Wolf Biermann 25 Jahre im Westen

Biermann eingebürgert!

25 Jahre ist Wolf Biermanns Transit von Ost nach West nun her. Den Stammtisch zum Jahrestag hat Thomas Blum beobachtet »Heute singe ich in anderer Tonart, aber dazu brauchte ich 25 Jährchen.« (Wolf Biermann)

Schön, dass wir hier alle zusammensitzen können. Das ist eine wunderbare Frucht, die wir genießen können, die an diesem Baum der deutschen Einheit gewachsen ist«, sagt der populäre Dichter und Denker Wolf Biermann am 25. Jahrestag seiner Ausbürgerung aus der DDR. Dafür bekommt er donnernden Applaus. Denn hier spricht ein Mahner, ein streitbarer Zeitgenosse, ein Freiheitskämpfer, ein unbequemer Kritiker. Einer, der immer angeeckt haben will, der fortwährend seine unverzichtbare Stimme erhoben hat und der anscheinend heute noch immer nicht weiß, was sonst noch so alles aus dem Baum der deutschen Einheit herausgewachsen ist.

Mit ihm auf der Bühne des Berliner Ensembles sitzen noch andere, die sich selbst gern beim Reden zuhören. Der eine ist das ehemalige SED-Politbüromitglied Günter Schabowski, der Mann, der einstmals die innerdeutsche Grenze mit einem hilflosen Blick und einem Stottern öffnete. Die anderen beiden sind der Schriftsteller Günter Kunert und Peter Jochen Winters von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Auch Bärbel Bohley ist dabei, ihr Beruf ist Bürgerrechtlerin und ihre Mission ist es, auch heute noch gegen den Kommunismus zu kämpfen, obwohl es den gar nicht mehr gibt.

Im Publikum sitzen Leute, die wie Biermann selbst nicht müde werden, der ständig drohenden Gefahr des Kommunismus die Stirn zu bieten: Joachim Gauck, der ehemalige Leiter der nach ihm benannten Behörde; Ehrhart Neubert, ehemals Mitglied des oppositionellen Demokratischen Aufbruchs in der DDR, heute CDU; Rainer Eppelmann, letzter Verteidigungsminister der DDR unter Lothar de Maizière, heute CDU; Bernd Rabehl, ehemaliger Kampfgefährte Rudi Dutschkes, noch nicht CDU.

Alle sind sie an diesem Tag erschienen, um eine Podiumsdiskussion zu Ehren Wolf Biermanns abzuhalten und mit ihm gemeinsam ihr Bekenntnis zu Deutschland abzulegen. Veranstalter der Diskussion ist die rechtskonservative Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, deren Emblem genau die Flagge ist, die auf dem Höhepunkt des deutschen Einheitstaumels inflationäre Verbreitung fand: die deutsche Nationalfahne, in deren Mitte sich ein kreisrundes Loch auftut.

Eine Art Familienstammtisch der CDU hat sich da einträchtig zusammengefunden, an dem zwölf Jahre nach dem Wiederauffinden der deutschen Identität zusammenhockt, was zusammengehört. Nach der Diskussion wird Wolf Biermann das tun, was er 1976 in Köln auch getan hat und was er Singen nennt. Erst aber muss der Künstler sich selber loben und damit prahlen, wie beliebt er im Westen und Osten Deutschlands war: »Meine Lieder verbreiteten sich. Ich wusste immer: Es gibt viele Leute, die das kennen und hören.«

Doch zunächst wird diskutiert. Weil für das anwesende Bürgerrechtlerpublikum das Diskutieren mit Günter Schabowski, der früher der Kumpel von Egon Krenz gewesen ist, gar nicht so einfach ist, spricht Biermann klärende Worte: »Der Schabowski hatte die Kraft, den Mut und die menschliche Würde, sich zu korrigieren. Schabowski hat die Kurve gekriegt. Der ist einer der wenigen, die die geistige und moralische Kraft hatten, zu sagen: Ja, es tut mir leid.«

