Kampf in den Köpfen

Die deutsche Linke im Krieg gegen den Krieg gegen den Terror. Von Joachim Rohloff

Man braucht die industrialisierte westliche Welt nicht für das Reich der Freiheit zu halten und die islamistischen Terroristen nicht für Wiedergänger der Nazis, um doch den USA das Recht zuzugestehen, sich gegen Verbrechen, wie sie am 11. September 2001 begangen wurden, zu wehren. Deshalb muss man allerdings nicht der Meinung zustimmen, jeder habe die freie Wahl zwischen Fanta und Fatwa und die amerikanische Zivilisation werde uns demnächst das Fliegen lehren. Die Abscheu vor der Propaganda und vor der Brutalität des Krieges gegen Afghanistan verhindert nicht die Einsicht, dass er nötig war. Man kann die CIA für eine kriminelle Organisation ansehen, ohne sie deshalb zu verdächtigen, sie habe die Anschläge in New York und Washington geduldet oder sogar ausgeführt.

Die Frage, was die Regierung der USA nach dem 11. September tun sollte, wurde vom pazifistischen Flügel der Linken mit einigen Vorschlägen beantwortet, deren Anwendung bedeutet hätte, dem Treiben der Terroristen hilflos zuzuschauen. Die Antiimperialisten alter Schule wiesen diese Frage zurück, schließlich treiben sie keine Politikberatung. Der Imperialismus darf immer nur eines tun: er darf verschwinden. Wenn sie einem amerikanischen Präsidenten auch überhaupt nichts glauben, so glaubten sie George Bush doch jedes Wort, das sich gegen ihn wenden ließ. Die Fackelträger der Aufklärung kolportierten die absurdesten Verschwörungstheorien und faselten von Pogromen, vom Polizeistaat und von Völkermord. Ein Jahr danach scheint es, als sei Bush unter allen Hysterikern der vernünftigste gewesen.

Zum Reaktionär zu dumm

Vor vielen Jahren, als es die PDS noch gar nicht gab, bemerkte Hermann L. Gremliza, die Partei des Fortschritts zähle einige Mitglieder, die zum Reaktionär zu dumm seien. Inzwischen hat sich manches geändert. Jetzt sind diese Leute nicht nur in der Mehrheit, sie sitzen auch auf den höchsten Vorstandsposten.

Am 18. September 2001 positionierte Gabi Zimmer sich an ihren Laptop, nahm die gewohnte friedenspolitische Haltung an und schrieb den Delegierten des bevorstehenden Dresdener Parteitags einen Brief: »Liebe Genossinnen und Genossen, in der vergangenen Woche waren wir täglich, mitunter mehrfach täglich veranlasst, uns für die PDS zu positionieren. Es ergeben sich neue Fragen für uns. Wir sind Suchende, das wird und das soll auch unser Parteitag zeigen. Meines Erachtens ist es jetzt sowohl notwendig, einerseits über mittelfristige und strategische Konsequenzen und Konzepte nachzudenken, andererseits jedoch auch angesichts der oft unabsehbaren aktuellen Entwicklungen uns Schritt für Schritt abgestimmt zu erklären und zu handeln. Vor Dresden und in Dresden wird viel Arbeit zu leisten sein.«

Denn einige Tausend Kilometer vor Dresden hatten sich zwei Dutzend Namenlose terroristisch positioniert, diese Haltung konsequent umgesetzt und das World Trade Center dergestalt portioniert, dass es in Lastautos abtransportiert werden musste.

In der ganzen Partei begann die Einsicht zu reifen, dass es für eine solche Tat keine, ja sogar eher gar keine Entschuldigung gebe. »Derartige entsetzlichen, bisher nie da gewesenen Terrorakte mit Tausenden Toten«, wusste Gabi Zimmer schon am 11. September, »sind durch keinerlei politische Ziele, durch nichts, absolut nichts zu rechtfertigen. Dies schon deshalb nicht, weil ihnen zahllose unbeteiligte, unschuldige Menschen zum Opfer fallen«, aber dies schon deshalb vielleicht doch, weil nun natürlich »Beiträge zur Lösung von brisanten internationalen Konflikten, die mit diesen Anschlägen in Verbindung gebracht werden«, so nötig waren wie nie zuvor.

Auch der Vorstand der PDS dachte, als er die Twin Towers einstürzen sah, zuerst an Israel; und er appellierte »an die US-Regierung, beim Abwägen ihrer Reaktion das Maß an Verantwortung für die Erhaltung des Friedens an den Tag zu legen, die einer Großmacht wie den USA zukommt«. Die Terroristen hatten also den Frieden unversehrt gelassen, in Gefahr konnte er nur dann geraten, wenn die USA bei seiner Erhaltung, und nicht etwa bei seiner Wiederherstellung, ein Maß an den Tag legten, die ihnen nicht zukam.

