Die Rache der Hacker

Am Anfang war alle Software umsonst. Microsoft, Linux und die Privatisierung des geistigen Eigentums Dritter.

Halloween ist die Nacht vor Allerheiligen. Schenkt man keltischen Legenden Glauben, so soll in der Nacht des 31. Oktober die Trennwand zwischen der Welt der Toten und der der Lebendigen besonders dünn sein. Vor der Christianisierung feierten die keltischen Druiden an diesem Tag die Ankunft des Todesfürsten Samhain, der während des Winters die Welt regierte. Es gab Lagerfeuer und Festmähler, und man stellte den Toten Leckereien bereit, um sie in die Feierlichkeiten einzubeziehen. Die Iren wandelten den Brauch ab. Sie zogen sich in dieser Nacht möglichst schrecklich an, damit die Toten und Geister, die auf der Suche nach einem Körper, in den sie fahren konnten, durch die Nacht zogen, an ihnen vorbeigingen. Heute wird Halloween besonders in den USA gefeiert.

Halloween Papers

Wenn jemand einem Dokument den Namen »Halloween Papers« gibt, sind Assoziationen des Schauers nahe liegend und vom Namensgeber wahrscheinlich gewünscht, besonders wenn es sich um etwas so Trockenes wie interne Memos aus einem Software-Unternehmen handelt. Brisanter ist es, wenn das Unternehmen Microsoft heißt und sich das Memo mit Methoden beschäftigt, einen neuen Konkurrenten vom Markt zu verdrängen. Noch interessanter wird es, wenn sich herausstellt, dass der neue Konkurrent kein rivalisierendes Unternehmen ist, sondern das alternative Betriebssystem Linux, ein Programm, das von Hackern auf der ganzen Welt gemeinsam geschrieben wird und das man umsonst aus dem Internet herunterladen kann.

Die Halloween Papers sind eine Reihe von Dokumenten, die der US-Programmierer und Autor Eric Raymond in der letzten Oktoberwoche des Jahres 1998 von einer Quelle innerhalb Microsofts zugespielt bekommen haben will. Raymond veröffentlichte die Memoranden im Internet. Rasch verbreiteten sie sich über Mailinglisten und Websites in der ganzen Welt. Nicht nur die Computer-Szene, auch die Massenmedien nahmen von dem Vorfall Notiz. Denn das Verfahren, das in den USA gegen Microsoft wegen monopolistischer Taktiken geführt wurde, war zu dieser Zeit in eine entscheidende Phase getreten.

Microsoft hat die Existenz der Memos schließlich zugegeben, gleichzeitig aber betont, dass sie keine offizielle Äußerung des Konzerns darstellten, sondern von einem Mitarbeiter in bewusst provokanter Weise geschrieben worden seien, um eine firmeninterne Diskussion über Open Source Software auszulösen. Dass der Computerriese gezwungen wurde zuzugeben, dass er sich mit Linux beschäftige, dürfte bei vielen Hackern ein Grinsen ausgelöst haben. Denn das »Reich des Bösen«, als das Microsoft bei ihnen gilt, wies in den Papieren darauf hin, dass Open Source Software wie Linux eine direkte Bedrohung für die Firma ist.

Wie die Halloween Papers zeigen, hat das Management von Microsoft die Eigenschaften von Open Source Software besser verstanden, als es die irreführenden Argumente vermuten lassen, die die Firma in den folgenden Jahren gegen Linux und Open Source vorbrachte. Auf diese Eigenschaften soll später genauer eingegangen werden, hier nur so viel: Um als Open Source Software zu gelten, muss der Code eines Programms, der so genannte Quellcode, von jedermann einsehbar sein und von jedermann benutzt, verändert und in dieser modifizierten Form weiterverbreitet werden können.

Das ist das Gegenteil der Geschäftspolitik von Microsoft. Die Firma betrachtet den Quellcode ihrer Programme als Geschäftsgeheimnis. Der Code wird von umfangreichen Lizenzen geschützt, die man akzeptiert, wenn man eines ihrer Software-Pakete öffnet. Privatkunden, die diese Programme kopieren, weitergeben oder gar den Quellcode ansehen oder verändern, müssen damit rechnen, dass das Unternehmen sie anzeigt. Darum arbeiten an Microsoft-Software nur Programmierer, die vom Unternehmen bezahlt werden. Im Gegensatz dazu werden Programme wie Linux, deren Quellcode offen liegt, häufig von mehreren Tausend Programmierern entwickelt. Sie produzieren dabei oft Software, die der kommerziellen Konkurrenz ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen ist.

Die Halloween Papers sind Teil einer Auseinandersetzung, die seit mehreren Jahren zwischen den ungleichen Gegnern Microsoft und der »Gemeinde«, die Open Source Software entwickelt, ausgetragen wird. Die Konfrontation geht auf beiden Seiten an die Substanz. Verhandelt werden nicht nur unterschiedliche Methoden, Software zu entwickeln oder Geschäfte zu machen, sondern unterschiedliche philosophische und politische Überzeugungen.

