Das Verfassungsgericht entscheidet über die Wehrpflicht

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Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über die Wehrpflicht. Eine Berufsarmee würde besser zu den neuen Aufgaben Deutschlands in der Welt passen.

Wehrmacht?: das ist etwas, was nicht zu sein braucht! Merken Sie sich das!« schrieb Arno Schmidt 1955. »Es ist immer so gewesen?!: Dann wirds ja Zeit, dass der Unfug mal aufhört! Wozu haben wir etwas mehr Vernunft als die Tiere?« Eine gute Frage, doch schon am 7. Juli 1956 war es wieder so weit. Der Bundestag beschloss das Gesetz über die Einführung der Wehrpflicht für Männer zwischen dem 18. und dem 45. Lebensjahr.

Einige Kriegseinsätze später schlägt man das Kapitel nun erneut auf. Jetzt drängt die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, kurz bevor sie sich in den Ruhestand begibt, auf eine Entscheidung. Am 10. April wird in Karlsruhe über die Vereinbarkeit der Wehrpflicht mit dem Grundgesetz verhandelt.

In Gang gebracht hat das Verfahren der Jurastudent und Totalverweigerer Volker Wiedersberg, der gegen seine Verurteilung klagte. Das Potsdamer Landgericht nahm seine Berufungsverhandlung zum Anlass, das Verfassungsgericht einzuschalten. Daraus entsteht womöglich ein Präzedenzfall mit weit reichenden Folgen, denn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts könnte die Abschaffung der Wehrpflicht nach sich ziehen. Viele Richter sind längst der Ansicht, die Wehrpflicht sei mit dem geltenden Recht nicht mehr vereinbar.

Nur noch rund 90 000 Wehrpflichtige jährlich leisten ihren Militärdienst. Das sind 21,6 Prozent der Männer eines Geburtsjahrgangs. Selbst wenn man die Zivildienstleistenden hinzuzählt, für die künftig nur noch 110 000 Plätze zur Verfügung stehen, leistet heute nur noch jeder zweite junge Mann seinen Dienst für Deutschland.

Das aber stellt einen Verstoß gegen die so genannte Wehrgerechtigkeit dar, die darin bestehen soll, dass alle wehrfähigen jungen Männer zur Bundeswehr oder ersatzweise zu Pflichtdiensten, wie etwa zum Zivildienst oder zum Katastrophenschutz, eingezogen werden. Tatsächlich unterliegt es heute aber dem Zufall und der Willkür, wer einberufen wird und wer nicht.

Die PDS fordert deshalb die »unverzügliche Aussetzung der Wehrpflicht und ihre mittelfristige Abschaffung durch eine Grundgesetzänderung«. Die Partei tritt, wie der Pressesprecher der Bundestagsfraktion, Reiner Oschmann, erklärt, für eine »Verkleinerung der Bundeswehr auf 100 000 Mann in fünf bis acht Jahren« ein. Ähnlich sehen das die Grünen, die die Abschaffung der Wehrpflicht zum Thema möglicher Koalitionsverhandlungen mit der SPD nach der Bundestagswahl machen wollen. Und auch die FDP ist seit ihrem Berliner Sonderparteitag vom 17. September 2000 für die Abschaffung der Wehrpflicht. 61 Prozent der Delegierten votierten damals dafür.

Allein die Führungen der großen Parteien, der SPD und der CDU/CSU, bestehen noch auf einer Wahrung der Tradition. Bundeskanzler Gerhard Schröder hält die gesamte Debatte für »Kaffeesatzleserei« und will an der Wehrpflicht festhalten. Verteidigungsminister Scharping beruft sich auf den »Verteidigungsauftrag der Bundeswehr« und behauptet, man brauche die Wehrpflicht »mit Blick auf die Verankerung der Gesellschaft in der Sicherheitspolitik« und »außerdem mit Blick auf die Aufwuchs- und Regenerationsfähigkeit unserer Streitkräfte«.