Der Vorwurf, sie redeten viel, aber sagten nichts, mag Politiker aus allen Parteien treffen, aber nicht die Funktionäre und Parlamentarier der PDS. Sie haben immer ein Anliegen, immer drückt ein schwerer Stein auf ihrem Herzen, doch leider sind sie auch die unübertrefflichen Meister in der Disziplin, keinen Gedanken nicht formulieren zu können. »Nichts, absolut nichts rechtfertigt den kriegerischen Akt einer noch anonymen Macht«, erklärte, »unter Hinzuziehung wesentlicher Teile der beachtenswerten Rede von Roland Claus vom 12.9.2001«, der Landesvorstand der PDS Niedersachsen, nicht ohne inständig zu »mahnen, dass wir noch eine Weile den Atem anhalten«. Der hamburgische Landesarbeitsausschuss wusste es besser und gab zu bedenken, so was komme womöglich von so was, nämlich die »zynische Verzweiflungstat der (auch selbstmörderischen) Vernichtungspiloten und ihrer Auftraggeber« von »allerlei Krieg und Elend in der Welt«, wofür wiederum die Regierungen der USA seit 1945 sowie das dortige Kapital und Militär »ursächlich verantwortlich« seien, und wurde darob vom Bundesvorstand mit einer Geldstrafe belegt.

»Morden macht blind«, war aus dem parteieigenen Denktank zu vernehmen, der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Und da hatte man immer gedacht, Morden mache vor allem tot. Doch halt: »Dies gilt für die Mörder. Und es kann jene blind machen, gegen die sich das tödliche Tun richtet.« Am Ende sind also alle blind und einige obendrein auch noch tot. »Aber wir haben nach den Erfahrungen des schrecklichen 20. Jahrhunderts kein Recht, blind zu sein.« Trotzdem nehmen sich einige dieses Recht einfach heraus. Besonders auffällig wurden in letzter Zeit Ussama bin Laden, weil er »mit brutaler Gewalt am Wirken« ist, und George W. Bush, weil er versucht, »das internationale Gewaltmonopol an sich zu reißen und unilateral als Weltpolizist die globale Ordnung zu stabilisieren«, obwohl sie in Wahrheit doch eine »globale Unordnung« ist, die sich auch noch »verschärft«.

Alles, was im Liebknecht-Haus beraten und beschlossen worden war, wurde in allen Gliederungen der Partei auf außerordentlichen Sitzungen noch einmal beschlossen und unter Hinzuziehung wesentlicher Teile, aber unglücklicherweise auch unter Hinzufügung selbständiger Versuche, ein unbeschreibliches Entsetzen zu beschreiben, an die Weltpresse gefaxt, und so blieb es in jenen Tagen nicht einmal verborgen, dass die PDS Mainz-Bingen den Terrorismus entschieden verurteilte. »Hierzu zählt der Kreisverband ausdrücklich auch jegliche Formen des Staatsterrorismus, wie ihn die USA angesichts tiefer Betroffenheit gegenüber Afghanistan mit freundlicher und kritikloser Unterstützung kriegerisch gesinnter deutscher Regierungsvertreter auszuüben gedenken. Fanatismus, gleich ob aus religiöser Verblendung oder aus patriotistisch übersteigertem Nationalgefühl, wirkt selten gut.«

Doch die amerikanische Militärführung schlug alle Warnungen in den Wind und ließ einige Monate später in ganz Kabul Plakate ankleben: Dieser Staatsterrorismus angesichts tiefer Betroffenheit wurde Ihnen gegenüber ausgeübt mit freundlicher Unterstützung der deutschen Bundesregierung. Die Mainz-Bingener kritisierten die empörende »dauerhaft einseitige Verteilung von Reichtum und Armut und damit auch der Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit in einer globalisierten Welt zu Gunsten der Konzentration der Gewinne in einigen wenigen Regionen« und die »Definition und Bekämpfung von 'Gut und Böse'«, doch sie konnten, wie bekannt, George Bush nicht von seinem Krieg gegen Gut und Böse abbringen. Und so sind wir von einer gerechten Verteilung der Perspektivlosigkeit heute weiter entfernt denn je.

Die Empfindung, am 11. September sei irgendetwas dorthin zurückgekehrt, woher es kam, habe sich irgendetwas gestülpt oder gewendet, sei die im Wolkenkratzer und im Düsenclipper vergegenständlichte spätkapitalistische Hybris bestraft worden, vermochten die vierzehntäglich nahe der PDS erscheinenden »Politischen Berichte« am allerschönsten in Worte zu setzen. »Flugzeug und Hochhaus«, so bewies die Redaktion ihre arithmetischen Kenntnisse, »sind mehr als nur ein Symbol der modernen, globalisierten Welt.« Nämlich haargenau zwei Symbole und obendrein »Resultat und Mittel der Ballung von Macht und Reichtum in Zentren und der Marginalisierung der Welt. Gegen sich selbst gewendet, zeigen sie: Die moderne Welt ist auf den mitmenschlichen Konsens angewiesen.« Aber da nun einmal die globale Welt marginalisiert wurde und Hochhäuser sich gegen sich selbst wenden ließen, blieb wenigstens die Hoffnung, dass nach dem Sieg des demokratischen Sozialismus die Luftfahrt ein bisschen mitmenschlicher wird.

Von den Tätern weiß die PDS bis heute nur, dass sie bestraft werden müssen. Wie sie zu ergreifen sind, ist ihr schnuppe. Zwar hielt Gregor Gysi »begrenzte militärische Aktionen für statthaft, soweit sie ausschließlich darauf gerichtet sind, die Tatbeteiligten zu ergreifen, ohne unschuldige Menschen zu gefährden«, fing sich deshalb aber die entrüstete Kritik aller pazifistisch gesonnenen Kommunisten ein, deren historische Mission es ist, das Parteiprogramm gegen den Vorstand zu verteidigen.