Quellen der Macht

Der weltweite Geschäftserfolg von Microsoft beruht auf einem Paradigmenwechsel, den Bill Gates als Software-Produzent und Unternehmer Mitte der siebziger Jahre eingeleitet und bis heute konsequent durchgesetzt hat. Vorher war Software fast ausschließlich und ganz selbstverständlich »open source«, so selbstverständlich, dass es noch nicht einmal einen eigenen Begriff dafür gab. Gates' Leistung als Unternehmer bestand darin, aus Software ein kommerzielles Produkt zu machen. Computerprogramme, die vorher gemeinschaftlich genutzte und weiterentwickelte Werkzeuge waren, wurden von Microsoft zu consumer products gemacht. Dabei nutzte Gates die Tatsache aus, dass Mitte der siebziger Jahre die ersten Mini-Computer auf den Markt kamen, deren Anwender zum Teil keine Programmierkenntnisse besaßen und die darum auf leicht zu bedienende Software angewiesen waren. Das Unternehmen Microsoft gäbe es in seiner heutigen Form wahrscheinlich gar nicht, wenn es bei seiner Gründung nicht auf Open-Source-Programme hätte zurückgreifen können.

Die Wurzeln der unterschiedlichen Grundsätze von Microsoft und der Hackerszene liegen in der Computerkultur der sechziger und siebziger Jahre, in denen die Grundlagen für die Entstehung des Personal Computers (PC) gelegt wurden. Während Microsoft ein profitorientiertes Unternehmen ist, basiert die Hackerethik auf dem Glauben, dass Computer das Leben vieler verbessern und zu einer Demokratisierung des Wissens und der Fähigkeiten führen können. »All information should be free«, lautet ein zentrales Dogma der Hackerethik, wie sie der US-Computerjournalist Steven Levy in seinem Buch »Hackers - Heroes of the Information Revolution« festgehalten hat. Dieser Glaubenssatz kursiert seit Beginn der Hackerkultur um 1960 am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in verschiedenen Versionen.

Im Mittelpunkt der Angriffe aus dem Open-Source- und Hackerlager steht immer auch Microsoft-Gründer Bill Gates. Das ist nicht nur einer Strategie der Personalisierung des Konflikts geschuldet. Gates steht für einen Paradigmenwechsel von einem Wertekodex, der dem seiner Kritiker aus dem Open-Source-Lager entspricht, zu einem, der diesem diametral entgegengesetzt ist. Gates gilt seinen Gegnern als Verräter an ehemals gemeinsamen Idealen.

Im »Hacker's Dictionary«, einem Kompendium im Internet, findet sich die folgende Definition des Hackers: »Jemand, der Vergnügen an der intellektuellen Herausforderung findet, Begrenzungen kreativ zu überschreiten oder zu umgehen.« Hackern geht es um das »Aufmachen« der Technologie und der Programme, die das Leben immer stärker lenken und bestimmen. Technologie, Computer zumal, sind für die meisten von uns black boxes, deren Inhalt und Funktionsweise unverständlich sind. Hacker sind nach ihrer eigenen Definition diejenigen, die wissen wollen, was in diesen schwarzen Kisten steckt, wie sie funktionieren und was sie mit uns tun. Levy schreibt: »Hacker glauben, dass wichtige Dinge über Systeme - und über die Welt - dadurch gelernt werden können, dass man Dinge auseinander nimmt, um zu sehen, wie sie funktionieren, und dieses Wissen dazu zu benutzen, neue, noch interessantere Dinge zu erschaffen. Sie verachten jede Person, jede physische Barriere und jedes Gesetz, das sie davon abzuhalten versucht.«

Mit der Geheimhaltung des Quellcodes seiner Programme unterbindet der Konzern diese Möglichkeit, »Dinge auseinander zu nehmen«, also Einblick in die Architektur seiner Programme zu nehmen. Eine Kultur der Schließung bei Microsoft steht einer Kultur der Offenheit in der Hackerszene gegenüber, und die Ansicht, dass Software ein Wirtschaftsgut ist, der Ansicht, dass Computer und ihre Programme Kultur sind, die jedem zugänglich sein soll.

Dieser Paradigmenwechsel, Gates' »Verleugnung« der Werte der Hackerkultur, fand bei der Gründung von Microsoft statt. Der finanzielle Erfolg der Firma, der Gates inzwischen zum reichsten Mann der Welt gemacht hat, war dabei weniger Auslöser für den Konflikt als vielmehr die Tatsache, dass Gates Software zu einem Produkt gemacht hatte, das zu hohen Preisen verkauft wurde. Für diese Praxis ist Gates bereits in den siebziger Jahren von den Computerhobbyisten, zu denen er ursprünglich gehörte, kritisiert worden. Durch diese persönliche Verstrickung ist es wohl zu erklären, dass sich Bill Gates selbst auch immer wieder zu Open Source, Linux & Co geäußert hat.

Software

Zu Recht sieht Gates durch die Entwicklung von Open Source sein Unternehmen bedroht, nicht nur in finanzieller Hinsicht. Zwar ist den Halloween Papers zu entnehmen, dass Microsoft in Linux einen potenziellen Konkurrenten sieht; Microsoft hat inzwischen in einigen Geschäftsbereichen tatsächlich Kunden an Linux verloren. Doch Microsoft muss sich vor allem davor fürchten, dass sich die Philosophie ausbreitet, die hinter Linux und den anderen Open-Source-Software-Projekten steckt.

