Hauptsache sicher

Polizeiliche Todesschüsse von oliver tolmein

Wer die tödlichen Schüsse in Bad Kleinen auf Wolfgang Grams abgegeben hat, ob es Mord war oder Suizid, weiß bis heute niemand – außer den namentlich nie genannten Beamten, die sich bei ihm befanden, als er zu Boden ging. Wer aber Friedhelm Beate erschossen hat, steht fest, ebenso, wer Zdravko Nikolov Dimitrov getötet hat. Der pensionierte Bundeswehrsoldat, der versehentlich für einen flüchtigen Gefangenen gehalten wurde, und der Flüchtling, der sich gegen seine Abschiebung mit einem Messer wehren wollte, wurden beide 1999 von Polizisten erschossen.

Jedes Jahr sterben in Deutschland zehn bis 20 Menschen durch Polizeikugeln, nur wenige von ihnen haben zuvor selbst eine Waffe eingesetzt. Bemerkenswert ist, dass die deutsche Öffentlichkeit die Gewissheit über diese Tötungen durch die Polizei noch gelassener hinnimmt als das Nichtwissen über das, was in Bad Kleinen tatsächlich geschah. Während nach dem Einsatz gegen die RAF immerhin einige Wochen lang dringlich Aufklärung gefordert wurde und der Bundesinnenminister, der Generalbundesanwalt sowie hochrangige BKA-Beamte ihren Hut nehmen mussten, werden polizeiliche Todesschüsse, über die keinerlei Zweifel bestehen können, einfach registriert, bisweilen sind sie nicht mal eine Meldung wert.

Dass Polizisten den Tod von zehn bis 20 Menschen jährlich verschulden, hat das Vertrauen der Bundesbürger in die Institution Polizei offensichtlich ebenso wenig erschüttert, wie die Bekenntnisse eines Vize-Polizeipräsidenten, der Folter als Mittel der Gefahrenabwehr für diskutabel hält. Die Sehnsucht nach dem Gefühl der Sicherheit, das die Anwesenheit der grün uniformierten Beamten vermittelt, ist größer als das Misstrauen gegenüber dem »Apparat«.

Dass kaum einer dieser Todesschützen von einem Gericht zur Verantwortung gezogen wird, die Verfahren in der Regel eingestellt werden oder mit einem Freispruch enden, zeigt, welche Akzente die professionellen Kontrollinstitutionen setzen. Und die unterscheiden sich im übrigen auffallend vom Zorn des Rechtsstaates, mit dem hierzulande die uniformierten Todesschützen auf der östlichen Seite der deutsch-deutschen Grenze die Befehlskette hinauf bis ins SED-Politbüro hinein strafrechtlich verfolgt wurden.

Weder die Serie polizeilicher Todesschüsse noch die gelangweilten Reaktionen darauf machen Deutschland allerdings zum Polizeistaat. Es ist derzeit lediglich eine Zivilgesellschaft, die – in scharfem Kontrast zum gern bekannten Stolz auf ihre Läuterung in den vergangenen 58 Jahren – sich auffallend wenig dafür engagiert, dass auch ihre staatlichen Organe zuverlässig zivile Umgangsformen pflegen.

Dabei könnten schon etwas restriktivere polizeiliche Dienstvorschriften und ein besseres Einsatz- und Krisenmanagement vielen Menschen das Leben retten. Eine Einrichtung wie die britische Police Complaint Authority würde immerhin signalisieren, dass die Gesellschaft Handlungsbedarf sieht, und könnte zum Beispiel so etwas Banales garantieren wie die Veröffentlichung der Statistik über den tödlich endenden polizeilichen Schusswaffengebrauch.

Der Fall des Wolfgang Grams zeigt überdies, dass selbst wenn etwas geschieht, das die Routine des desinteressierten Wegsehens durchbricht, eine wirkliche Aufklärung nicht möglich ist. Wahrheitsliebe ist in Deutschland eben nicht einmal eine Sekundärtugend, die Sicherheit dagegen, wenn es nicht gerade um den Straßenverkehr geht, ein Totschlagargument.