Diese Phrasen werden nur noch von der Union, von den »Gralshütern der Wehrpflicht« (Frankfurter Allgemeine Zeitung), übertroffen. Eine »bewaffnete Berufsfeuerwehr«, befiehlt im Kasernenhofton der frühere General und jetzige Innenminister des Landes Brandenburg, Jörg Schönbohm (CDU), komme für die Union nicht in Frage. In einem Beschluss, den der Bundesparteitag der CDU am 3. Dezember vergangenen Jahres in Dresden gefasst hat, heißt es: »Die Wehrpflicht ist unter Aufrechterhaltung der Wehrgerechtigkeit beizubehalten und weiterzuentwickeln.«

Außerdem müssten die Struktur und die Aufgaben der Streitkräfte wieder in Übereinstimmung gebracht werden, was nur mit »mindestens 300 000 Soldaten, davon 100 000 Wehrpflichtigen« realisierbar sei. Zusätzlich müsse der Verteidigungshaushalt auf 25 Milliarden Euro angehoben werden. Über ihren Großmachtplänen, die ja wohl hinter der Forderung einer »Übereinstimmung von Struktur und Aufgaben« der Bundeswehr versteckt sind, hat die CDU glatt vergessen, dass die Wehrgerechtigkeit, die sie als Grundsatz »beibehalten und weiterentwickeln« will, gar nicht mehr existiert.

Darüberhinaus will die CDU die Bundeswehr für Aufgaben der inneren Sicherheit einsetzen. »Die Bundeswehr würde dann«, so grübelte die FAZ, »faktisch aus zwei Armeen bestehen. Damit gäbe es eine Bundeswehr für Auslandseinsätze und eine für den Objektschutz; eine Bundeswehr für den Zweck, den ihr das Grundgesetz zuweist, nämlich die Verteidigung, gäbe es dann aber nicht mehr.«

Gibt es demnächst zwei deutsche Armeen? Immerhin war, nach den Erfahrungen der NS-Zeit, in den fünfziger Jahren mit der kuriosen Idee des »Staatsbürgers in Uniform« für die Wehrpflicht geworben worden, um fortan einen »Staat im Staate« zu verhindern und die Bundeswehr »in der Gesellschaft zu verankern«. Eine Aufspaltung einer solchen, zumindest vom Anspruch her demokratisch kontrollierten Armee in verschiedene spezialisierte Waffenverbände, wie sie Teilen der CDU vorschweben, gemahnt indes an zweifelhafte Traditionen.

Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Willfried Penner (SPD), weist ebenfalls darauf hin, dass eine Erfüllung der »internationalen Verpflichtungen« der Bundeswehr nur noch möglich sei, wenn die Wehrpflicht bestehen bleibe. Freiwillige müssten dann an die Fronten in aller Welt, während die Wehrpflichtigen die »Lücke im Inland zu schließen« hätten.

Aber auch in der SPD häufen sich die Stimmen, die sich gegen eine Beibehaltung der Wehrpflicht aussprechen. Heiko Maas, der Vorsitzende der saarländischen SPD, verkündete zusammen mit seinen Kollegen aus Baden-Württemberg und Thüringen: »Die Wehrpflicht ist unzeitgemäß, sie schafft Ungerechtigkeit und wird den Erfordernissen der Bundeswehr nicht mehr gerecht.«

Auch die »kritischen Stimmen« verweisen also letztlich nur darauf, dass die Truppe den gewachsenen Ansprüchen nicht mehr genüge. So geht es den meisten Kritikern der Wehrpflicht nicht mehr darum, die deutsche Bewaffnung aus pazifistischen oder historischen Gründen per se in Frage zu stellen. Das Ziel ist stattdessen eine modernisierte und professionalisierte Kampftruppe, die der angeblich seit der Wiedervereinigung gewachsenen Verantwortung Deutschlands gerecht werden soll.