Zudem verschwieg er, was ein solches »polizeiliches« Zwangsmittel noch von einem veritablen Krieg unterscheidet, wenn es erheblichen militärischen Widerstand gewaltsam brechen muss. Den Vorschlag Wolfgang Gehrckes, des außenpolitischen Sprechers der Bundestagsfraktion, »für den notwendigen entschlossenen Kampf gegen den Terrorismus sollte bald eine alle Staaten verpflichtende Uno-Konvention zur Bekämpfung des Terrorismus verabschiedet werden«, hätten vermutlich selbst die Führer der Taliban unterschrieben. »Es müssen schnell vertragliche Regelungen über die zügige Auslieferung von Terroristen auf der Grundlage internationaler Haftbefehle gefunden werden. Staaten, die dem nicht folgen, sollen politisch isoliert und aus internationalen Gremien ausgeschlossen werden.«

Ob diese grausamen Maßnahmen wohl reichen würden, fragte man sich, zumal Afghanistan vorm Angriff der Amerikaner ja ohnehin kein Mitglied der Fifa war. Und was sollte mit dem Nährboden geschehen und mit Israel und mit der Globalisierung? Gehrcke war um Antworten nicht verlegen: »Es bedarf eines langfristigen Herangehens. Dem Terrorismus muss vor allem sein Nährboden entzogen werden. Das erfordert zunächst Flüchtlingshilfen, einen intensiven multilateralen Dialog über das gemeinsame Vorgehen gegen Terrorstrukturen und substanzielle Schritte zur Lösung des Nahost-Konfliktes.«

Von der Absicht der Täter, so lange Juden und Amerikaner zu töten, bis die heiligen Stätten des Islam von Ungläubigen gesäubert sind und Israel von den Landkarten verschwindet, will die PDS nichts wissen. Vor diesem Programm würde die Hilflosigkeit der eigenen Vorschläge unübersehbar, die nichts anderes bedeuten, als dem terroristischen Serien- und Massenmord untätig zuzuschauen, bis »eine andere politische Gestaltung der Globalisierungsprozesse die Früchte der internationalen wirtschaftlichen Kooperation endlich gerechter verteilt« hat. So etwas kann dauern.

Die Mehrheit der Bevölkerung

Zwar fühlt sich der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Roland Claus, mitunter auch in Washington verstanden. »Ich hatte jüngst die Gelegenheit«, erzählt er, »im amerikanischen State Departement einmal die Position gegen den Afghanistan-Krieg - sie wird in Europa nicht nur, aber auch von der PDS vertreten - einzubringen. Die Reaktion auf die Frage, ob diese Position für die Kollegen im State Departement akzeptabel sei, war, dass sie sich selbst sehr wohl als auf der Suche befindlich verstehen und deshalb mit Kritik umgehen können.« Denn wir alle sind Suchende immerdar. Aber wenn er wieder in Berlin ist, nimmt Claus an der Weltpolitik vor allem die Merkwürdigkeit wahr, dass alle anderen Staaten ihre Interessen haben, die von der jeweiligen Regierung verfolgt werden, während sich einzig die deutsche Außenpolitik der Vernunft und dem gerechten Ausgleich verpflichtet hat. Manchmal versagt die Bundesregierung vor ihrem Anspruch, dann springt die PDS ein und hilft.

»Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland und auch die Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages wollen diesen Krieg nicht. Verstehen Sie insofern das Ansinnen der von uns beantragten heutigen Aktuellen Stunde nicht als konfrontativ!« rief Claus im Februar 2002 dem Bundeskanzler zu, nachdem der amerikanische Präsident dem Irak gedroht hatte. Zwar hatte Gerhard Schröder versprochen, Deutschland werde sich an irgendwelchen militärischen »Abenteuern« nicht beteiligen, doch nun zeigte er, wie Gabi Zimmer es nannte, »Feigheit vor dem Freund«. Denn »die deutsche Politik hat es erneut an Selbstbewusstsein mangeln lassen«. Deshalb bestehe die Gefahr, fügte Wolfgang Gehrcke hinzu, dass Deutschland seinen Beruf eines »ehrlichen Maklers« verfehlt.

Warum ausgerechnet Deutschland, das in diesem Zusammenhang manchmal auch mit Europa verwechselt wird, einzig unter allen Nationen keine niederen, also wirtschaftlichen Motive kennt, sondern nur höhere Ziele, die umso leichter zu erreichen sein werden, sitzt die PDS erst in der Regierung, erklärt Gehrcke sich mit dem guten Geist Gorbatschow, der in den neunziger Jahren waltete. »Interessanterweise gab es in Europa in den 90er Jahren andere politische Antworten. Sie gingen in Richtung von mehr Sozialstaatlichkeit, eine mehr auf Ausgleich bedachte Verteilung von Reichtum und Macht, Auflösung der Militärblöcke, Abrüstung statt Umrüstung.« Was mit der NVA und dem Warschauer Pakt geschah, dachte er damals, werde bald auch mit der Bundeswehr und der Nato geschehen. Und nun wundert er sich: »Europa ist dabei, seinen eigenen Weg zu verlassen, der den Frieden sicherer gemacht und die Welt stabilisiert hätte.«

