Mächte des Wahnsinns I

Früher war alles besser

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Seit dem 11. September ist nichts mehr, wie es war.

Am 21. September putze ich die Wohnung meiner Frau. Nach einer trostlosen Geburtstagsparty scheuere ich elendig verkatert unseren gemeinsamen Abfalleimer. Ein 30-Mark-Produkt mit mechanisch schließender Klappe. Wenn die Klappe nicht schließt, stinkt es mehr als sonst.

Ich werfe den Deckel zum Trocknen nach draußen in unseren Garten in den seit Tagen andauernden Nieselregen, wo er in seine Einzelteile zerfällt: Deckel, Klappe und eine fünf Zentimeter lange Metallfeder. Deckel und Klappe sind leicht zu finden, die Feder suche ich vergeblich. Auf Knien krieche ich zwei Stunden über das 25 Quadratmeter große Rasenstück vor der Parterrewohnung im zweiten Hinterhof. Nebenher höre ich die aktuellen Berichte aus Amerika und werde durch Gardinen beobachtet.

Über mir fliegen Hubschrauber, und ich weiß, dass ein Mülleimer mit offenem Deckel das letzte ist, was ich brauche. Es gibt nur eine Möglichkeit, ich muss einen neuen Mülleimer kaufen. 30 Mark sind viel Geld. Ich krieche weiter durch den Regen. Es gibt noch eine Möglichkeit. Ich kann zu »Domäne« am Halleschen Tor fahren und eine Feder desselben Modells stehlen. Ich krieche noch ein bisschen durch den Regen. Dann fahre ich mit 5,2 Promille Restalkohol nach Kreuzberg.

Am 10. Oktober entrümple ich meinen Schreibtisch. Ich versuche ein Blatt zu finden, auf dem ich am zehnten Todestag von Miles Davis, dem 28. September, eine Idee skizziert hatte. Die einzige Idee seit Wochen. Das Blatt ist wichtig. Es ist weg. Ich leere meinen Papierkorb und verbringe eine Stunde in der blauen Tonne auf unserem Hof. Im Radio gibt es Hinweise zum Katastrophenschutz.

Mir fällt ein Freund ein, dem ich die Skizze zugefaxt hatte. Er ist nicht zu Hause, aber seine Frau bietet mir an, seinen Papierkorb zu durchsuchen. Ich fahre nach Neukölln.

Morgen gehe ich zu einer großen Wochenzeitung. Alle halbe Jahre ruft mich derselbe Bildredakteur an und kündigt Projekte an. Ich könnte den Job tatsächlich gebrauchen. Es wird etwas dazwischen kommen. Todsicher. Ich zweifle an meinem Atheismus. Die Welt hat ein schlechtes Feng Shui.

Genau jetzt, in dem Moment, wo ich diesen Text an die Adresse eines befreundeten Redakteurs mailen will, fragt mich mein Computer zum ersten Mal nach dem Kennwort für Remote Access. Welches Kennwort?

Gott ist ein armes Schwein, wenn es ihm Spaß macht, Typen wie mich fertig zu machen.