Nach Schröders Vertrauensfrage

Sprung ins eigene Gesicht

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sein Image als starker Mann ausgebaut und die Grünen der Lächerlichkeit preisgegeben.

Es war durchaus eine spannende Woche, und am Ende gab es viele Sieger. Die deutsche Fußballnationalmannschaft fährt zur Weltmeisterschaft in den fernen Osten und Rudi Völler bleibt Bundestrainer, die deutschen Soldaten machen sich auf zum Antiterroreinsatz nach Mittelasien und Gerhard Schröder bleibt Bundeskanzler. In beiden Fällen waren mal wieder die berüchtigten deutschen Sekundärtugenden ausschlaggebend: Disziplin, Pflichtbewusstsein, Gehorsam etc.

Die SPD-Linken sind längst daran gewöhnt, die Hand zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle zu heben. Den Grünen ist das sichtlich schwerer gefallen, doch auch sie haben sich gefügt. Der Kanzler sprach nach gewonnener Abstimmung zufrieden und mit dem gewohnten Feingefühl für die Historie von einer »Ermächtigung«, die ihm der Bundestag erteilt hätte und die von keinem nachträglichen Parteitagsbeschluss mehr rückgängig gemacht werden könne.

Doch auch wenn Schröders Worte diese Analogie nahe legen: Natürlich ist das Abstimmungsergebnis vom vergangenen Freitag nicht mit dem Ermächtigungsgesetz vergleichbar, das im März 1933 Hitler freie Hand gab, die Verfassung der Weimarer Republik auszuhebeln. Doch auch die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland wird ausgehebelt, nicht an einem Tag, sondern in einem schleichenden Prozess, der sich schon seit über zehn Jahren vollzieht. In der Innenpolitik kam es zur de facto Abschaffung des Asylrechts und zu Einschränkungen der Persönlichkeits- und Freiheitsrechte etwa durch den großen Lauschangriff sowie in jüngster Zeit durch Otto Schilys so genannte Antiterrorpakete. In der Außenpolitik wurde systematisch das verfassungsrechtliche Verbot von Bundeswehreinsätzen im Ausland unterlaufen.

Die Grünen haben diese Entwicklung maßgeblich mitbefördert. In ihre Regierungszeit fällt der erste Kampfeinsatz der Bundeswehr seit 1945. Die Aufregung, die bei ihnen nun angesichts des Afghanistan-Beschlusses herrscht, hat weniger mit inhaltlichen, sondern eher mit taktischen Gründen zu tun, denn Antimilitaristen oder Pazifisten haben in dieser Partei spätestens seit dem 24. März 1999, als man deutsche Kampfflugzeuge Richtung Belgrad schickte, ohnehin nichts mehr zu suchen.

Nun wurden die Grünen in der vergangenen Woche von Schröder auch noch vorgeführt und dem Spott der Öffentlichkeit preisgegeben. Und das scheinbar ohne Not, denn seine Mehrheit für den Afghanistan-Einsatz hätte der Kanzler mit Hilfe von Union und FDP ohnehin bekommen. Angesichts der gespaltenen Meinung in der Bevölkerung, was die deutsche Kriegsbeteiligung betrifft, hätten sich ein paar Abweichler in den Regierungsfraktionen vielleicht auch ganz gut gemacht. Schröder entschied sich dennoch dafür, die Vertrauensfrage mit dem Afghanistan-Beschluss zu verknüpfen - zu verlockend erschienen ihm die Vorteile dieses Vorgehens, unabhängig davon, ob er das Vertrauen des Bundestages erhalten würde oder nicht.

Angesichts der schlechten Konjunkturprognosen, dem zu erwartenden Anstieg der Arbeitslosenzahlen auf über vier Millionen und der derzeitigen katastrophalen Schwäche der Unionsparteien wäre er baldigen Neuwahlen nicht abgeneigt gewesen. Andererseits untermauert der Erfolg bei der Vertrauensfrage sein Image als starker Mann, der auch in Kriegs- und Krisenzeiten die Zügel fest in der Hand hält. Seine Regierung wäre harscher Kritik ausgesetzt gewesen, hätte sie beim Afghanistan-Beschluss wie schon in der Mazedonienfrage keine eigene Mehrheit zustande gebracht.

Von Anfang an war aber auch klar: Die Verlierer dieses Vorgehens werden die Grünen sein. Während die Gruppe um Bundesaußenminister Joseph Fischer nie einen Hehl aus ihrem Bellizismus gemacht hat, erwischte es diejenigen in der grünen Fraktion besonders schwer, die bislang dazu da waren, das aufrechte Gewissen der Partei zu repräsentieren. Acht Abgeordnete des linken Flügels hatten vorab noch lauthals erklärt, sie könnten aus Gewissensgründen dem Bundeswehrauslandseinsatz nicht zustimmen - um kurz darauf kleinlaut zu kuschen. Vier stimmten dafür, um die rot-grüne Regierung zu erhalten, vier dagegen, um das reine Gewissen zu wahren - so das fadenscheinige bis peinliche Arrangement von Hans-Christian Ströbele, Annelie Buntenbach, Christian Simmert und Co.