Unter der gegenwärtig amtierenden Regierung werde die »deutsche Kriegsbeteiligung zu einer Sache der Moral, und über Interessen wird nicht mehr geredet«, beklagt sich Gehrcke. Doch wenn er vom Interesse spricht, meint er nur das allgemein menschliche, also ebenfalls die Moral. Dass die Bundesregierung in Afghanistan und im Irak sehr wohl deutsche Interessen wahrnimmt, die mit den amerikanischen konkurrieren, muss auch die Opposition verschweigen, weil von ihr dasselbe verlangt würde, und zwar nicht nur vom profitgierigen Kapital, sondern auch von jener fiktiven »Bevölkerungsmehrheit«, die sich unter der Führung eines Roland Claus gegen »Rüstungs- und Militärprojekte« stemmen soll. Denn die tatsächlich existierende Mehrheit lässt sich die Außenhandelsbilanz immer wieder gutgläubig in zukünftige Arbeitsplätze umrechnen.

Heidi Lippmann, die friedenspolitische Expertin der Bundestagsfraktion, fasst ihre Analyse in dem Satz zusammen: »Blinder Gehorsam bei einem Rachefeldzug bringt langfristig keine Konfliktlösung.« Und Ellen Brombacher demonstriert noch einmal die Nutzlosigkeit ihrer KPF, wenn sie vom letzten Parteitag berichtet: »Zwölf Botschaften waren in Rostock vertreten. Elf davon mit jeweils einem Diplomaten. Die US-Botschaft erschien mit drei Vertretern. Wie ist die Beschaffenheit der Partei, die sich zunehmend auf die SPD zubewegt? Eine offensichtlich wichtige Frage für den mächtigen Verbündeten hinsichtlich der Zuverlässigkeit seines deutschen Nato-Vasallen.« Dass Deutschland der Vasall der USA sei, haben schon am 9. Mai 1945 die Nazis herausgefunden, sie konnten allerdings die Schande besser beschreiben.

Selbstverständlich wird das segensreiche Wirken Deutschlands im Nahen Osten besonders schmerzlich vermisst, da hier noch immer die USA den stärksten Einfluss zugunsten Israels ausüben. »Deutschland«, sagt Gehrcke, »muss im Rahmen Europas seinen Beitrag leisten. Europa könnte besser das leisten, wo die USA versagt haben: Ein fairer Mittler zu sein.« Dass die USA an dieser Aufgabe scheitern, weil die Macht der Juden in Washington zu groß ist, sagt er nicht; vielleicht denkt er es nicht einmal, aber so mancher, der Gehrckes außenpolitische Expertisen liest, wird es sich denken können. Warum sonst sollte die amerikanische Regierung dem Treiben Ariel Sharons untätig zuschauen und ihn »seinen Hang zu biblischer Rache« austoben lassen? »Deutschland kann hier viel tun - und muss es.« Denn »Scharon zielt auf offenen Krieg«, schrieb Gehrcke in einer seiner zahllosen Pressemitteilungen, und nur zu gern zitierte er die Zeitungsente vom »totalen Krieg«, den Sharon dem Terrorismus erklärt habe und der »zu einem quasi-totalen Krieg gegen die palästinensische Zivilbevölkerung ausartet«. Außenminister Fischer solle den israelischen Botschafter einbestellen und ihn nachdrücklich warnen, »die Bundesregierung sollte auch Überlegungen innerhalb der EU zur Kündigung des Assoziierungsabkommens zwischen EU und Israel unterstützen«.

Wenn alles nicht hilft, müssen halt Blauhelme der Uno nach Palästina geschickt werden. Die Bundestagsfraktion der PDS machte sich mit einem solchen Antrag die alte Forderung Yassir Arafats zu Eigen, und da es gegen Israel ging, vernahm man von den notorischen Fundamentalisten des Pazifismus, die bis dahin jede militärische Maßnahme auch der Uno unter allen Umständen abgelehnt hatten, keinen Protest. Wieder einmal fühlten deutsche Politiker sich vor allen anderen berufen, Massaker an Unschuldigen zu beenden.

Gabi Zimmer wusste von den israelischen Verbrechen, sie war in Jenin. »Der Begriff Massaker wurde von vielen palästinensischen Menschen, mit denen wir dort gesprochen haben, gebraucht. Er wurde uns gegenüber damit begründet, dass Menschen umgebracht, erschossen worden seien und dass es 400 bis 600 Tote in Jenin gäbe.« Zweitens hielt sie »für sehr glaubwürdig die Erklärung«, dass israelische Soldaten sogar wehrlose verletzte Palästinenser erschossen hätten. Seitdem versteht sie, »was hier eigentlich abgeht. Uns gegenüber fiel mehrfach der Begriff der Bantustanisierung, d.h. das Ziel Israels bestünde darin, mehr oder weniger Howlands zu schaffen, um auf diese Art und Weise einen palästinensischen Staat auch in Zukunft unmöglich zu machen.« Denn wie sagt der Zionist: My How is my Eretz, but Bantustan is your Palästinenserstaat.

