Bin Ladens Lehrer
Sprache der Vernichtung
Auf diesen Seiten werden Auszüge aus zwei grundlegenden Dokumenten des Islamismus in deutscher Erstveröffentlichung dokumentiert. Der Autor von »Unser Kampf mit den Juden«, Sayyid Qutb (sprich: Kutup), ist hierzulande kaum bekannt. Dabei ist die Mobilisierung für den Islamismus seit spätestens 1967 untrennbar mit der Verbreitung der Schriften dieses Führers der ägyptischen Muslimbruderschaft verbunden. Qutbs Schriften wurden in alle wichtigen Sprachen der islamischen Welt übersetzt. Sie können hinsichtlich ihrer Zirkulation und ihres Einflusses durchaus mit der Bedeutung des Kommunistischen Manifests für die frühe europäische Arbeiterbewegung verglichen werden.
Nach Qutbs Überzeugung war es die »jüdische« Kultur des Westens, deren Ausbreitung die muslimische Welt in eine durch soziales Chaos und sexuelle Freizügigkeit gekennzeichnete Barbarei, die so genannte jahiliyya, zurückgeworfen habe, wie sie zuletzt unter den Beduinenstämmen Arabiens vor der Ankunft des Propheten üblich gewesen sei. Die radikale Abkehr von dieser gottlosen Gesellschaft und der Jihad für die Errichtung einer neuen und wahrhaft gerechten islamischen Weltordnung habe mit der Beseitigung der gottesabtrünnigen Machthaber der islamischen Welt zu beginnen.
Qutbs Essay »Unser Kampf mit den Juden« wurde 1950, kurz nach der Gründung Israels, verfasst, in der arabischen Welt wurde er aber erst im Anschluss an den Sechstagekrieg von 1967 populär. 1970 sorgten die Herrscher Saudi-Arabiens für unzählige Nachdrucke, die sie in der gesamten islamischen Welt verbreiteten, bot doch Qutbs Komplotttheorie, wonach die Führer der arabischen Welt zionistische Agenten seien, eine wohlfeile Erklärung für die arabische Niederlage von 1967.
In Qutbs Text wird ein originär islamisch begründeter Judenhass mit den verschwörungstheoretischen Elementen des europäischen Antisemitismus perfekt synthetisiert. Sein erster Teil verweist auf eine Legende aus dem Frühislam, der zufolge sich die drei jüdischen Stämme Medinas mit den »Polytheisten« Mekkas gegen den Propheten Muhammad verschworen haben sollen. Muhammad soll daraufhin zwei dieser Stämme vertrieben, die Männer des dritten jüdischen Stamms aber getötet und ihre Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft haben. Die Übertragung derartiger Religionskämpfe aus dem 7. Jahrhundert auf die Gegenwart - für jeden Laizisten eine wahnwitzige Idee - gilt Islamisten freilich als religiöses Gesetz: So wie einst Muhammad Medina, so sollen seine Nachfahren heute Palästina vom jüdischem Einfluss »befreien«.
Der zweite Teil des Textes greift als Vorbild das antisemitische Machwerk »Die Protokolle der Weisen von Zion« auf. Hier wird nicht nur alles Jüdische als böse, sondern zugleich alles Böse als jüdisch halluziniert. Beispielhaft spielt Qutb auf Karl Marx, Sigmund Freund und Emile Durkheim an, die er für den Materialismus, die sexuelle Wollust und die Zerstörung der islamischen Familie verantwortlich macht.
Als Gamal Abdel Nasser den 60jährigen Sayyid Qutb 1966 hinrichten ließ, kümmerte sich dessen in Saudi-Arabien ansässiger Bruder Muhammad um die Weiterverbreitung seiner Texte. Als Professor an der saudischen Universität von Jeddah gehörte Muhammad Qutb zu den wichtigsten Lehrern Ussama bin Ladens, der in den siebziger Jahren hier studierte. Später wurden die Schriften Sayyid Qutbs in den afghanischen Lagern bin Ladens wie auch in den palästinensischen Ausbildungszentren der Hamas als Pflichtlektüre eingeführt. Doch auch in der Harburger Wohngemeinschaft der Attentäter des 11. September waren seine Schriften präsent.
