Modell Parkbank

Nach Strafgefangenen und Immigranten nimmt sich Roland Koch nun die Sozialhilfeempfänger vor. Die rot-grüne Koalition versucht mitzuhalten.

Der Mann hat einen geraden Lebensweg. Mit nur 14 Jahren eine Ortsgruppe der Jungen Union gegründet, mit 20 Kreisvorsitzender der CDU Main-Taunus. Von 1983 bis 1987 stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungen Union, dann immer in den richtigen Hintern gekrochen - bevorzugt bei Manfred Kanther und Helmut Kohl. Schließlich mit Geld aus der organisierten Kriminalität und rassistischen Parolen 1999 Ministerpräsident in Hessen geworden. Und ausgerechnet so einer, der nach oben immer buckelte, um nach unten zu treten, der seine asoziale Karriere stets ohne Rücksicht auf Verluste vorangetrieben hat, will nun anderen vorschreiben, wie sie zu leben haben. Schlimmer noch, er will darüber befinden können, ob sie überhaupt ein Recht auf Leben haben oder nur aufs Vegetieren.

Roland Koch hat den US-Bundesstaat Wisconsin besucht, den Partnerstaat seines Bundeslandes Hessen. Und eines hat ihm dort besonders gefallen: Wie in Wisconsin mit den Ärmsten der Armen umgesprungen wird. Nur knapp 6 000 der rund fünf Millionen Einwohner des Bundesstaates bekommen Sozialhilfe ausgezahlt, über 90 Prozent weniger als noch 1995.

Wer in Wisconsin Sozialhilfe beantragt, bekommt erst einmal kein Geld, sondern einen Coach, eine Art Bewährungshelfer. Dessen Ziel ist es vor allem, die Antragsteller wieder in den kapitalistischen Verwertungsprozess einzugliedern. Und wenn die Betreuten dabei nicht spuren, kann der Coach ihnen die staatlichen Leistungen verweigern. »Wisconsin Works« will Roland Koch jetzt auf Hessen übertragen.

Er weiß, wie man mit Angriffen auf Minderheiten Stimmung macht und Stimmen sammelt. Im hessischen Landtagswahlkampf vor zwei Jahren nahm er zuerst Strafgefangene aufs Korn. Den Strafvollzug in Hessen werde er zum »konsequentesten und härtesten in Deutschland« machen, versprach er. Dann entdeckte er die Immigranten als Feindbild. Mit der Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft mobilisierte er Wählerinnen und Wähler weit über das rechte Spektrum hinaus und schaffte es so auf den Sessel des Ministerpräsidenten.

Jetzt sind die Sozialhilfeempfänger an der Reihe. »Wir sind zu weich beim Zwang und zu schlecht bei der Hilfe«, verkündete der Ministerpräsident mit Kanzlerambitionen nach seiner Heimkehr aus den USA und bediente damit einmal mehr die kleinbürgerlichen Ressentiments seiner Klientel gegen so genannte Drückeberger. Wer in Hessen arbeitsfähig sei und sich einer Beschäftigung verweigere, »sollte sich auf ein sehr bescheidenes Leben bis hin zur Wohnunterkunft einrichten«, drohte Koch.

Aus den eigenen Reihen erntete er erwartungsgemäß viel Beifall, schließlich erhofft sich die Union ein zweites Wahlkampfthema neben der Zuwanderung. Kochs Vorschlag sei nicht nur für Hessen interessant, sondern für ganz Deutschland, verkündete Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU). Der Unions-Fraktionsvorsitzende, Friedrich Merz, schlug in die gleiche Kerbe und forderte, Arbeitsunwilligen die staatlichen Leistungen zu kürzen. Der Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse, Hermann-Josef Arentz, will Drückebergern die Sozialhilfe gleich ganz streichen.

Und natürlich ist auch die FDP begeistert. Was bei Asylbewerbern schon längst praktiziert wird, soll in Zukunft auch für Sozialhilfeempfänger gelten. Wenn es nach dem Parteivorsitzenden Guido Westerwelle ginge, würde es statt Geld nur noch Sachleistungen geben, »wenn sich jemand stetig weigert, angebotene Arbeit anzunehmen«. Und auch Bayerns Sozialministerin Christa Stewens (CSU) will den Druck auf Sozialhilfeempfänger so erhöhen, dass sie auch eine »niedrig produktive und niedrig entlohnte Arbeit« annehmen. Gemeinsam mit Hessen plant Bayern deshalb nun, über den Bundesrat das Sozialhilfegesetz zu ändern.