Die traumhaften Gewinne, die Microsoft einfährt, beruhen allein auf dem Kunstgriff, frei verbreitete Software zu einem handelbaren Produkt gemacht zu haben. Den meisten Computerusern ist heute gar nicht mehr bekannt, dass der größte Teil der Computerprogramme jahrzehntelang gratis war. »Am Anfang war alle Software frei«, betonen daher Anhänger der freien Software immer wieder.

Denn digitale Information hat eine wichtige Eigenschaft, wegen der sie sich gut dazu eignet, sich frei zu verbreiten. Sie wird nicht dadurch weniger, dass man sie teilt. Wie John Perry Barlow in einem Aufsatz in Wired gezeigt hat, hat man in der analogen Vergangenheit bei der Verbreitung von Informationen in der Regel für die Trägermedien dieser Information (Buch, Zeitung, Video etc.) bezahlt, und nicht für die Information selbst. Digitale Medien, bei denen Informationen ohne Qualitätsverlust und ohne große Kosten kopiert und über das Internet billig weiterverbreitet werden können, benötigen diese Trägermedien nicht mehr.

Darum hat sich im Internet eine eigene »Kultur des Schenkens« entwickelt. Sie wird im Usenet, in Mailinglisten, in webbasierten Diskussionsforen oder bei Tauschbörsen wie Morpheus, Kazaa oder Napster praktiziert, wenn die Teilnehmer Informationen, Musikstücke oder Software austauschen. Auch Computerprogramme wurden bis Mitte der siebziger Jahre nicht als Ware betrachtet, sondern als etwas, was man teilen konnte oder sollte. Zu dieser Zeit entsprach der größte Teil der existierenden Software dem Open-Source-Prinzip, ohne dass es ausdrücklich so definiert worden wäre. Ihr Quellcode war meist frei einsehbar, konnte modifiziert und in dieser Form auch weitergegeben werden. Software stellte zu dieser Zeit schlicht noch keinen eigenständigen Markt dar. Firmen wie IBM lieferten die benötigten Programme als eine Art Service zu den Computern, die das Unternehmen verkaufte. Bezahlt wurde nicht für die Software, sondern für ein Bundle aus Hardware, Software, Peripheriegeräten, Wartung und Schulung.

1969 begann IBM, diese Bündelung aufzugeben und einen Teil seiner Programme separat anzubieten. Das US-Justizministerium hatte ein Kartellverfahren gegen IBM eingeleitet, und der Konzern war gezwungen, von Praktiken Abschied zu nehmen, die die Konkurrenz behindern konnten. Wenn diese Entkoppelung von Hard- und Software zum Entstehen eines eigenen Markts für Computerprogramme führte, dann war das Aufkommen des PC die Bedingung dafür, dass dieser Markt zu dem werden konnte, der er heute ist.

Die Programme von Firmen wie IBM waren nicht die einzige Computersoftware, die zu dieser Zeit entstand. Viel von der gebräuchlichen Software kam aus Universitäten und Forschungsinstitutionen. Der Code war so wenig geheim oder kostenpflichtig wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die dort erbracht wurden. Weitere Programme kamen aus der Hacker- und Computerbastlerszene. Sie erschienen in den ersten Computer-Zeitschriften, eine Praxis, die noch bis Mitte der achtziger Jahre bei Rechnern wie dem Commodore 64 zu beobachten war. Programme wurden in Computermagazinen auf seitenlangen Listings gedruckt, die man selbst eintippen musste, um ein Programm »zum Laufen zu bringen«.

Aber Software wurde auch auf Lochstreifen, später auf Audio-Kassetten und den ersten Disketten weitergegeben. Viele dieser Programme waren Shareware. Sie konnten zuerst getestet werden, bevor man ein paar Dollar oder Mark per Brief an den Programmierer schickte. Dafür erhielt man einen Zugangscode, mit dem man eventuell weitere Funktionen des Programms »öffnen« konnte.

Der Grundsatz »All information should be free« war also bei den ersten Programmen selbstverständliche Realität, und das hatte auch einen guten Grund, wie Steven Levy in »Hackers« erklärt: »Ein freier Austausch von Information, besonders wenn die Information die Form eines Computerprogramms angenommen hatte, erlaubte größere Kreativität. Wenn man an einer Maschine wie dem TX-O (ein Mini-Computer, der ein bevorzugter Rechner für akademische Hacker war, T.B.) arbeitete, für den es so gut wie keine Software gab, schrieb jedermann wie wild Systemprogramme (...). So musste nicht jeder sein eigenes Programm schreiben, stattdessen war die jeweils beste Version für jedermann zugänglich, und jeder konnte sich in den Code vertiefen und diesen verbessern.« Die Software, die so entstand, entsprach dem Grundsatz von Open Source, ohne dass es den Begriff schon gegeben hätte.

Dass sich das in den letzten 20 Jahren grundsätzlich geändert hat, ist nicht zuletzt den Aktivitäten des ehemaligen Hackers Bill Gates und Microsofts zu verdanken. Er hat eine entscheidende Rolle dabei gespielt, dass Software von einem Tauschgegenstand zu einer Ware wurde. Dass Gates heute der reichste Mann und Microsoft eins der umsatzstärksten Unternehmen der Welt ist, hängt damit zusammen, dass er sich früh von dem Grundsatz »All information should be free« verabschiedete. Es ist heute nicht mehr nachzuweisen, ob Gates je von den Maximen der Hackerethik überzeugt war. In seiner Autobiografie »The Road Ahead« ist von ihnen an keiner Stelle die Rede.

