25 Jahre Deutscher Herbst

Fakten auf Anfrage

In den USA ermöglicht der Freedom of Information Act den Bürgern weit reichende Möglichkeiten zur Akteneinsicht.

Der Kampf um den Freedom of Information Act (FOIA) begann in den fünfziger Jahren. Der Anlass für die etablierte Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU), sich für ein Gesetz zu engagieren, das einen »freien Zugang zu freien Informationen für unser freies Land« ermöglichen würde, waren die Atombombentests der USA im Südpazifik. 1954 hatte die US-amerikanische Regierung behauptet, die Nuklearbomben hätten keinesfalls tödliche Strahlungen freigesetzt. Alle Versuche von Medienvertretern und interessierten BürgerInnen, an weitere Informationen zu gelangen, stießen bei den Behörden auf Schweigen.

Das Ende des Kalten Krieges, die Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre und die beginnende 68er-Protestbewegung waren es, die der andauernden Lobbykampagne der ACLU zum nötigen Rückhalt im Kongress verhalfen. 1966 verabschiedete das Parlament schließlich den Freedom of Information Act. Im Zuge der parlamentarischen Aufklärung des Watergate-Skandals und der Aufstandsbekämpfungsprogramme gegen die afroamerikanische und indigene Oppositionsbewegung wurde der FOIA im Jahr 1974 noch um den »Privacy Act« erweitert.

Seitdem haben nicht nur US-amerikanische Staatsbürger, sondern auch AusländerInnen das Recht auf Blicke hinter die Kulissen der US-amerikanischen Bundesbehörden aller Art. Tatsächlich umfasst die Liste der Behörden, bei denen Akteneinsicht beantragt werden kann, sämtliche Institutionen der Regierung mit Ausnahme des Weißen Hauses, der Bundesgerichte und des Kongresses. Neben dem Verteidigungsministerium, der Bundespolizei FBI und dem National Security Council müssen auch die Umweltbehörde sowie staatlich kontrollierte Konzerne wie der U.S. Postal Service, der Bahnkonzern Amtrak, ja selbst Museen unter Bundesverwaltung ihre Aktenschränke auf Anforderung öffnen. Alle Bundesbehörden haben Abteilungen eingerichtet, die sich ausschließlich mit solchen Anfragen befassen.

Entsprechend breit gefächert sind die Anfragen, deren Ergebnisse in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten von Einzelpersonen, JournalistInnen und Nichtregierungsorganisationen für Kampagnen und die Aufdeckung politischer Skandale genutzt wurden. Frauengesundheitsgruppen gelang es zum Beispiel mit Hilfe einer Anfrage bei der Federal Food and Drug Administration, der unter anderem für die Zulassung von Medikamenten zuständigen Bundesbehörde, Informationen über die Nebenwirkungen von Brustimplantaten aus Silikon zu bekommen, die von den Herstellern, aber auch von der Gesundheitsbehörde unter Verschluss gehalten worden waren. Sie waren die entscheidende Grundlage für Schadenersatzklagen.

Das Gesetz ist keine Wunderwaffe. Aber der FOIA und der Privacy Act verleihen den BürgerInnen im Vergleich zu Deutschland weit reichende Rechte. So können nicht nur persönliche Daten, die eine bestimmte Bundesregierungsbehörde gespeichert hat, erfragt werden. Gleichzeitig erhält der Fragesteller auch das Recht, Fehlinformationen zu korrigieren oder löschen zu lassen.

Dass es trotzdem nicht immer einfach ist, die gewünschten Dokumente zu erhalten, macht eine endlose Liste von Gerichtsurteilen deutlich. Immer wieder geht es um die Fragen: Was müssen die Behörden herausgeben, was dürfen sie schwärzen und was muss überhaupt nicht an die Öffentlichkeit gegeben werden. So sind beispielsweise die Ortsangaben von Ölvorkommen vor neugierigen Nachfragen bei der Umweltbehörde geschützt, wie auch persönliche medizinische Daten vor Versicherungskonzernen. Ebenfalls ausgenommen sind Anfragen beim FBI und der CIA in Angelegenheiten, welche die »nationale Sicherheit« betreffen. Da die Behörden häufig eine fiktive Bedrohung der »nationalen Sicherheit« als Ablehnungsgrund anführen, existieren inzwischen jedoch diverse Gerichtsurteile darüber, inwieweit FBI und CIA dennoch auskunftspflichtig sind.

Doch selbst bei einer erfolgreichen Anfrage kann es passieren, dass z.B. die Umweltaktivistin, die gerne wüsste, wie lange das FBI ihr Telefon überwacht hat, zwar seitenweise Papier, nicht aber die entscheidenden Antworten erhält. Denn wenn das FBI beispielsweise einen Informanten oder andere Quellen schützen will, kann es nach geltender Rechtsprechung ganze Textpassagen schwärzen. Eine andere beliebte Taktik der Behörden, um FragestellerInnen zu zermürben, ist es, erst einmal zu antworten, es lägen keine Informationen über sie vor, die Anfrage sei viel zu vage. Oftmals beginnt dann ein langer Weg durch die Instanzen, der schließlich vor Gericht endet, um die Akteneinsicht einzuklagen. Nach Angaben des FBI hat die Bundespolizei in den letzten 20 Jahren rund 300 000 derartige Anfragen bearbeitet und etwa sechs Millionen Seiten an Dokumenten an die Antragsteller überstellt. Oftmals kam die Wahrheit jedoch nur in Teilen ans Licht.