Doch was da so vollmundig und laustark gefordert wird, ist im Bundessozialhilfegesetz längst enthalten. Nach Paragraf 18 ist jeder Hilfeempfänger verpflichtet, angebotene, zumutbare Arbeit anzunehmen. Wer sich weigert, verliert - so ist es im Paragraf 25 geregelt - seinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt. Das fängt bei der Kürzung um 25 Prozent an und geht bis zur völligen Einstellung der Zahlungen. Dass in Deutschland nach den jüngsten Zahlen trotzdem immer noch 2,8 Millionen Menschen Sozialhilfe beziehen, liegt ganz einfach daran, dass der überwiegende Teil von ihnen nicht arbeiten kann: 27 Prozent der Sozialhilfeempfänger sind alleinerziehende Mütter, eine Million sind Kinder. Unter den Übrigen sind viele alt, behindert oder chronisch krank, oder sie sind Asylbewerber ohne Arbeitsgenehmigung.

Doch auch wenn sich Kochs Vorstoß vor allem als rechtspopulistische Sommerlochblase entpuppen sollte, so passt er doch zu einer Politik der ständigen Stimmungsmache gegen Arme, die schon lange kein CDU-Monopol mehr ist. Erst vor vier Monaten hetzte der sozialdemokratische Kanzler Gerhard Schröder gegen sozial Schwache und ließ in der Bild-Zeitung verlauten: »Es gibt kein Recht auf Faulheit.« Schröders Nachfolger im Amt des niedersächsischen Ministerpräsidenten, Sigmar Gabriel (SPD), fand in der vergangenen Woche denn auch lobende Worte für Kochs Vorschlag. Das Wisconsin-Modell sei im Prinzip richtig. Koch habe Recht, wenn er die fehlenden Arbeitsanreize beklage.

Im Arbeitsministerium von Walter Riester (SPD) bastelt man ohnehin an einem Gesetz, das die Rechte von Sozialhilfeempfängern weiter beschneiden soll. Eines der Kernziele des Vorhabens, das den Namen Job-Aqtiv-Gesetz trägt (Jungle World, 33/01), ist es, »Sozialhilfe nur noch dann in vollem Umfang zu gewähren, wenn die Arbeitsfähigkeit eines Beziehers nicht gegeben ist«. Zugleich soll der Sozialhilfesatz weiter verringert werden, um einen größeren Abstand zum Nettolohn der unteren Einkommensgruppen herzustellen.

Überlegt wird außerdem, Sozial- und Arbeitslosenhilfe zusammenzuführen, was de facto die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe bedeuten würde. Das Ziel ist eine weitere Entrechtung von Langzeitarbeitslosen, denn die Arbeitslosenhilfe berechnet sich nach dem vor der Erwerbslosigkeit erzielten Arbeitseinkommen, ist also ein Recht, das auch unabhängig etwa vom Einkommen des Lebenspartners gewährt wird und dessen Wegfall sich zum Beispiel auch auf die spätere Höhe der Rente auswirken würde.

Wann die Bundesregierung ihre Reform in die Tat umsetzen will, ist derzeit noch unklar. Angesichts des zu erwartenden Widerstands aus den Reihen der SPD-Linken wollte Riester das Vorhaben eigentlich erst nach der nächsten Bundestagswahl angehen. Neben den Unionsparteien und der FDP sind es indes vor allem die Bündnisgrünen, die den Sozialabbau schon früher verwirklicht sehen wollen. Die grüne Finanzexpertin Christine Scheel forderte in der vergangenen Woche, die Steuer- und Sozialhilfereform noch vor den Wahlen zu verabschieden.

Egal, wann und wie das Gesetz kommen wird: Die Umverteilung von unten nach oben kommt auch unter Rotgrün munter voran. Unternehmen und Besserverdiener werden weiterhin durch Steuererleichterungen entlastet. Das zeigt auch der neueste Vorschlag aus Kreisen der Koalition. Die Ökosteuer soll ab 2003 zur Absenkung der Lohn- und Einkommenssteuer verwendet werden. Sie wird also nur noch jenen zugute kommen, die ein versteuertes Einkommen haben, während die von ihr verursachten Kosten von allen Konsumenten getragen werden müssen.

Es läuft nach dem altbekannten Muster. Haushaltslöcher werden durch den Abbau staatlicher Aufgaben und Sozialleistungen gestopft. Die Folgen dieser Politik werden einfach privatisiert. Die Betroffenen bekommen den Sozialabbau ganz individuell zu spüren. Und dafür dürfen sie sich dann beschimpfen lassen.