Um zu verstehen, wie Gates aus etwas, das unter Computerfreaks getauscht wurde, die Grundlage für einen Megakonzern machen konnte, muss man in die Frühgeschichte des PC zurückgehen, so weit, bis man sich im Jahr 1975 in einer etwas verwahrlosten Shopping Mall in Albuquerque/New Mexico wiederfindet. Dort befand sich ein kleiner Laden, auf dessen Fenster mit großen Buchstaben MITS stand. Die Firma Micro Instrumentation Telemetry Systems stellte ein neues Produkt her, auf das viele Leute in den USA kaum warten konnten. Manche von ihnen flogen nach New Mexico, um sich ihre Bestellung abzuholen.

MITS stellte einen der ersten Minicomputer her. Nachdem die Fachzeitschrift Popular Electronics im Januar 1975 ein Bild des Altair veröffentlicht hatte, konnten sich MITS und sein Gründer Ed Roberts kaum noch vor Bestellungen retten. Binnen kurzer Zeit hatten Computer-Hobbyisten aus den USA 2 000 Stück geordert. Die Firma war mit der Herstellung der Maschine vollkommen überfordert. Selbst der Versand von Bausätzen dauerte monatelang; wer ein fertiges Gerät haben wollte, musste noch länger warten.

Das Gerät war der erste Computer, den sich Privatleute leisten konnten, und das war etwas, worauf viele Bastler in den USA schon seit Jahren gewartet hatten. Denn für die meisten Menschen, die sich für Computer interessierten, waren die number crunchers unerreichbar: riesige Maschinen, zum Teil so groß wie Kühltruhen, zum Teil sogar ganze Gebäudegeschosse in Universitäten und Unternehmen einnehmend, wo sie meist nur von spezialisierten Technikern bedient werden durften. Wer nicht zu dieser kleinen Kaste gehörte, der bekam Computer nur als riesige »Elektronengehirne« mit vielen blinkenden Lämpchen in Science-Fiction-Filmen zu sehen.

Zwar gab es Gruppen wie den Homebrew Computer Club in Kalifornien, bei dem sich Tüftler trafen, die ihre Rechner selbst zusammenschraubten. Auf alle, denen die technischen Fertigkeiten dafür fehlten, muss der Altair wie die lang erwartete Antwort auf ihre Gebete gewirkt haben. Er präsentierte sich in Preis und Format als »Computer für jedermann«: MITS verkaufte die erste Version für weniger als 400 Dollar, das Chassis war kaum größer als eine Schreibmaschine. Der Altair war der Vorläufer des PC, der heute auf den meisten Schreibtischen zu finden ist.

Man darf nicht glauben, dass eine solche Maschine große Ähnlichkeit mit dem hatte, was wir heute unter einem Computer verstehen. Der Ur-Altair hatte keinen Monitor und keine Tastatur, kein Disketten- oder gar CD-Rom-Laufwerk. Es war nur ein blau-silberner Kasten, den man über Leisten mit Kippschaltern »programmierte«. Der Computercode wurde mit Hilfe von Schalterkombinationen eingegeben. Erst später bot MITS Lesegeräte für Lochstreifen an, mit denen man Programme ins Gerät laden konnte. Doch 1975 gab es kaum Programme für den neuen Computer. Wer etwas mit ihm anfangen wollte, musste sich die Anwendung selbst schreiben.

Back to Basic

Hier kommen der 19jährige William H. Gates und der ein Jahr ältere Paul Allen ins Spiel. Sie gehörten zu jener Subkultur, die sich Anfang der sechziger Jahre am MIT entwickelt hatte und die sich in den Computerräumen der Universitäten auszubreiten begann: Junge Männer, die mit fanatischem Ehrgeiz bis zur totalen Erschöpfung an den Rechnern saßen.

Der US-Informatikprofessor Joseph von Weizenbaum hat sie in »Computer Power and Human Reason« so beschrieben: Man könne diese »intelligenten jungen Männer mit heruntergekommenem Äußeren, die oft tiefliegende, glänzende Augen haben, an Computerterminals sitzen sehen. Ihre Arme sind angespannt und warten nur darauf, ihre Finger vorschießen zu lassen, um auf die Tasten und Knöpfe einzuhämmern. (...) Ihre verknüllte Kleidung, ihre ungewaschenen und unrasierten Gesichter und ihr ungekämmtes Haar zeigen, dass sie alle jedes Interesse an ihrem Körper und der Welt, durch die sie sich bewegen, verloren haben. Das sind die computer bums, die zwanghaften Programmierer.« Man kann sie auch Hacker nennen.