Für Gabi Zimmer ist es »kein Antisemitismus, wenn zunehmend mehr Menschen Sharons Handeln und seine Politik kritisieren«. Einst, als die PDS noch SED hieß, war sie Sprachmittlerin im »Jagdwaffenkombinat Ernst Thälmann« in Suhl. Was sie den sowjetischen Delegationen wohl gedolmetscht haben mag, fragt man sich, wenn man heute ihre Presseerklärungen liest. Möglicherweise erhielt mancher ukrainische Bezirkssekretär, der einen neuen Bockdrilling bestellt hatte, dank ihrer Mittlung eine explosive Gewaltspirale mit Zielfernrohr. Kurz vor Ostern jedenfalls kam aus dem Liebknecht-Haus dieses:

Hände weg vom Streichholz
Zur explosiven Zuspitzung der Gewalteskalation im israelisch-palästinensischen Konflikt erklärt die Vorsitzende der PDS Gabi Zimmer

Das Ausrufezeichen, das Komma und der Doppelpunkt seien ihr geschenkt. Wo käme man hin, wollte man von einer offiziellen Pressemitteilung der Vorsitzenden einer in den Bundestag gewählten Partei auch noch verlangen, dass die Satzzeichen stimmen? Die sechseinhalb Sekunden, die ein halbwegs versierter Schreiber braucht, um solche Mängel zu erkennen und zu beheben, kann eine viel beschäftigte Frau wie Gabi Zimmer halt nicht erübrigen. Dafür hat sie ihren Pressesprecher. Aber noch nie in der Geschichte der politischen Parteien, der Verbände und der Industrie wurde ein Pressesprecher entlassen, weil er nicht sprechen, nicht lesen und nicht schreiben konnte. Pressesprecher werden entlassen, das weiß die Genossin Zimmer am besten, wenn man an ihrer Loyalität zweifeln muss.

Die explosive Zuspitzung der Eskalation sei ihr aber nicht nachgesehen. Eskalation ist, wenn's mehr wird und schlimmer, hat sie sich vermutlich gedacht. Und das stimmt ja auch irgendwie. Von einer Eskalation des Wohlstands oder des Glücks hat man selten gehört. Noch seltener hat man allerdings gehört, dass eine Eskalation, die nicht viel mehr bedeutet als eine Steigerung, sich zuspitzt und dass die zugespitzte Eskalation am Ende auch noch explodiert.

»Diese Spirale der Gewalt steht vor einem Flächenbrand. Es reicht ein Streichholz.« Das klingt in der Tat gefährlich. Obendrein »ist es 1 vor 12, um die Probleme des heutigen und künftigen Zusammenlebens von Israelis und Palästinensern auf Grundlage der gegenseitigen Anerkennung staatlicher Existenz und ökonomischer Selbständigkeit am Verhandlungstisch zu klären«. Aber gemach, wenig später wird es auch wieder halb eins, um ante meridiem ins Bett oder post meridiem in die Kantine zu gehen.

Nun unterhalten Gabi Zimmer und ihre Parteifreunde, wie sie immer wieder beteuern, ein besonders intimes, ja geradezu inzestuöses Verhältnis zur Kultur. Nie, nie, nie werden sie ein Theater schließen. Sondern erst dann, wenn sie dazu auch in der Lage sind. Und sie tun gut daran. Die Schließung eines Theaters ist die größte kulturelle Leistung, zu der sie fähig sind. Denn jedes Theater, das sich von Leuten dieses Schlages aushalten ließe, müsste Schaden nehmen an seiner Seele.

Schwer getroffen

»Gott hat nur als Demokrat eine Chance«, weiß die bekannte Schriftstellerin Daniela Dahn. Es gibt aber einige, die ihn für einen autonomen Antifaschisten halten, für einen Postmaoisten oder gar für ein korrespondierendes Mitglied der Perspektive unabhängige Kommunikation. Sie alle müssen durch einen heißen Draht mit ihm verbunden sein, denn anders ist es nicht zu erklären, dass sie so genau wissen, was er mit der Menschheit vorhat. Sie zweifeln nicht an ihm, obwohl er auch das Böse schuf, das da heißt USA.

Und so kam das Unrecht in die Welt. Die Zeitschrift Kalaschnikow, eine Hervorbringung des ostdeutschen Nationalbolschewismus, vermutlich von der CIA oder vom Arbeitsamt finanziert, um der Linken durch Selbstekel den Garaus zu machen, beschrieb es wenige Tage vor dem 11. September 2001 als ganz alltägliche Normalität: »Autoindustrie optimistisch. In den nächsten 20 Jahren soll die Anzahl der in der BRD zugelassenen KFZ von 43 auf 52 Millionen steigen. Je 90 Prozent der Männer und Frauen werden dann individuell motorisiert sein. Schön. So also die Lage in Europa und den USA. Aber was ist mit den Menschen in der VR China, in Afghanistan oder dem Sudan. Sollen die auch alle zu 90 Prozent motorisiert sein? Und wenn nein, warum dann sie und nicht die Europäer?«

