Deutschtum Millionen Platten verkaufte und 1999 für den Grammy nominiert wurde. Die Musiker der Band kommen aus der früheren DDR, also wie Laibach aus dem ehemaligen Ostblock. Sie sind damit doppelt Fremde in der anglo-amerikanischen Pop-Kultur, die nicht nur nicht-deutsch, sondern auch immer schon kapitalistisch war.

Anders als Kraftwerk und Laibach entstammen Rammstein auch keinem größeren intellektuellen Umfeld; die Musiker kommen aus nicht-akademischen Berufen. Ihr Umgang mit Zeichen und Mythen ist ziemlich unmittelbar. Musikalisch fusionieren sie Heavy Metal und EBM mit einem Schuß Laibach, um durch Aggressivität und Bedrohlichkeit bei entsprechenden Dezibel-Zahlen possierlich Angst und Schrecken zu verbreiten. Die kalkulierte Vehemenz gibt sich keine Sekunde den Anschein irgendeiner Authentizität, dazu ist das Programm der Band zu überschaubar.

Der Name ist eine Anspielung auf den Ort des schrecklichen Unfalls während einer Flugschau in den achtziger Jahren und damit eine Provokation. Ebenso die Themen, die Rammstein aufgreifen: Inzest, Kinderschändung, Satanismus etc. Rammstein reduzieren sich zum kongenialen Echo der Themen, wie sie die vielen Infotainmentsendungen und Boulevardmedien täglich setzen und zu Teilen der Unterhaltung gemacht haben.

Da diese Themen alle entsprechend gewalttätig vorgetragen werden, wird die Provokation erhöht und zu einer Form von Aggressivität stilisiert, die als Pop-Image gut funktioniert. Rammstein sind weniger ironisch als andere Pop-Bands - ihr Spiel mit dem Feuer hangelt sich stur von Klischee zu Klischee. Ironie kennen sie nicht, mit jedem neuen Song und jedem neuen Video vervielfältigen Rammstein lediglich ihren Selbstentwurf. Fast verbissen bleiben sie sich treu. Sie verspielen damit die Dynamik und Komplexität, die Kraftwerk oder Laibach aufbrachten, um ihre eigenen Codes immer wieder über die Klinge springen zu lassen. Die mangelnde Souveränität im Umgang mit den eigenen Codes läßt Rammstein zu Opfern ihres Images werden.

Doch gerade das Stumpfe und Primitive der Musik von Rammstein reizt nicht nur das deutsche Publikum. Der US-amerikanische Filmemacher David Lynch hat Rammstein in seinem Soundtrack für "Lost Highway" ausgewählt. Der deutsche Text und die das Paranoide des Lynchschen Films herausstreichende Aggressivität der Musik sind der perfekte Verstärker für stilisierte, düstere Kunstwelten, wie sie Lynch so gerne anrichtet. Während ihrer erfolgreichen Amerika-Tour '98 sollten Rammstein feststellen, daß genau das Befremdliche ihrer Musik von den US-Amerikanern goutiert wurde. Bei vielen Konzerten sang das Publikum den Songtext mit, ohne zu wissen, was dieser bedeutet. Ähnlich wie für viele Pop-Freunde in Deutschland, Polen oder in Indien ist das Nicht-Verstehen eines Textes kein Hindernis für die Aneignung des Songs.

Die Wörter werden als integraler Bestandteil des Songs mitaufgesogen. Sprache wird reduziert auf Laute, Betonungen, die performativen Komponenten des Sprechens. Daß dies besonders bei Rammstein gut funktioniert, überrascht nicht: ist der heulende, tiefe Klang der Stimme des Sängers Till Lindemann und sein Reichsparteitags-ähnliches Rollen des "R" selbst eine tautologische Übertragung ihrer Codes auf den Gesangsstil. Rammstein sind aus einem Guß und verzichten gerne auf Widersprüchlichkeiten und Koketterien, die Pop-Musik so filigran wirken lassen können.

Die Art der Affirmation, die Rammstein ihren Provokationen, ihrer Konstruktion von Männlichkeit, Deutschsein und letztlich ihrer eigenen Arbeit entgegenbringen, unterscheidet sich deutlich von der aporetischen und strategischen Affirmation, wie sie durch Pop-Art und Pop-Kultur insgesamt hegemonial geworden war. (...)