Auf Fotos aus seiner Universitätszeit sieht man einen Bill Gates, der der Beschreibung Weizenbaums entspricht: ein schlaksiger Knabe mit ungekämmten halblangen Haaren in speckigen Blue Jeans und einem undefinierbaren Pullover, sein Blick scheint ins Nichts gerichtet zu sein. Als Allen Anfang 1975 aus Popular Electronics von dem neuen Altair erfuhr, war er sofort sicher, dass diese Maschine eine neue Ära in der Entwicklung des Computers einleiten würde. Paul Freiberger und Michael Swaine beschreiben die Situation in »Fire in the Valley - The Making of the Personal Computer« so: Allen »lief mit dem Artikel über Harvard Square, hielt ihn Gates unter die Nase, und rief: 'Siehst Du, es ist passiert! Ich habe Dir doch gesagt, dass das passieren würde! Und wir haben es verpasst!' Gates musste zugeben, dass sein Freund Recht hatte; es sah in der Tat so aus, als ob sie 'etwas', auf das sie gewartet hatten, nun gefunden hätten.« Die beiden Hacker entschlossen sich, ein Betriebssystem in der populären Programmiersprache Basic für den neuen Rechner zu schreiben.

Basic (Beginners All-purpose Symbolic Instruction Code) war Anfang der sechziger Jahre von den Informatikprofessoren John Kemeney und Thomas Kurth am britischen Dartmouth College als eine Programmiersprache entwickelt worden, die ihre Studenten in kurzer Zeit lernen konnten. Der Gebrauch von Computern sollte für sie so selbstverständlich werden wie der Gebrauch der Bücherei. Es ist kein Wunder, dass Gates und Allen sich für Basic entschieden, als sie ein Betriebssystem für den Altair entwarfen. Sie bedienten sich dabei eines Programms, das an einer akademischen Institution entstanden war, umsonst vertrieben wurde und das, ähnlich wie Linux, von Hunderten Programmierern auf der ganzen Welt gratis weiterentwickelt worden war. Allen und Gates privatisierten dieses kollektiv und frei entwickelte Programm und machten daraus ein Produkt, mit dessen Erlösen sie Microsoft gründeten.

Den Altair hatten sie nicht. Sie emulierten die Maschine auf einem Rechner in Harvard und schrieben auf diesem »virtuellen« Computer ihre Version von Basic. Roberts übernahm die Basic-Version von Allen und Gates und stellte Allen als Mitarbeiter ein. Gates kam nach dem Ende des Semesters ebenfalls nach Albuquerque und wurde freier Mitarbeiter bei MITS. Sein Jura-Studium hat er nie beendet. In seinem letzten Semester wäre er fast aus Harvard geflogen. Nach Ansicht der Universität hatte er öffentlich finanzierte Ressourcen missbraucht, als er an den Uni-Computern kommerzielle, proprietäre Software schrieb.

Gates und Allen waren clever genug, Roberts nicht ihr Programm zu verkaufen, sondern ihm nur eine Lizenz für den Gebrauch zu erteilen. So erhielten sie einen Teil des Gewinns von jedem verkauften Computer, eine Methode, die Microsoft bis heute praktiziert und die für die traumhaften Gewinne der Firma verantwortlich ist. Trotzdem musste Gates feststellen, dass die meisten Käufer des Altair nicht bereit waren, für das Basic, das er und Allen geschrieben hatten, zu zahlen, sondern dass sie es untereinander weitergaben. Ende 1975 sollen bereits der größte Teil der Basic-Software, die auf Altair-Computern lief, Raubkopien gewesen sein.

Bei einer Konferenz, die MITS 1975 für die Nutzer des Altair veranstaltete, begann Gates eine Fehde mit den Computeramateuren, die mit Raubkopien von Software arbeiteten. In ihrem Buch »Computer - A History of the Information Machine« nehmen Martin Campbell Kelly und William Aspray den Auftritt Gates' unter die Lupe: »Er nahm eine dramatische Position ein: Er forderte, dass die Kultur des freundlichen Tauschs von kostenloser Software unter Computeramateuren durch etwas ersetzt werden sollte, das als Vorläufer einer Software-Industrie betrachtet werden kann. Gates stieß auf extreme Feindseligkeit - immerhin war sein Vortrag die vollkommene Antithese zur Computer Liberation«, von der viele Fans träumten. Gerade Basic galt bei politisch aktiven Hackern als »the people's language«, und viele Programmierer hielten es daher »für ihr Recht, das Programm zu kopieren, ohne dafür zu bezahlen, zumal sie den Preis von 500 Dollar nicht für gerechtfertigt hielten«, wie Michael Friedemann in »Der Computer als Werkzeug und Medium« schreibt.

Doch Gates ließ nicht locker. In einem berühmt gewordenen »Offenen Brief«, den er an Computerzeitschriften in den USA verschickte, kritisierte er abermals die freie Weitergabe von Software. Im »Open Letter to Hobbyists« schrieb er: »Wie die Mehrheit der Computeramateure wissen müsste, stehlen die meisten von euch ihre Software. Für Hardware muss man bezahlen, aber Software ist etwas, das man teilen kann. Wen kümmert's schon, ob die Leute, die daran gearbeitet haben, bezahlt werden. (...) Ihr verhindert damit, dass gute Software geschrieben wird.« Unterzeichnet ist der Brief mit »Bill Gates, General Partner, Micro-Soft«. Zu dieser Zeit soll die im August 1975 gegründete Firma bereits mehrere 100 000 Dollar eingenommen haben.

