Welt der Warenform X

Emanzipation im Joghurt

Was für eine Zeit! Menschen, die vor fünf Jahren noch Doktor Best staunend Tomatentricks abgekauft und gar für Wissenschaft gehalten hätten, werben heute für Joghurt. Eine teigige Mitfünfzigerin mit Backen, die schlabberig herabhängen wie geronnene Biokulturen am Becherrand, flötet vergnügt: »Do sind so löbende Oktiv-Kulturn drön - und die störken meine Gesundheit.«

Um sich gegen die täglich »bis hier in den Elfenbeinturm hinauf schwappende Scheiße« (Flaubert) abzuhärten, zappe ich zwischen »TeleGym« und »Reich und Schön« herum - dann sowas. Eine neue Generation sitzt nun werktäglich vorm Vormittagsprogramm. Einen weisen Doktor Best im weißen Kittel haben sie nicht nötig. Es reicht jemand, der genauso wenig Ahnung hat wie sie. In Nischen gibt es ihn noch, den Herrn im weißen Kittel. Mit Spachteln kämpft er nun gegen Senkrechtborsten, die gelbes Plaque nicht wegbekommen. Fast zärtlich streicheln die neuen X-Borsten die gelbe Ersatzmasse vom Ersatzgebiss, liebkosen drauf die obligatorische Tomate.

Hier sehe ich, was die x-borstige Zahnbürste besser kann als meine senkrechtgeborstete. Plaque wegmachen und Zahnfleisch erregen. Einem Best vertraue ich. Der hat den Doktor selbst auf der mit allerlei Experteninstrumenten gefüllten Brustasche des weißen Autoritätskittels stehen.

Mit Best putzt, wer an Geist, Wissenschaft und die Nützlichkeit all dessen für die Zahngesundheit und Mundhygiene glaubt. Das tun heute neben intelligenten nur alte Menschen voller Autoritätsfurcht. Professorale Atmosphäre gibt's allein in Werbespots für Anti-Osteoporose-Mittel. Da zerbricht ein netter Herr in Mister-Bean-Tweed ein Stück Kreide beim Anschreiben des wichtigen Wortes Osteoporose an die Tafel. Wer zu blöd ist, das Hörgerät auf Fernsehkanal zuschalten, kriegt so trotzdem mit, worum es geht. Und einen Schreck. Weil die Kreide ja einer seiner Knochen sein könnte. Dann setzt sich der Tweed-Professor hinter den riesigen Holzschreibtisch mit den vielen Büchern drauf und erzählt was von Osteofortin forte. Puh, Glück gehabt. In 60 Jahren werd ich's kaufen.

All das haben die Werbungsstereotype junger, moderner, frecher Frauen nicht nötig. Wer modern ist, braucht keinen Experten, um zu wissen, was gut für die Abwehrkräfte ist. So sieht emanzipiertes Verhalten aus. Emanzipiert von Autoritätsfurcht, aber nicht von »TeleGym«. Und vor allem nicht von gnadenloser Dummheit. »Do sind so löbende Oktiv-Kulturn drön« reicht schon. »Die machen, dass ich gesund bleibe« überzeugt restlos.

Emanzipation des Konsumenten heißt, sein Unwissen wie die Fahnen beim Schützenumzug vor sich herzutragen. Unwissenheit als arrogante Dummheit ist die Tugend, der die teigige Frau ihren Auftritt im Spot verdankt. Denn Emanzipation kann man als Joghurt kaufen. Modern ist, wer stolz drauf ist, einen Joghurt zu fressen, der sehr gesund ist - ohne zu wissen, warum. Ambitioniertere aus der dynamisch-modernen Kommunikationswirtschaft kaufen ihre Emanzipation halt als Lucky Strikes. Darauf einen fettigen Aldighurt und eine Roth Händle.