»Ihr steigt heute aus der Friedensbewegung auf den Feldherrenhügel und Euer Fall wird ganz schön tief sein«, höhnte der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle in der Bundestagsdebatte am vergangenen Freitag. Und Gregor Gysi (PDS) sprach angesichts des Abstimmungsverhaltens der acht Beinahe-Aufrechten von »blankem Opportunismus«: »Denn Sie sagen doch im Kern: Ein bisschen Mandat, ein bisschen Regierungsbeteiligung ist mir wichtiger als die Frage von Krieg und Frieden.«

Doch war es wirklich nur Opportunismus? Oder geht bei den Grünen die nackte Angst ums Überleben um? Neuwahlen, wie sie bei einer Niederlage Schröders in der Vertrauensfrage wahrscheinlich gewesen wären, hätten wohl ihr parlamentarisches Aus bedeutet. Die Realos hätten sie nicht gewählt, weil die Grünen sich gegen die Macht entschieden hätten, die Linken nicht, weil für sie die grüne Regierungsbeteiligung eine einzige Abfolge von Enttäuschungen darstellt. Und auch von der früheren außerparlamentarischen Basis, die der Partei ein Überleben ohne Bundestagsmandate ermöglichen könnte, ist nicht mehr viel übrig. Die wurde von den Grünen eigenhändig abgewickelt - mit faulen Atomkompromissen und dem Scheitern in der Auseinandersetzung um die Zuwanderungspolitik und die innere Sicherheit.

Der einzige Ausweg der grünen Bundestagsfraktion bestand also tatsächlich darin, bei der Vertrauensfrage mit Ja zu stimmen, damit den Bundeswehreinsatz auf den Weg zu zu bringen und zu hoffen, dass man bis zur Bundestagswahl in einem Jahr wieder einigermaßen auf die Beine kommt. Doch schon am kommenden Wochenende, wenn der Bundesparteitag in Rostock tagt, könnte sich diese Strategie als Irrweg erweisen. Denn die Basis tobt. Es hagelt Protestschreiben aus den Kreis- und Landesverbänden, es kommt zu Demonstrationen gegen die eigene Regierungspolitik und zu offenen Drohungen an einzelne Bundestagsabgeordnete, sie könnten bei der kommenden Bundestagswahl nicht mehr aufgestellt werden.

Die Parteivorsitzende Claudia Roth bekam den Unmut der Basis am vergangenen Samstag bei ihrem Auftritt auf dem Parteitag der rheinland-pfälzischen Grünen deutlich zu hören. Als Roth das grüne Abstimmungsverhalten im Bundestag rechtfertigte, erhielt sie von einem Delegierten zur Antwort: »Wenn du diese Rede vor einigen Jahren gehört hättest, du wärest dir selbst ins Gesicht gesprungen.«

Für ein Ende der rot-grünen Bundesregierung wollten sich die rheinland-pfälzischen Delegierten am Ende allerdings nicht aussprechen - denn auch die Basis weiß, dass es für die Grünen um die Existenz geht.

Es könnte also auch sein, dass der Rostocker ebenso wie der Mannheimer Parteitag während des Kosovo-Krieges am Ende doch wieder alles absegnet, was Parteispitze und -fraktion vorgegeben haben. Von den Landesverbänden Niedersachsen und Thüringen kommt inzwischen die Forderung, das rot-grüne Bündnis »geschäftsmäßig zu Ende« zu führen. Damit ist auch schon die Kompromisslinie für den Rostocker Parteitag vorgegeben. Es gibt für die einstige Alternative im Parteiensystem derzeit eben keine Alternative zum Verbleib in der Regierung. Dass dieses strategische Dilemma von den Parteioberen schöngeredet wird mit Phrasen vom »erfolgreichen rotgrünen Reformbündnis«, das es unbedingt zu erhalten gelte, macht die ganze Angelegenheit nicht besser. Eine ökologische FDP wollten die Grünen werden - geschafft haben sie zumindest, den Liberalen ihren Titel als rückgratlose Umfallerpartei abspenstig zu machen. Während die FDP auf dem besten Wege zum neuen Regierungspartner für Schröder ist, bleiben den Grünen nur Spott und Häme übrig - und demnächst wohl nicht mal mehr ihre Ministerämter, Staatssekretärposten oder gar ihre Bundestagsmandate.