Mitte der siebziger Jahre entstand durch die vielen neuen Micro- und Personal-Computer, die zu dieser Zeit auf den Markt kamen, ein riesiger Bedarf nach neuer, benutzerfreundlicher Software. Die Fachpresse in den USA sprach 1976/77 von einer »Software-Krise«, die durch das Fehlen von brauchbaren Programmen für Mini-Computer wie den Altair und die schnell folgenden Konkurrenten wie IMSAI oder SWTPC 6800 entstanden sei. Man kann nur darüber spekulieren, ob dieser Bedarf auch hätte gedeckt werden können, wenn Gates nicht den Paradigmenwechsel von freier zu bezahlter Software eingeleitet hätte.

Wie das Beispiel von Linux zeigt, ist es nicht immer die finanzielle Kompensation, die Programmierer dazu bringt, gute Software zu schreiben, sondern auch die Anerkennung von Kollegen und das Gefühl, an einer gemeinsamen, guten Sache zu arbeiten. Allerdings ist die Arbeit an einem so riesigen Projekt wie dem Schreiben eines funktionierenden Betriebssystems auch erst dadurch möglich geworden, dass über das Internet Programmierer gemeinsam arbeiten können. Andererseits gibt es bis heute Programme, die umsonst vertrieben werden oder nur für Unternehmen und Institutionen Geld kosten, und auch mit diesem Geschäftsmodell können einige Firmen Gewinne einfahren. Bill Gates hat diese Möglichkeit nie erwogen. Er forderte alle Amateure, die sein Basic benutzten, dazu auf, ihm Geld zu schicken, das er in die Verbesserung des Programms investieren wollte: »Nichts würde mir mehr Spaß machen, als zehn Programmierer einzustellen, und den Markt der Computeramateure mit guter Software zu überschwemmen.«

1978 verlegten Gates und Allen den Firmensitz von Microsoft von New Mexico in einen Vorort von Seattle und begannen, eigene, kostenpflichtige Versionen von Fortran und Cobol für PC zu verkaufen. Der Aufstieg Microsofts von einer kleinen Softwarefirma zum internationalen Konzern begann 1980 mit dem IBM-PC. Der Computerkonzern hatte den PC-Markt lange ignoriert und erst Ende der siebziger Jahre überstürzt mit der Entwicklung eines eigenen Personal Computers begonnen. Auf der Suche nach einem geeigneten Betriebssystem hatte sich IBM zunächst an den ehemaligen Universitätsprofessor Gary Kildall gewandt, der 1975 zusammen mit Digital Research das Programm Control Program for Microcomputers, kurz CP/M, als Betriebssystem auf den Markt gebracht hatte.

Aus Gründen, die heute nicht mehr nachzuvollziehen sind, erhielt Kildall den Auftrag von IBM nicht. Ihm entging ein gigantisches Geschäft. Statt Digital Research erhielt Microsoft den Zuschlag, ein Betriebssystem für den PC zu entwickeln, und der Erfolg dieses Programms wie des IBM-PC und seiner unzähligen Nachbauten machte Bill Gates im Alter von 31 Jahren zum Dollarmilliardär. Angeblich sollen bei der Entscheidung, Microsoft den Auftrag zu erteilen, auch persönliche Verbindungen eine Rolle gespielt haben: John Opel, der Präsident von IBM, saß mit Gates' Mutter im Vorstand der Wohltätigkeitsorganisation United Way.

Die Qualität des Programms war es jedenfalls nicht, was IBM davon überzeugte, Microsoft den Auftrag zu erteilen, denn zu dieser Zeit hatte die Firma keine einschlägige Software im Angebot. Als der Auftrag an Microsoft erteilt wurde, kaufte die Firma die Rechte an dem Programm SCP-Dos von der Firma Seattle Computer Products. SCP-Dos war, wie Paul Freiberger und Michael Swaine schreiben, eine »genaue, aber krude Imitation von CP/M«, die von Microsoft in monatelangen, streng geheimen Arbeiten unter dem Codenamen »Project Chess« den Erfordernissen des IBM-PC angepasst wurde. Gleichzeitig sorgte die Firma dafür, dass alle Programme, die für CP/M entwickelt worden waren, nicht auf ihrem neuen Betriebssystem liefen.

Robert Slater schreibt in »Portraits in Silicon«, als Kildall MS-Dos zum ersten Mal ausprobierte, sei er überrascht gewesen über die Parallelen zwischen PC-Dos und CP/M. »Die beiden Programme waren sich so ähnlich, dass sogar die Befehle dieselben waren. (...) Es gab in der ganzen Computerindustrie niemanden, der bezweifelt hätte, dass die beiden Programme gleich waren. Ich habe das Programm sofort ohne Handbuch benutzen können.« Kildall verzichtete auf rechtliche Schritte gegen MS-Dos, weil er befürchtete, einen Prozess gegen IBM nur verlieren zu können.

MS-Dos machte Microsoft zu einem der wichtigsten Player auf dem Markt für Software. 1984 war das Programm bereits zwei Millionen Mal verkauft worden, es wurde zum dominanten Betriebssystem in den USA, später auch im größten Teil Westeuropas und in Japan. Der Aufstieg des Programms ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass es mit dem IBM-PC ausgeliefert wurde. Vor allem gelang es Gates, IBM davon zu überzeugen, die Hardwarespezifikationen des IBM-PC zu veröffentlichen.