Dann geschah, was nicht ausbleiben konnte. Hans Lebrecht, in den Zeiten des Friedens und der gewöhnlichen Intifada zuständig für den israelischen Staatsterrorismus, berichtete aus Virginia gegenüber des Weißen Hauses/Washington. (Um ihre ästhetische Wirkung nicht zu beeinträchtigen, werden in allen Zitaten auch die Orthographie und die Syntax der Originale gewissenhaft wiedergegeben.) »Am 11. September 2001, auf den Tag genau dem 28. Jahrestag als, von den USA gelenkte Panzer und Kampfflugzeuge den Präsidentenpalast in Santiago de Chile in Schutt und Asche gelegt hatten und das faschistische Gewaltregime von Pinochet in den Sattel gehoben wurde, trafen, von fanatischen Selbstmörderterroristen entführte und gelenkte Verkehrsflugzeuge frontal die beiden Türme des Welthandelszentrums in New York und dem Pentagon in Arlington/ Virginia, am gegenüberliegenden Ufer des Potomac Flusses nahe des Washingtoner Weißen Hauses. Das Pentagon, das Zentrum der mächtigsten Armee, des, mit Ausnahme des Hitler Regimes das schlimmste Terrorinstrument des 20. Jahrhunderts und des weitausgebreitetensten und hochentwickelsten Spionagenetzes der Welt, wurde schwer getroffen.«

Als der Chefredakteur Charly Kneffel seinen Fernseher einschaltete, erkannte er: »Das brennende Pentagon und die einstürzenden Türme des WTC in New York stehen für die Überlebtheit und die ganze Fäulnis des imperialistischen Weltsystems.« Ob die einstürzenden Türme standen oder die stehenden Türme einstürzten, die USA lernten jedenfalls »nun die Lektion, die Frankreich in Dien Bien Phu und Algier lernen musste«. Handelte es sich also um eine Art Repetitorium des Vietnamkriegs? Wem die Tatsache, dass in den Twin Towers 3 000 Menschen starben, nicht pikant genug war, der mochte es für »zusätzlich pikant« halten, »dass alle die Kräfte, mit denen die USA heute so schwer zu ringen haben, ihre eigenen Produkte sind: das gilt für Saddam Hussein ebenso wie für die Taliban und Usama Bin Laden. Sie waren gut genug, die Sowjetunion niederzukämpfen. Nun kehrt sich ihre Gewalt gegen ihren Mentor. Das ist nur gerecht. Es ist müßig darüber zu philosophieren, ob die Anschläge gegen die USA gerechtfertigte Mittel waren oder nicht.« Ja, vollkommen schnuppe, denn sie dienten ja der Gerechtigkeit. »Die USA werden, das sind sie ihrem Ansehen schuldig, in der nächsten Zeit zurückschlagen. Aber nichts wird mehr so sein wie vorher. Dafür steht die veränderte Skyline von Manhattan und das ist auch gut so.«

Diese Worte sagten schon viel mehr, als man hören mochte, sie erledigten zwar nicht ihr Thema, aber ihren Autor. Trotzdem wollte nun auch noch der promovierte Stefan Bollinger beweisen, dass im Schatten des antiamerikanischen Schutzwalls eine Unzahl kapitaler Denker hatte heranwachsen können. »Die Vormacht von McWorld, der Wirtschaft, Kultur und Tradition der restlichen Welt unterordnet ebenso erfolgreich wie zerstörerisch den 'Rest' der Welt. Traditionen, soziale Beziehungen, eigenständige Kultur, Menschenwürde, nicht zuletzt auch nationale Wirtschaften bleiben auf der Strecke. Der Widerstand dagegen hat die unterschiedlichsten Formen, er kommt mit den Demonstranten in Genua gegen die globalisierte Weltwirtschaftsordnung ebenso daher wie mit jenem religiösen und politischen Fundamentalismus, den arabische Terrororganisationen ebenso auszeichnet wie die rechtskonservativen Milizen des 'Oklahoma-Bomber'«. Nur der Mitteldeutsche Rundfunk hat bis heute keinen bewaffneten Arm, der Achim Mentzel gegen Eminem verteidigt.

Und was wird uns die Zukunft bringen? »Vor allem wird es aber erneut einen Kampf um das Öl geben, der genau in der Nah-Ost-Region, die sowieso schon ein Pulverfass ist, die Kriegsgefahr hinaufbeschwört, die der eigentliche Kern jenes seit Samuel Huntington sprichwörtlichen 'Clash of Nations', des Zusammenpralls der Völker und Kulturen sein kann.« Dr. Bollinger meinte, der Kampf im Pulverfass werde die Kriegsgefahr hinaufbeschwören, die der Kern des Zusammenpralls ist. Und genauso wird es auch kommen.