Das Kunsthandwerkliche der Imagekonstruktion bis hin zum naseweisen Einsatz der Leni-Riefenstahl-Zitate im Video macht die Leere des von Rammstein annektierten Raumes in der Pop-Kultur deutlich. Deutlich wird, wie nichtssagend, stumpf und öde Leere sein kann, wenn sie nicht als Negation oder Verweigerung von Fülle gedacht worden ist. Nur noch apokalyptisch postmoderne Denker dürften sich nach der Produktion solcher Leere sehnen, weil diese Leere in ihrer Affirmation lediglich weitere uninteressante Leere produzieren kann. Die Affirmation bei Rammstein bleibt ein beflissenes Spiel mit der eigenen Unfähigkeit, gegen irgendetwas rebellieren zu können oder zu wollen, bzw. ist diese Rebellion schon rechts. Gefragt nach ihren provokativen Textinhalten, verweisen sie in Interviews gerne auf die grausame Realität, die sie umgibt und von den Medien vermittelt wird. Sie würden diese nur widerspiegeln.

Solche Plattheiten müssen jedoch angesichts der Identitäts- und Nationalitätsdebatten in Deutschland, nach dem rechtsradikalen Terrorismus der letzten Jahre ziemlich fragwürdig erscheinen. Der politische Kontext, in dem sich Rammstein auf Deutschland beziehen, ist nicht mehr der des Kniefalls Brandts in Warschau, sondern der von brennenden Häusern von Flüchtlingen und MigrantInnen.

Diese entscheidende Differenz trennt die Imagepolitik von Rammstein nicht nur im Ästhetischen von der Pop-Politik Kraftwerks. Rammsteins Feedbackschleifen zum völkischen Sumpf der Neuen Rechten berauben ihre Musik jeglichen "hedonistischen Potentials", auch wenn das "irgendwie-linke" Rezipienten gerne anders sehen möchten.

Völkisch geerdet oder trivial entwertet?

Pop ist anscheinend auch die Kulturform, in der Reaktionäres und gar "Unmoralisches" Riesenfreude machen kann. In diesem Sinne ist das Rammstein wohl gelungen. Ihre (oder die von der Plattenfirma angezettelte) rührende Provokation, das Video zu dem Depeche Mode-Cover "Stripped" mit Leni-Riefenstahl-Samples zu basteln, wirkt so naheliegend wie bemüht. Doch die Synthese birgt in ihrer uncharmanten Direktheit der Übertragung einen Störfall, der an den Intentionen von Sampelnden und Gesampeltem vorbei, Musik wie Bilder wechselseitig entmündigt. Aus den Nacktszenen der Riefenstahl wurde ein athletischer Striptease-Jingle mit vielen arischen Nackedeis, während Depeche Mode den Striptease eher als Metapher für die Machtprobleme im libidinösen Durcheinander von Mann und Frau gemeint haben dürften.

Die Musiker von Rammstein wurden ein wenig zu Hampelmännern der Plattenindustrie, die den Tabubruch, Nazi-Sympathisierendes 1998 in die Pop-Musik einzuschleusen, aufs neue und gewinnträchtig gewagt hatten. Verglichen mit den Attacken der New York Dolls und der Sex Pistols, die vor Hakenkreuzbannern spielten oder Hakenkreuzbinden am Arm trugen, wirkt dieser Einfall uninspiriert und plump.

Man kann sich das Gesicht des Produktmanagers vorstellen, der mit ernster Miene erklärt, daß dies ganz schön Ärger geben werde, und der sich darauf freut, daß die Medien auf diese Provokation anspringen. Die Geschichte der Pop-Musik ist eine Aneinanderreihung von Provokationen. Mehr noch: Die künstlerische Qualität von Pop-Musik erschließt sich nicht zuletzt über die Intelligenz und Raffinesse der Provokation und ihrer Wirkungen innerhalb der Massenkultur. Nach "Tanz den Adolf Hitler" von DAF oder den SS-Runen bei Kiss, nach den Riefenstahl-Rip-Offs bei den Photographen Bruce Weber und Herb Ritts, nach dem Hitler-Bart der Sparks, nach Punk, New Wave, Laibach, EBM und Industrial liefert Rammsteins Video nur die warenförmigste und eindimensionalste dieser Provokationen.