Da die verschiedenen Komponenten von anderen Herstellern als IBM gekauft werden konnten, begannen andere Firmen schnell damit, »Klone« des IBM-PC herzustellen. Aber nicht nur große Unternehmen wie Dell oder Digital konnten so billige Kopien herstellen, sondern letztlich jeder Bastler. In den achtziger Jahren wurden »IBM-kompatible Computer« so zum Personal Computer schlechthin. Die meisten anderen PC-Hersteller von Radio Shack über Commodore und Atari bis zu Osborne wurden nach und nach vom Markt verdrängt, bis zuletzt als einziger Konkurrent Apple übrig blieb.

Dies bedeutete jedoch gleichzeitig das Ende des Monopols von IBM. Bei den neuen PC zählte nicht mehr in erster Linie das Fabrikat der Hardware, sondern das Betriebssystem. Microsoft investierte seine Gewinne zum Teil in die Entwicklung neuer Produkte, die der Firma und ihren Programmen zu einer immer dominanteren Rolle auf dem Software-Markt verhalfen: das Betriebssystem Windows, die Textverarbeitung Word und das Kalkulationsprogramm Excel sowie der Internet-Browser Explorer wurden zu Marktführern.

Diese Rolle verdanken sie auch der aggressiven Marketing- und Lizenzpolitik des Unternehmens. Hersteller von PC wurden zum Teil durch Knebelverträge gezwungen, auch die übrigen Programme von Microsoft zu bundeln. Gleichzeitig konnte Microsoft durch seine unerschöpfliche Kriegskasse in anderen Geschäftsbereichen schnell aufholen. So gelang es der Firma zum Beispiel, den Browser des Unternehmens Netscape vom Markt zu verdrängen, obwohl Netscape bereits Jahre vor Microsoft die erfolgreiche Browsersoftware Navigator anbot, die lange die am häufigsten benutzte Internetsoftware der Welt war. Inzwischen beherrscht Microsoft 80 Prozent des Browsermarkts.

Auch im Internet hat das Unternehmen inzwischen eine dominante Position. Das Microsoft-Network (MSN) verbuchte nach einer Untersuchung der amerikanischen Wirtschaftszeitung Industry Standard vom Juli 2001 weltweit die meisten Zugriffe auf seine Websites. 55 Prozent der populärsten Websites in 26 Ländern gehören zu der Software-Firma. Der Hauptgrund für Microsofts Übermacht im Netz liegt darin, dass die Redmonder ihren eigenen Browser gemeinsam mit Windows ausliefern. Bei ihnen ist die Website von Microsoft als Startseite eingestellt, wer seinen Browser öffnet, bewegt sich automatisch erst einmal zu dieser Website und erzeugt hohe »Klickraten«, die wiederum Einkünfte durch Banner-Werbung sichern. Auch in den lukrativen Markt der Computer-Spielkonsolen ist Microsoft mit seiner Xbox eingestiegen.

Linux mit Erfolg

Was aber bedeutet der Geschäftserfolg von Microsoft, wenn man ihn vor dem Hintergrund von Open Source Software betrachtet? Der größte Teil der gebräuchlichen Software war Mitte der siebziger Jahre, als Microsoft entstand, so »offen« wie heute zum Beispiel Linux. Von den Vorteilen dieses Modells hat die Firma profitiert, ohne sie wäre die Unternehmensgründung weniger erfolgreich ausgefallen.

Paul Allen und Bill Gates nahmen das frei erhältliche Basic, modifizierten es für den Altair von MITS und privatisierten ihre Version des Programms. Eine Software, die sie selbst als Open-Source-Programm erhalten hatten, wurde zu einem profitträchtigen Produkt. Auch das erfolgreiche MS-Dos basierte auf dem Programm CP/M, das Gary Kildall wiederum aus Elementen der damals noch freien Programmiersprache Unix und anderen, zu dieser Zeit frei erhältlichen Betriebssystemen entwickelt hatte. Selbst der Erfolg des IBM-PC und damit auch von MS-Dos kam nicht zuletzt dadurch zustande, dass IBM die Bauanleitung des Rechners veröffentlichte und so zum Nachbau einlud. Und schließlich hat auch der Browser Microsoft Explorer mehr als eine nur flüchtige Ähnlichkeit mit dem Netscape Navigator, der auf der Software Mosaic basierte, die am National Center for Supercomputing Applications an der Unversity of Illinois entwickelt worden war.

Viele der Vorteile, die Microsoft zum Marktführer gemacht haben, verdankt das Unternehmen frei zugänglicher Software und ihrer kollektiven Weiterentwicklung. Das Unternehmen hat freilich mit martialischen Maßnahmen dafür gesorgt, dass seine eigenen Produkte gegen die Übernahme und Weiterentwicklung durch Dritte geschützt wurden und somit Konkurrenten in den von dem Unternehmen dominierten Geschäftsfeldern keinen Fuß fassen konnten. Selbst IBM scheiterte mit dem Versuch, ein eigenes Betriebssystem als Konkurrenz zu Microsofts Windows zu etablieren. Viele Beobachter glauben darum, dass die Dominanz von Microsoft dazu geführt hat, dass Innovationen auf dem Markt für PC-Software verhindert werden und dass Microsoft die Preise für seine Produkte nach Belieben bestimmen kann.