»Immer wieder seien Verschwörungstheorien aufgestellt worden, nach denen 'die Juden' durch hervorgehobene Stellungen in Politik, Medien und Wirtschaft die Macht in Amerika längst übernommen hätten«, sagte ein Zeuge über den Charakter der Harburger WG-Debatten im Hamburger Prozess gegen einen Kumpanen von Mohammad Atta. (FAZ, 13. November 2002) Ein geradezu »nationalsozialistisches Weltbild« soll Atta auch von Teilnehmern der von ihm iniitierten »Koran-Runden« an der Harburger Technischen Universtität attestiert worden sein: »'Die Juden', das waren für ihn die reichen Strippenzieher der Medien, der Finanzwelt, der Politik, und natürlich steckten auch hinter dem Einsatz der Amerikaner am Golf die Juden, hinter den Kriegen auf dem Balkan, in Tschetschenien, überall. (...) Und 'das Zentrum des Weltjudentums', so sah es Atta, war New York. Atta wünschte sich einen Gottesstaat vom Nil bis zum Euphrat, frei von Juden, und sein Befreiungskrieg musste in New York beginnen.« (Spiegel, 36/2002) In keinem anderen Dokument des Islamismus aber wird diese Weltanschauung kohärenter ausgeführt als in der Charta der Hamas.
Der weltweite Krieg der Hamas
Die islamistische Widerstandsbewegung Hamas wurde 1987 als palästinensischer Zweig der Muslimbruderschaft gegründet. 1988 veröffentlichte sie ihre bis heute unverändert gültige »Charta«. Sie kennzeichnet darin ihren Jihad als ein Kettenglied, das mit dem antijüdischen Kampf der Islamisten, wie er 1936 unter der Führung von Amin el-Husseini, dem Mufti von Jerusalem, praktiziert wurde, untrennbar verbunden sei.
In der Tat knüpft die Hamas an die Politik des Mufti an. So werden in der Charta die »Protokolle der Weisen von Zion« als ein authentisches Dokument präsentiert. Die Juden werden als das Weltübel par excellence halluziniert und nicht nur für die Französische Revolution und den Ersten Weltkrieg, sondern auch für den Zweiten Weltkrieg, die Ausbeutung der Dritten Welt durch den Imperialismus und den Drogenschmuggel verantwortlich gemacht. Folgerichtig definiert sich die Hamas als »universelle« Bewegung und als »Speerspitze und Avantgarde« im Kampf gegen den »Weltzionismus«, folgerichtig gilt ihr der Jihad gegen Israel lediglich als erste Etappe eines weltweiten islamischen Kriegs, der die Juden vernichten will, um die Welt zu retten.
Die Art und Weise, wie Juden getötet werden, gibt Auskunft auf die Frage, warum sie getötet werden. Es ist diese Kopplung an eine wahnwitzige Reinheits- und Erlösungsmission, die den Antisemitismus der Islamisten zum eliminatorischen macht, die den Hass auf Juden größer werden lässt als die Furcht vor dem eigenen Tod und die den suizidalen Massenmorden der Hamas ihr Motiv verleiht. Es ist die Enthumanisierung der Juden und ihre Dämonisierung zum Menschheitsfeind, was die Islamisten veranlasst, als »jüdisch« markierte Menschen unterschiedslos in Bussen, Restaurants, Diskotheken, Musicaltheatern oder Wolkenkratzern zu töten und jede noch so vage Gelegenheit für eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts mit immer neuen Massakern zu torpedieren.
Anders als es in Deutschland kolportiert wird, sind diese Massenmorde somit keine Akte der Verzweiflung, keine Reaktion auf eine bestimmte israelische Politik, da es um das »konkrete Israel« ohnehin nicht geht. Was immer die israelische Regierung unternehmen mag, wird stattdessen einer Sichtweise untergeordnet, die den jüdischen Staat als Repräsentanz des Bösen auszulöschen sucht.
Die Tatsache aber, dass bei der unendlichen journalistischen Forschung nach den Motiven für die suizidalen Massenmorde an israelischen und US-amerikanischen Zivilisten das Programm der Hamas in Deutschland nicht einmal zur Kenntnis genommen wurde - das Selbstverständlichste also nicht geschah -, verleiht der 1969 formulierten Warnung Léon Poliakovs neue Aktualität: »Wer den Antisemitismus in seiner primitiven und elementaren Form nicht anprangert, und zwar gerade deshalb nicht, weil er primitiv und elementar ist, der muss sich die Frage gefallen lassen, ob er nicht dadurch den Antisemiten in aller Welt ein Zeichen heimlichen Einverständnisses gibt.«
Der folgende Textauszug umfasst nur etwa 15 Prozent der Charta, die zahlreiche weitere Inhalte - etwa die den Frauen vom Islamismus zugewiesene Rolle oder die Frage »korrekter« islamistischer Kunst - thematisiert. Für diese Dokumentation wurde auf die unter www.palestinecenter.org/cpap/ documents/charter.html einsehbare englische Gesamtübersetzung zurückgegriffen.
Die partielle Wiedergabe des Essays von Qutb basiert auf der englischen Teildokumentation des Textes in dem Aufsatz »Past Trials and Present Tribulations: A Muslim Fundamentalist Speaks on the Jews« von Ronald L. Nettler in: Michael Curtis (ed.), Antisemitism in the Contemporary World, London 1986, S. 102ff.