Die Selbstverständlichkeit, mit der Musikkanäle wie Viva oder MTV den Clip geschluckt haben, deutet darauf hin, daß der Input an Provokation nur minimal gewesen sein konnte. Die zur Schau gestellte Ästhetik der Riefenstahl reiht sich mühelos in den bunten Strom der Clips ein. Allein wegen des Videos dürfte wohl kein Jugendlicher zum Nationalsozialismus konvertiert haben. Gerade die Banalität des Geschlucktwerdens ist sowohl Kompliment wie Verhängnis für die Riefenstahlsche Kunst.

Ein Kompliment für die zeitlos unterhaltsame Schönheit, ein Verhängnis, weil sie endlich dort gelandet ist, wo sie vermutlich nie landen wollte: in der Indifferenz einer demokratischen Massenkultur, in der solche Bilder möglich sind - wie alle anderen auch. Aus der großen Foto- und Filmkünstlerin der Nazidiktatur ist eine unter vielen geworden: eine Durchschnittsware der Pop-Kultur ohne besondere ideologische Durchschlagskraft. Mit ihrem schamlosen Zitieren und Ausbeuten von allem und jedem demonstriert die Pop-Kultur, wie schnell aus den Mythen der Geschichte die Luft herausgelassen werden kann.

Die Heldin des Tausendjährigen Reiches hat ihre Grenzen in der schonungslosen Wut des Modischen gefunden, in der alles der Gegenwart zum Fraß vorgeworfen wird. Gerade der vordergründig archaisch anmutende Ewigkeitskitsch der Nazikunst erfährt hier seine triviale Entwertung. Optimistisch interpretiert, stellt so die stolze Pop-Kultur ein vernichtendes Urteil über diesen Teil der deutschen Vergangenheit aus: Was muß das für eine Zeit und eine Welt gewesen sein, in der diesem hohlen Pathos Millionen auf den Leim gegangen sind!

Aber auch hier bliebe die unangenehme Frage, worin sich der massenhafte Konsum von solchen Rammstein-Werken heute begründet. Das dürftige oder nicht-vorhandene Ausmaß der Problematisierung im Umgang mit Kunstprodukten des Dritten Reiches ebenso wie mit betont provokanten Inhalten kann vor dem Hintergrund demokratischer Indifferenz als endgültiges Todesurteil für jede Form der Sujetfixierung gehalten werden, oder für das schleichende Gift, das mit dem Aussterben der Generation, die Krieg und Nationalsozialismus erlebt hat, eine neue Unbefangenheit im Umgang mit den Symbolen und Produkten des Dritten Reiches unter die Menschen bringt.

Rammsteins trivial-postmodernistische Reinkarnation des Völkischen ist so entweder Marketing-Kindergarten oder der widerliche Boden, auf dem jugendlichen Lynchmördern das Zu-Tode-Prügeln von "Nicht-Arischem" pop-kulturell geerdet wird.

Ulf Poschardt, Chefredakteur des Magazins der Süddeutschen Zeitung hat diesen Vortrag am 29. Januar 1999 in Potsdam im Rahmen der Leni-Riefenstahl-Ausstellung gehalten.

Bei der Veranstaltung kam es sowohl vom Publikum als auch von einigen der Diskussionsteilnehmer auf dem Podium zu offen antisemitischen und nationalistischen Äußerungen. Als diese ohne Widerspruch blieben, verließ Poschardt den Saal. Die Jungle World hat in der Nr. 6 / 99 darüber berichtet.

Der Text, den der Autor für die Veröffentlichung noch einmal durchgesehen hat, ist von uns geringfügig gekürzt worden. Die vollständige Fassung, erscheint in der Zeitschrift Die Beute, Nr. 3. Wir danken dem Autor und der Redaktion der Beute für die Genehmigung zum Vorabdruck. (Red.)