Brot und Spiele heißen heute New Economy und Menschenrechte

Die Grenzen des Imperiums

Das Imperium als Form souveräner Macht jenseits nationalstaatlicher Souveränität, als paradoxes Gebilde grenzenloser kapitalistischer Akkumulation, kontinuierlicher Krise und permanenter Infragestellung: Toni Negri und Michael Hardt beschreiben in Empire die aktuelle globale Ordnung weniger als festgefügte Struktur denn als historischen Übergang.

Die kritische Diskussion wird die in Empire entwickelte These, das Imperium sei eine Passage, ein Übergang, in ihrer materialistischen Ausrichtung ernst nehmen. Denn Passage verweist nicht auf ein Ende oder einen noch nicht erreichten Zustand, die imperiale Ordnung ist kein Übergang »zu etwas«. Der Begriff ruft vielmehr ein architektonisches Bild auf. In ihm verbinden sich Fragilität und Stabilität. Dieser Bau der imperialen Passage mag vielleicht an das Konzept erinnern, das Walter Benjamin in seiner Wahrnehmung der Pariser Passagen, des für ihn paradigmatischen Ortes des 19. Jahrhunderts, entworfen hat. Auch Hardt und Negri sehen die Restrukturierung von Raum und Zeit, die das Imperium mit sich bringt, in unmittelbarer Nähe zur Sicherung der Herrschaft gegen die Insurrektion.

Grundlagen des imperialen Übergangs wären die Abfolge und das Ineinandergreifen sozialer Kämpfe um Befreiung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der antikolonialen Revolutionen im Trikont ebenso wie der weltweiten Revolten antiautoritärer Bewegungen, gleichermaßen der Kämpfe im Reproduktionsbereich und des Widerstands gegen die Fabrikgesellschaft. Mit der Beschreibung dieses epochalen historischen Einschnitts verbinden Hardt und Negri die Kritik an einer Reihe von Kategorien, die zur Bezeichnung der herrschenden Verhältnisse gängig sind, etwa postfordistisch, neoliberal oder postkolonial. Ein Denken, so der Einwand, das von solchen Begriffen ausgeht, orientiert sich zu sehr an vergangenen Herrschaftsformen und sucht in der Gegenwart vor allem ihre Fortdauer. Eine solche Perspektive weist zudem politisch rückwärtsgewandt in Richtung einer »Verteidigung« - oder bestenfalls einer »Kritik« - des Alten. Sie orientiert sich weiter, wie etwa bei Pierre Bourdieu, am nationalen Sozialstaat oder glaubt ihren Gegenstand in den mit der großen Industrie verbundenen Lohnarbeits- und Haushaltsstrukturen zu finden. Diese Verhältnisse sind für den globalisierten Kapitalismus heute aber nicht länger charakteristisch; wer sich auf sie beschränkt, läuft Gefahr, einem sozialen Reformismus nachzutrauern, den das Ressentiment gegen jede Abweichung und die Abwehr von Differenz begleitet haben.

Merkmal der imperialen Ordnung ist hingegen, dass sie die Gesellschaft insgesamt der kapitalistischen Verwertung und Ausbeutung aussetzt. Die daraus resultierende soziale Formation restrukturiert einen Zusammenhang von Produktion und Reproduktion, den Hardt und Negri als »reelle Subsumtion der Gesellschaft«, und nicht mehr allein der produktiven Arbeit, unter das Kapital ansprechen. Resultat wäre eine »biopolitische Ordnung«, die sich auf der Grundlage der Regulierung des Lebens und der Bevölkerung etabliert. Diese Ordnung zielt darauf, die Kontrolle über sämtliche Aspekte des Lebens zu intensivieren; aber zugleich umgekehrt: alle Äußerungen des Lebens vom Verwertungszyklus auszuschließen und damit das Leben selbst in Frage zu stellen.

Die Souveränität als Macht, »innen« von »außen« zu trennen, Einschluss und Ausschluss zu sanktionieren, »leben und sterben zu lassen«, ist in der Ordnung des globalisierten Kapitalismus von der Bindung einzig an den Nationalstaat gelöst. Momente souveräner Macht lassen sich vielmehr zerstreut in den Instanzen und Apparaten des Imperiums ausmachen. Diese Zerstreuung der Souveränität findet ihre Entsprechung in der Gliederung des gesellschaftlichen Raums. Im Imperium überlagern und verschieben flexible und sich kreuzende Segmentierungen die modernen Prozeduren der Diskriminierung und Repräsentation, seine Ordnung durchziehen und strukturieren neue Spaltungen und Einschlüsse. Die Auseinandersetzung zwischen imperialer Macht und den Kräften, die sich ihr widersetzen, ist heute in diesem schrankenlosen Raum zu suchen.

In den Formen des Alltagslebens und des Widerstands, der Produktion und der sozialen Konflikte wären die gesellschaftlichen Veränderungen zu entdecken. Die Perspektive Hardts und Negris auf diese Veränderungen ist bestimmt durch die Frage nach den Kräften, die ihre Dynamik antreiben. Sie betonen das Primat der gesellschaftlichen Kämpfe vor den Herrschaftsstrategien. In diesen Auseinandersetzungen zeigen sich die Grenzen des Imperiums. Die Globalisierung reagiert auf die Krise der nationalstaatlichen Regulierung, sie ist die Konterrevolution der vergangenen Epoche.

Umkämpft ist der strategische Einsatz des modernen Staats, die Organisation der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, und insbesondere die Verbindung der Produktion des Wissens mit der imperialen Macht. Was im Fordismus noch als Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit angesprochen werden konnte, tritt heute radikal verändert in Erscheinung: Die Neuzusammensetzung der lebendigen Arbeit, die kooperierenden, kommunikativen, schöpferischen, affektiven Momente der Produktivität und die gleichzeitig fortgeschrittene Vergesellschaftung intellektueller Arbeit versucht der paradoxe Begriff der immateriellen Arbeit zu fassen. Im Widerstand gegen die kapitalistische Verwertung und Ausbeutung treten neue soziale Kräfte auf, Hardt und Negri fassen sie mit dem Terminus »Massenintellektualität«.

Herrschaftsstrategien zielen heute darauf, die Neuzusammensetzung der lebendigen Arbeit in räumlich zerstreuten, informatisierten und automatisierten Produktionsprozessen, in prekarisierten und deregulierten Arbeitsbeziehungen zu unterwerfen. Das Repertoire der Ein- und Ausschließungsprozeduren reicht von der Show mit dem Titel »New Economy und Menschenrechte«, die einen Teil der immateriellen Arbeit an die Entwicklungsdynamik des globalisierten Kapitalismus anbinden soll, bis zum Krieg.

Gegen die imperiale Ordnung wäre der Gedanke der Befreiung von jedweder Herrschaft in seiner Radikalität wieder aufzunehmen. Die sozialen Kräfte der Befreiung charakterisieren Hardt und Negri als Multitude, als lebendige und schöpferische Vielheit, die sich einer Repräsentation als Volk, als Nation, als Staat verweigert. Ihre Konstituierung soll Massenintellektualität und Autonomie der sozialen Kooperation verknüpfen. Anzeichen solcher Konstituierung veranschaulicht Empire in Kämpfen gegen Grenzregimes, in Initiativen für ein universelles und an keine Bedingungen geknüpftes Einkommen, in Strategien der Aneignung des Wissens und des gesellschaftlichen Reichtums. Das Ziel wäre, mit anderen Worten, die Rücknahme des Imperiums in die Multitude. Die Commune.