Diejenigen Leser der Kalschnikow, die von den Tätern und ihren Motiven nichts, über die wahren Ursachen der Tat aber alles wissen wollten, wurden von Dr. Gudrun Eussner bedient. »Jetzt sind sie der 'Bär in der Falle', der Falle ihrer eigenen Überheblichkeit.« Gemeint waren die Amerikaner. »Sie verstehen nicht, daß das Zentrum, der Ausgangspunkt, des Attentats vom 11. September nicht bei der Einzelfigur Osama bin Laden und seiner al-Qeda liegt, sondern in Saudi-Arabien und den anderen Erdölstaaten der Gegend. Diese Staaten werden von den USA seit 1933 (!) durch die Arabian American Oil Company (Aramco), einen Zusammenschluß von Esso, Texaco und Mobil, schamlos ausgebeutet. Die herrschenden Prinzen, deren Dynastien mit Hilfe der Briten und der USA nach dem Zweiten Weltkrieg an die Macht gehieft wurden, bekommen von den USA ein Taschengeld, mit dem sie in Europa Daimler-Aktien und marode Schlösser kaufen können. Das Volk erhält Brösel. Es gibt aber in den Staaten der Region zunehmend sehr religiös geprägte wohlhabende Kreise, die es nicht länger dulden wollen, daß ihre Reichtümer von den USA entwendet werden.«

Vor allem aber wollen sie eines nicht dulden: »Es gibt auch zunehmend finanzkräftige Araber, die nicht länger die Politik Israels und der USA gegen ihre Glaubensbrüder, die Palästinenser, hinnehmen wollen.« Diese reichen Araber, die von ihrem Taschengeld nur marode Schlösser kaufen können und sich die Finanzierung des Terrorismus von ihren Aktienpaketen absparen müssen, machen Dr. Eussner trotzdem zunehmend Hoffnung. Denn »der Terrorismus wird erst dann zurück gehen, wenn die US-amerikanische Politik gegenüber den Ölstaaten und Palästina sich ändert«. Spätestens aber, wenn es Israel nicht mehr gibt.

Im Sommer 2002 stritt die Redaktion der Kalaschnikow darüber, ob Möllemann mit seinen Vorwürfen an die Juden nicht doch Recht hatte. Demnächst wird sie sich wohl in eine antizionistische und eine antisemitische Fraktion spalten.

Im Dreiliterauto gegen den Imperialismus

Wer sich nach der Lektüre dieser jämmerlichen Texte mit der Gewissheit tröstete, viel dümmer könne es nicht mehr kommen, wurde alsbald von der »Friedensgruppe Kein Blut für Öl« überrascht. Sie hielt sich selbst für die Avantgarde einer demnächst aufbrechenden Massenbewegung (»sehr gefreut hat uns der Zulauf von zwei neuen Leuten«), und die Parole, unter der sie antrat, hielt sie für besonders originell. Ihre Mitglieder mussten also die Pubertät noch vor sich haben; für diese Vermutung sprach auch der Stil ihrer »Rundbriefe«. Aber ach, »noch sind wir zur Zeit im Komieé nur Alt-Linke aber, sogar jetzt schon, mit einigen Ausnahmen von Neu-Bewegten. Das heisst für die Komiteéarbeit, das heute noch hauptsächlich unser Zielpublikum bei der Mitgliedergewinnung die Alt-Linke ist.«

Offenbar wartete das Komitee vergeblich auf den Zulauf von Rainer Trampert. Trotzdem war es zuversichtlich, die ruhmreiche Tradition Liebknechts und des Spartakusbundes fortsetzen zu können, und zwar mit größerem Erfolg.

»Es ist unsere Aufgabe, diesen Krieg zu verhindern, nein zu sagen zu den Machtansprüchen der westlichen Welt.« Und wenn sie erfüllt sein würde, stünde noch Größeres bevor. Denn in seinem vierten Rundbrief gab das zentrale provisorische Büro des Komitees der Friedensgruppe »Kein Blut für Öl« kund und zu wissen: »Im 1. Weltkrieg sind die Arbeiter 1914 erst mit Hurra in den Krieg gezogen, 1916 gab es dann die ersten grösseren Demonstrationen und 1918 haben sie den Kaiser davon gejagt. Dann, wenn sie wegen ihrer eigenen Interessen im Kampf standen, änderten sie auch ihr Weltbild, sahen die Interessen auch anderer und führten sogar 1918 die Revolution durch. Diesmal wird das wahrscheinlich ähnlich laufen.«

Doch zunächst ging es darum, »die Friedensbewegung zu verbreitern. Der Krieg gegen Afghanistan war schon vor dem verheerenden Anschlag vom 9.11.2001 gemachte Sache. Das haben französische Journalisten bewiesen.« Wahrscheinlich war Jürgen Elsässer gemeint, der aber bloß so heißt. »Zur Zeit ist Seitens der USA der Einmarsch nach Somalia und Jemen geplant, um den Schifffahrtsweg der Öltanker vom Arabischen Meer zum Suezkanal zu kontrollieren. Danach will die USA sich den Irak, den Iran, Libyen, Nordkorea, Syrien und den Sudan, die sogenannten Schurkenstaaten einverleiben. Amerika will also seinen Öldurst mit einem Krieg lösen.«

Ein Mitglied der Gruppe fasste den genialen Gedanken, die intelligenteste Waffe im Kampf gegen den Imperialismus sei das Dreiliterauto. Bräuchten die Amerikaner weniger Benzin, dann könnten sie ihren Durst in Texas lösen und müssten nicht ständig fremde Länder überfallen. Sein Komitee kam aber zum Beschluss, es sei »angesichts des Verlustes des US-Öl-Verbrauchs in den nächsten 5 Jahren um die Hälfte in der Tat bereits zu spät. Die Entwicklung von 3 Liter-Autos, die Herstellung und der Verkauf in der Breite, die Wärmedämmung in den Wohnungen, die Umstellung auf Fotovoltaik, Windräder und Bioenergie würde vielleicht 20 Jahre brauchen. Darum wird der Krieg immer weiter gehen.«

Perspektiven vernetzen!