Und weil Schabowski bußfertig bereut und die Kurve gekriegt und ein Plätzchen an der Seite der CDU gefunden hat, darf er auch was sagen. Die Kommunisten seien »fanatisch« gewesen. Und: »Biermann hat zu Recht gesagt, er sei ein Ketzer.« Der eine schmiert dem anderen dafür Honig ums Maul, dass der andere der gleiche Antikommunist ist wie er selbst. Nochmals setzt Biermann väterlich zu einer Verteidigungsrede für Schabowski an: »Ich habe mit großer Freude beobachtet, wie er sich gemacht hat seit der Wende und wie er sich unterscheidet von diesem ganzen alten Fuck.« Als »Weltveränderer« (Biermann über Biermann) freue er sich schließlich, wenn andere sich ebenso veränderten.

Gemeinsam feiert man nachträglich den Untergang der DDR, und jeder ist auf seine Art ein Widerständler gewesen. Weil die beiden aber vergessen, auch Günter Kunert zu loben, muss der das selbst tun. In der DDR, so Kunert, habe es Zeitungsanzeigen gegeben von Leuten, die händeringend nach seinen Büchern gesucht hätten: »Suche Bücher von Günter Kunert, zahle jeden Preis.«

Ab und zu wird auch Bärbel Bohley erlaubt, dasselbe zu sagen, was die anderen sagen. Darin ist sie geübt: »Ich war niemals Genossin. Ich gehörte zu denen, die gesagt haben, das ist eine Schweinerei. Ich hab' ehrlich gesagt nicht allzu viel von Marx gelesen.« Bohley weiß auch ganz genau, was schief gelaufen ist: »Die DDR ist untergegangen, weil sie nicht bereit war, die Gesellschaft menschlicher zu machen.« Um die Gesellschaft menschlicher zu machen, macht Bohley heute Wahlkampf für die FDP, die menschlichste unter den menschlichen Parteien.

Biermann, der ehemals glühende Kommunist, fühlt sich sichtlich wohl in der Runde und unter seinesgleichen. Er, der sich selbst für so etwas wie einen Revoluzzer hält und einen Poeten nennt, hat schon immer überall dort, wo man ihm Gehör schenkte, auch bereitwillig Krach gemacht. Früher hat er für den Kommunismus mit menschlichem Antlitz geworben, heute verwechselt er schon mal die Nazidiktatur mit dem SED-Regime: »Wenn Gorbatschow nicht gewesen wäre, würden wir heute noch 'Heil Honecker' schreien.«

Einst war Biermann der »Stachel im roten Fleisch der SED«, meint zumindest Rainer Eppelmann. Heute geht Biermann auf CSU-Tagungen ein und aus und beschwört das Glück der Wiedervereinigung, die er, wie er stolz betont, im Gegensatz zu Günter Grass mit »ie« schreibe und nicht mit »i«.

Derzeit schreibt der wortgewaltige Barde sein i und sein e für Die Welt. Eine Prise Totalitarismustheorie und Geschichtsrevisionismus wird auch hier stets mitgeliefert und ein bisschen Verständnis: »Die große Masse der Heil-Hitler-Deutschen wurde fast von heute auf morgen, wie aus einem bösen Zauber erlöst, zu lernwilligen Demokraten.« Und wie sagt es der Künstler am 25. Jahrestag seiner Einbürgerung, die er für seine Ausbürgerung hält, selbst so treffend: »Über niemanden täuscht man sich grotesker als über sich selbst. Man sollte seinen kritischen Verstand nicht nur auf die Welt, sondern auf sich selbst anwenden.«

Am Ende des Podiumsgesprächs im Berliner Ensemble droht Biermann für den Abend ein zweistündiges Konzert an: »Ich will versuchen, die Lieder zu singen ohne ein Zwischenwort. Ich werde singen und nicht quasseln.« Welch ein Glück im Unglück. Wenigstens das ist eine beruhigende Aussicht.