Mächte des Wahnsinns II

Gott und die Welt

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Seit dem 11. September ist nichts mehr, wie es war. Und seit heute früh weiß ich, warum. Zwischen dem 412. und dem 413. Liegestütz kommt es mir. Mitten in meiner Morgengymnastik finde ich die Erklärung für alles.

Aber ich muss weiter ausholen.

Am Abend des 15. August schneide ich mir mit einem Cutter - in der arabischen Welt auch Teppichmesser genannt - die linke Daumenkuppe ab. Der Notarzt, der mich reparieren soll, sieht aus wie Jean Pütz ohne Bart. Er ist total verpeilt und will am nächsten Tag in den Urlaub fahren. Und er hat keine Ahnung von Handchirurgie, wie mir ein Handchirurg später erklärt. Aus meiner heutigen Sicht könnte er als George Bush junior durchgehen. Er hat keinen Plan. Er denkt an seine Ferien und muss etwas tun.

Irgendwie schneidet er dort was auf und näht es an anderer Stelle wieder fest, zieht hier ein bisschen und vernäht sich da etwas. Er brabbelt »Mist« und »Haben Sie schon mal so einen Daumennagel gesehen?« in seinen abrasierten Bart.

In den Augen der bärtigen Krankenschwester geben sich Mitleid und Entsetzen die Klinke in die Hand. Der Daumen ist futsch. So wie die Twin Towers. Ich werde mich daran gewöhnen müssen.

Der Daumen war das Vorspiel. Seitdem ist alles wie verhext. Mal abgesehen vom Wetter. Jeden Tag geht etwas schief. Wie auf dem Flughafen in Mailand oder über dem kaspischen Meer. Dinge verschwinden. Der Computer stürzt ab. Finanziell geht es mir auch nicht glänzend. Der Dax fällt. Aufträge, mit denen ich mich und meine Familie jahrelang über Wasser halten konnte, gehen flöten. Fluggesellschaften entlassen ihre Angestellten zu Tausenden.

Schon vor dem 11. September war es für mich nicht einfach, die Politik zu begreifen. Am 16. Oktober sagt Kristin Heyne, die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen: »Ich bin mir nicht sicher, ob eine Bombenpause im Moment das richtige Mittel wäre.«

Obwohl meine Frau und die große Tochter eine Heidenangst vor Tieren haben, schafft sich unsere Familie eine Katze an. Flucht nach vorn. Wie Gerhard Schröder. Verrückte Welt! Nicht wirklich.

Ich weiß, was läuft. Es geht um mich. Ganz vorsichtig lege ich die 25-Kilo-Hanteln auf den Boden. Ich darf mich jetzt nicht verletzen! Wenn fünf Millimeter meines Daumens das World Trade Center sind, was ist dann ein zerschmetterter Fuß? Frankreich? Die Ukraine? Und ein ganzes Bein? Australien? Zum Glück rauche ich nicht. Das ist schon mal ein Anfang.