In den letzten Jahren ist das Misstrauen gegenüber Microsoft und seinen Produkten größer geworden. Denn die fehlende Transparenz der Programme trägt auch zu ihrer mangelnden Sicherheit bei. E-Mail-Viren wie »I LOVE YOU« haben meist Lücken im Mail-Programm Outlook von Microsoft ausgenutzt. Bei Open-Source-Programmen können entsprechende Veränderungen schnell von Dritten durchgeführt werden, während man sich bei Outlook strafbar machte, würde man das Programm modifizieren, um Virenschäden zu verhindern. Sicherheitslücken gibt es auch beim Browser Internet-Explorer, der Webserver-Software, der neuesten Inkarnation des Microsoft-Betriebssystems Windows, beim Passport-System, das Internet-Surfern das Einkaufen im Internet leichter machen soll, und beim Programm Media Player. Die ununterbrochene Berichterstattung über die Sicherheitsprobleme hat sogar dazu geführt, dass Bill Gates im Dezember 2001 erklären musste, die Systemsicherheit bei Microsoft-Programmen habe in Zukunft oberste Priorität.

Andere Anzeichen dafür, dass die Art und Weise, wie Microsoft Geschäfte macht, von den Konsumenten und der Justiz nicht mehr widerspruchslos toleriert wird, kommen seit Mitte der neunziger Jahre aus den USA. Dort sind verschiedene Verfahren wegen Monopolbildung gegen das Unternehmen anhängig; die Europäische Kommission ermittelt in gleicher Sache.

Und auch die »Rache der Hacker« an Microsoft, nämlich der Erfolg von Linux und anderer quelloffener Software, ist wohl zu einem nicht geringen Teil der Unzufriedenheit vieler Computernutzer mit den Programmen von Microsoft und der Geschäftspolitik des Unternehmens zuzuschreiben. Nicht wenige Länder vor allem in der Dritten Welt sind in den letzten Jahren dazu übergegangen, im Informatikunterricht ihrer Schulen statt Microsoft-Produkten Open Source Software einzusetzen.

Wie die Halloween Papers zeigen, hat das Unternehmen früh begonnen, sich mit Linux als potenziellem Konkurrenten auseinander zu setzen. Die Memos zeigen, dass man bei Microsoft einige der Vorteile von freier Software gut verstanden hat. Der freie Austausch von Ideen, der bei Open Source Software möglich sei, habe Vorteile, die Microsoft nicht bieten könne, heißt es in einem Dokument, das ein Microsoft-Mitarbeiter namens Vinod Valloppillil verfasst hat. In dem Memo gibt er zu, dass Open Source Software wie Linux langfristig die Qualität von kommerzieller Software erreichen oder sie sogar übertreffen könne und dass diese Programme bei ihren Usern eine hohe Glaubwürdigkeit genössen.

In einem zweiten Memo ging Valloppillil noch weiter. Er räumte ein, dass Linux schneller und zuverlässiger als Windows sei, sich leichter den Bedürfnissen seiner Benutzer anpassen ließe und weniger schnelle Rechner als das eigene Produkt benötige. Außerdem wies er darauf hin, dass Firmen wie Compac und Dell Linux auf ihren Computern bereits anböten und dass das Programm beim Betrieb von Webservern immer häufiger zum Einsatz käme. Diese Memoranden blieben im Unternehmen nicht folgenlos. Immer wieder haben sich Bill Gates und andere Manager in der Öffentlichkeit über Linux und andere Open Source Software abwertend geäußert, gleichzeitig aber versucht, die Bedrohung, die von dieser Software-Produktionsmethode ausgeht, zu minimieren.

Zu diesen Versuchen gehört auch die Einführung einer Shared Source-Lizenz, die mit ihrem Namen, aber auch nur damit, an das Konzept von Open Source erinnert. Denn während Open Source nicht nur eine Offenlegung des Quellcodes eines Programms verlangt, sondern auch die Möglichkeit einräumt, dass dieser Code von jedermann modifiziert und weiterverbreitet werden kann, gestattet die Shared Source lediglich einer ausgewählten Gruppe von Benutzern einen Einblick in den Code eines Microsoft-Programms. Universitäten, Forschungsinstitute und Entwickler von Software, die mit Microsoft-Programmen kompatibel sind, dürfen nun den Code von Programmen wie Windows CE einsehen. Das nützt vor allem Microsoft. Denn so ist es Dritten leichter möglich, Software zu schreiben, die reibungslos mit den Produkten des Unternehmens funktioniert.

Die Auseinandersetzung zwischen Gates und der Linux-Community dürfte den meisten Außenstehenden, die mit der Materie nicht vertraut sind, wie der Streit zwischen einem erfolgreichen Geschäftsmann und einer Gruppe fanatischer Hacker erscheinen. Erst wenn man die Vorgeschichte der Auseinandersetzung kennt, werden die philosophisch-politischen Implikationen deutlich. Während Microsoft an der Maximierung der Profite interessiert ist, geht es den Linux-Hackern um den freien Austausch von Wissen. Der US-Programmierer Richard Stallman bringt seine Position im GNU-Manifesto auf den Punkt: »Wenn ich ein Programm gut finde, muss ich es mit anderen Menschen, die es gut finden, teilen.«

Eine vollständige Fassung des Artikels erscheint im Oktober in: Alexander Roesler/Bernd Stiegler (Hrsg.): Microsoft, Macht, Monopol. Edition Suhrkamp 2281