Für Chronisten sozialer Protestbewegungen der sechziger, siebziger und achtziger Jahre in den USA gehören die Ergebnisse von FOIA-Anfragen zu den wichtigsten Dokumenten, ohne die manche Erkenntnisse über die Geschichte der afroamerikanischen Widerstandsbewegung oder des indigenen Protestes nicht denkbar wären. Beispielsweise war zwar schon frühzeitig klar, dass die Regierung und die Bundespolizei mit allen Mitteln der Aufstandsbekämpfung gegen die 1969 gegründete Black Panther Party (BPP) und das zwei Jahre später ins Leben gerufene American Indian Movement (AIM) vorgingen. Doch das Ausmaß staatlicher Maßnahmen, die vom FBI unter dem Stichwort »Counterintelligence Programmes« (Cointel-Pro) geführt wurden, zeigte sich erst Anfang der neunziger Jahre, als viele der ehemaligen AIM- und BPP-AktivistInnen sich längst aus der Politik zurückgezogen hatten, erschossen worden waren oder schon seit zwei Jahrzehnten im Gefängnis saßen.

Das Spektrum staatlicher Maßnahmen umfasste den gesamten Katalog der »low intensity warfare« (»Krieg niederer Intensität«). Innerhalb von zwei Jahren wurden 22 BPP-AktivistInnen von Polizeibeamten auf offener Straße oder schlafend in ihren Wohnungen erschossen. Gleichzeitig schickte das FBI gefälschte Briefe an einzelne BPP-Ortsverbände oder Führungskader, um interne Streitigkeiten anzuheizen. Andere AIM- und BPP-AktivistInnen wurden mit Verfahren überzogen und mit Hilfe von gefälschten Beweisen oder bezahlten ZeugInnen für Jahrzehnte hinter Gitter gebracht.

Es ist jenen hartnäckigen ehemaligen BPP- und AIM-AktivistInnen und den AnwältInnen der Gefangenen zu verdanken, dass Cointel-Pro heute umfangreich dokumentiert ist. Nur mithilfe der Ergebnisse von FOIA-Anfragen können und müssen einige Aspekte der Bewegungsgeschichte neu bewertet und geschrieben werden. In einigen Fällen dauerte es allerdings Jahrzehnte, bis gerichtliche Anordnungen das FBI zwangen, die Dokumente über einzelne gegen die Black Panthers gerichtete Maßnahmen herauszurücken.

In manchen Fällen entschieden die durch FOIA-Anfragen gewonnenen Dokumente über Knast oder Freiheit. So zum Beispiel bei dem ehemaligen BPP-Aktivisten Geronimo Pratt, der im November 1997 nach 27 Jahren aus dem Gefängnis entlassen wurde. Als der heute 54jährige Pratt 1970 in Texas verhaftet wurde, stand er ganz oben auf der FBI-Liste der »politischen Extremisten«. Er galt dem FBI als besonders gefährlich, weil er ein mehrfach ausgezeichneter Vietnamveteran war. 1968 schloss sich Pratt der BPP an und stieg bald zum BPP-Vorsitzenden in Los Angeles auf.

1972 klagte ihn die Staatsanwaltschaft nach zweijähriger Untersuchungshaft wegen Mordes an einer weißen Tennisspielerin an. Ein ehemaliges Mitglied der Black Panthers, Julio Butler, behauptete als Kronzeuge vor Gericht, Pratt habe ihm den Mord gestanden. FBI-Protokolle, die belegen konnten, dass Pratt sich zur Tatzeit auf einem Treffen der Black-Panther-Führungsspitze, 400 Kilometer entfernt vom Tatort, aufgehalten hatte, blieben knapp drei Jahrzehnte unzugänglich. Das Urteil lautete »lebenslänglich«.

Erst 1997 gelang es Pratts Anwalt, Jonnie Cochran, auf der Grundlage der durch FOIA-Anfragen gewonnenen FBI-Dokumente, eine richterliche Anhörung für ein Wiederaufnahmeverfahren zu erwirken. Cochran hatte als »top secret« klassifizierte Akten von der Staatsanwaltschaft in L.A. erhalten, in denen der Kronzeuge gegen Pratt als Informant des FBI geführt wurde. Das Landgericht Orange County schlussfolgerte, dass Pratt wohl nie verurteilt worden wäre, wenn Pratts Verteidigung 1972 Kenntnis von der Informantentätigkeit des Kronzeugen gehabt hätte.

Auch im Fall des New Yorker BPP-Aktivisten Dhoruba bin Wahad führten tausende Seiten von FBI-Dokumenten, die aus den Archiven der Bundespolizei angefordert wurden, nach 19 Jahren Haft zu seiner Freilassung.

Von diesen individuellen politischen Erfolgen abgesehen, gäbe es ohne den FOIA auch nicht die stattliche Anzahl an Büchern über Cointel-Pro, die BPP und das AIM. Die Geschichtsschreibung über Bewegungen und Institutionen sähe ganz anders aus. Und nicht zuletzt müssen die Sicherheitsbehörden in den USA immer damit rechnen, dass ihr Treiben eines Tages doch publik wird. Diese Sorge dürfte einem Geheimdienstler in Deutschland fremd sein.