No Border

»Freedom of Movement« ist das zentrale Motto in den Aufrufen der europäischen antirassistischen Grenzcamps in diesem Sommer und zu den Aktionstagen gegen den G8-Gipfel in Genua. Die Erklärungen für das Recht auf Einwanderung und für Bewegungsfreiheit unterstützen einmal mehr die Forderung nach Gleichheit in allen sozialen und politischen Rechten, wie sie Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten formuliert haben. Es geht dabei nicht um die Regelung einzelner Aspekte des Aufenthalts, sondern um das Recht, Rechte zu haben.

Die Situation, von Menschen- und Bürgerrechten ausgeschlossen zu sein, in der Sans Papiers und Flüchtlinge leben, ist auch der Ansatzpunkt für die Überlegungen, die Giorgio Agamben im hier veröffentlichten Interview und Essay entwickelt. Sie gehen aus vom Ausnahmezustand im modernen Staat als Befugnis, das geltende Recht einzuschränken oder aufzuheben. Diese Macht ist Merkmal der politischen Souveränität im Nationalstaat. Das Recht selbst setzt sein »Außen«, den rechtsfreien Raum und entsprechend auch die rechtlosen Subjekte.

In der internationalen Diskussion einer kritischen Theorie des Rechts ist Agamben wohl bekannt, während hierzulande seine Position (da die Texte nicht übersetzt sind) bisher nahezu unbeachtet geblieben ist. Agamben bleibt nun nicht beim Problem des Ausnahmezustands stehen, sondern fragt nach der Grundlage der modernen Souveränität und knüpft dabei an Überlegungen von Michel Foucault zur Biopolitik an. Biopolitik heißt der Zugriff des Staats auf die Reproduktion der Bevölkerung; den staatlichen Maßnahmen sind die Individuen nicht als Staatsbürger, sondern als »nacktes Leben« unterworfen. Erst vom Staat werden der bloßen körperlichen Existenz aufgrund der Geburt und der Abstammung Rechte zuerkannt. Der Geltungsbereich der Rechte verschmilzt gleichzeitig mit dem Territorium. Es ist diese Einheit von Geburt, Abstammung und Territorium, die die Nation konstituiert.

Agambens Thesen erklären, wie die abgestuften Maßnahmen der Entrechtung Flüchtlinge sukzessive auf das nackte Leben beschränken. Sie werden der Schutzrechte, die der bürgerliche Staat seinen Bürgern gewährt, beraubt und der staatlichen Gewalt wie auch dem nichtstaatlichen rassistischen Terror ausgeliefert. Doch auch bei der Gewährung von Rechten ist die Abstufung in die Rechtsordnung eingeführt. Und die Abwehr der wohlwollenden Linken gegen die Forderung nach »offenen Grenzen« affirmiert diese Struktur der Entrechtung noch in der Beschränkung auf »humanitäre Gründe« oder in Vorschlägen zur »stufenweisen Integration«.

Der Anspruch auf das Recht, Rechte zu haben, folgt einem radikal anderen Prinzip als die administrativen und gesetzlichen Maßnahmen der »Integration«. Gegen juristisch kodifizierte Beschränkungen der Rechte von Einwanderern im Verhältnis zu anderen Teilen der Bevölkerung wird das unbedingte Recht gestellt, sich zu bewegen oder niederzulassen und über die gleichen Rechte zu verfügen. Die Forderung verlässt derart den engen Horizont der tradierten bürgerlichen Rechtsordnung.

Lässt sich die Subversion der Ordnung des Ausnahmezustands in den Alltag erweitern? Die No Border-Grenzcamps für das Recht auf Einwanderung sollen dies erkunden: in Tarifa (Spanien) vom 2. bis 7. Juli, in Petisovci (Slowenien) vom 4. bis 8. Juli, in Bialystok (Polen) vom 5. bis 12. Juli und am Flughafen Frankfurt am Main vom 27. Juli bis 5. August.