Wie erfrischend war dagegen ein »Redebeitrag von der Demo in Berlin am 22. September 2001 aus dem Autonomen, Antimilitaristischen anrachistischen und antipatriarchalen Spektrum. Der Redebeitrag ist als Diskussionsstand zu betrachten. Das heißt er macht Denkrichtungen auf ohne diese zu vertiefen. Über diesen Beitrag wird eine Diskussion und kritische Anmerkungen gewünscht. Aus diesem Grund ist er Im Netz bei Indymedia abrufbar und dort auch Anmerkungen zu hinterlegen, die Ihr gerne öffentlich tätigen wollt.«

Indymedia, so viel hatte man schon gelernt, ist aber auch nur dazu in der Welt, die Zahl der schlechten Texte zu vergrößern. Immerhin versuchte der/die RednerIn nicht mehr, den falschen Eindruck zu erzeugen, er/sie sei noch irgendwie bei Trost. »Zur Ohnmacht und Resignation ist jetzt unsererseits keine Zeit«, redete er/sie. »Es geht jetzt nicht um Lippenbekenntnisse, es geht um gelebte Haltungen (um Zivilcourage und Widerstand gegen jeden Krieg, gegen Rassismus und Kolonialismus, gegen Sexismus und jede Ungerechtigkeit.) Ein grundsätzlicher Widerstand gegen Krieg und gegen jede Kriegspolitik bedarf Mut, ist persönlich konsequenzenreich.und braucht neue Formen der Vernetzung und der Solidarität.« Denn »besserwisserische und abgrenzerische Politik hat keine Perspektive«. Aber »unsere Perspektive muß sich zum Ziel setzen, jede Herrschaft zu entwaffnen«. Und? »Und es geht darum quer zu allen Grenzen und Unterschiedlichkeiten eine globale Antikriegsbewegung stark zu machen« oder entlang den Praxen der einzelnen Spektren eine Perspektive zu vernetzen. »Seattle, Prag, Göteburg, Genua sind die ersten Schritte gewesen, sich den Fragen nach einer Globalen Perspektive anzunähern. Diese ersten Schritte, unterschätzen wir die Wirkung nicht, haben die globalen Treffen der führenden Herrschenden in ihrer Existenz politisch, moralisch und direkt vor Ort bedroht.« Schließlich forderte der/die RednerIn »gegen die globale Diktatur von Ausbeutung, Hunger, Krieg und Mord eine Zivilcourage, Widerstand und Utopien die alle Teilbereiche und Menschen ständig einzubeziehen versucht«. Und zwar perspektivisch offensiv vor Ort.

Aus Kiel flog ein nicht unterschriebenes Blatt herbei. »Der Rassismus mit dem die westliche Welt ihren Wohlstand auf Kosten der der sogenannten dritten Welt organisiert, ist am 11. September auf sich selbst zurückgeschlagen«, hieß es da. »Er hat in Form eines anti-amerikanischen Massenmordes die Phallussymbole kapitalistischer Macht zum Einsturz gebracht. Die Menschenverachtung der kapitalistischen Weltordnung schlug auf sich selbst zurück, die sogenannte 'Zivilisation' ist nicht angegriffen worden, wie uns die HERRschenden zur weiteren Rechtfertigung ihres patriarchalen Ordnungsanspruchs weismachen wollen, sondern die sogenannte 'Zivilisation' ist kollabiert.« Sie versuchte jedoch wider alle Vernunft, ihren Kollaps mit Waffengewalt zu dementieren. »Durchgeknallte Patrioten richten drohend ihre Gewehre auf die Gegenden der Welt, die sich bis heute des allumfassenden Zugriffs der sogenannten westlichen Welt verweigert haben.« Und »Verweigerung« war das, was die Taliban trieben.

Dass die HERRschenden an ihrem empfindlichsten Körperteil getroffen waren, glaubte auch ein Mitglied der Sozialistischen Studienvereinigung. »Das Assassinentum ist Bestandteil der faschistoiden Weltreaktion.« Denn »seine Aktionsformen sind zutiefst antimodernistisch-patriarchal gefärbt: Projektile, Introjekte einer Phallokratie gegen eine andere Phallokratie, deren Potenzsymbole sie kastriert«. Na gut, mochte man denken, ein paar Projektile introjizieren, ein paar Symbole kastrieren, das kann man ja mal machen. Wenn dabei die Städte lesbar bleiben. Aber nein, der poplinke Theoretiker Tom Holert erklärte: »Mit dem Fall des World Trade Center kommt auch die Lesbarkeit der Städte vorläufig an ihr Ende.«

Und da stand es nun doch noch, das Wort, auf das man seit dem 11. September verzweifelt gewartet hatte: Ende.

Dieser Text ist eine gekürzte Fassung zweier Kapitel aus dem Buch »Wenn man dich nicht fragt, sag nein«. Es ist soeben im Verbrecher Verlag erschienen.