Hier wird zermürbt

Ein Jahr nach der Eröffnung des Abschiebelagers Fürth muss eine verheerende Bilanz gezogen werden. von alexander thal

Die CSU leistet Widerstand: Als kürzlich die kleine bayerische, Gemeinde Engelsberg als Standort für ein weiteres so genanntes Ausreisezentrum ausgewählt wurde, stellten sich der Bürgermeister und der Gemeinderat dagegen.

Nicht am Lagerkonzept selbst nahmen sie Anstoß, sondern vielmehr an den unerfreulichen Schlagzeilen, die das bayerische Pilotprojekt im mittelfränkischen Fürth bisher machte. In der Sorge um den Gemeindefrieden bat der Bürgermeister Franz Ketzer Bayerns Innenminister Günther Beckstein (beide CSU) persönlich darum, »in einer solch kleinen Gemeinde kein Lager einzurichten«. Der Bitte wurde stattgegeben – schriftlich, wie Ketzer betont.

Engelsbergs Bürgermeister war nicht der Erste, der um den inneren Frieden und das Image seiner Gemeinde bangen musste. Bereits im Frühjahr verkündete der CSU-Landtagsabgeordnete Hermann Regensburger der Bevölkerung in seinem oberbayerischen Wahlkreis Neuburg an der Donau: »Solange ich im Amt bin, wird es in Neuburg kein Ausreisezentrum geben.« Damit behielt er bisher Recht.

Bemerkenswert an Regensburgers Widerstand gegen die Pläne der Landesregierung ist vor allem, dass er sich zuvor als Staatssekretär im bayerischen Innenministerium stets als Hardliner in Sachen Flüchtlingspolitik und konsequenter Befürworter der treffender als Abschiebelager zu bezeichnenden Einrichtungen hervortat. Doch die Erfahrung in Fürth lässt verstehen, warum er, die rechte Hand Becksteins, nun die Pläne seiner eigenen Partei boykottiert.

Im September 2002 wurde das erste bayerische Abschiebelager eröffnet. Hier soll, wie in Trier, Halberstadt und weiteren Modellprojekten anderer Bundesländer, »die Rückkehr- und Mitwirkungsbereitschaft der Bewohner« (Beckstein) gefördert werden. Ihnen soll klar gemacht werden, »dass es keine Alternative zur Ausreise gibt und es an der Zeit ist, sich auf die Rückkehrpflicht zu besinnen«. Eingewiesen werden Flüchtlinge und MigrantInnen, die wegen fehlender Papiere nicht abgeschoben werden können. Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen protestierten gegen das Lager und forderten seine sofortige Schließung.

Der Innenminister zeigte sich jedoch unerbittlich und setzte darauf, dass das öffentliche Interesse innerhalb kurzer Zeit abflauen werde. Der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen in Nürnberg gelang es jedoch, Kontakte zu den Insassen aufzubauen und so die Presse mit Informationen direkt aus dem isolierten Lager zu versorgen.

Die Insassen des Lagers leiden unter der alltäglichen »Zermürbetaktik«, wie Christoph Hammer, der Leiter des Abschiebelagers, den Umgang mit den Insassen selbst beschreibt. Die ständigen Demütigungen, die Teil dieser Taktik zu sein scheinen, sind mannigfaltig: dauerhafte Kontrollen durch die Wachmänner eines privaten Sicherheitsdienstes, die als einzige per Knopfdruck das Drehkreuz am Ausgang des Lagers freigeben können; minutiöse Protokolle, wer das Lager wann verlässt oder betritt; mehrmals wöchentlich stattfindende Verhöre, bei denen es regelmäßig zu Drohungen kommt; die tägliche Ausgabe der Lebensmittelpakete, die die ständige Anwesenheit im Lager sicherstellen soll, und dergleichen mehr.

All das blieb nicht ohne Wirkung. Binnen kurzer Zeit wiesen etliche der Lagerbewohner Symptome wie Depressionen, Angstzustände, Schlaf- und Appetitlosigkeit auf, neigten zu Alkoholmissbrauch und aggressivem Verhalten. Die Menschenrechtsorganisation res publica bewertet das als »direkte Folge der strikten Isolation der Insassen in ihrem vergitterten Lager am äußersten Fürther Stadtrand«. Alles weise auf einen »Lagerkoller« hin, sagt Florian Dotzler von res publica. Kein Wunder also, dass sich knapp die Hälfte aller in das Fürther Abschiebelager eingewiesenen Flüchtlinge dem Behördenzugriff entzogen hat und in die Illegalität geflüchtet ist.

Insassen, die ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch nehmen, haben unter besonders großem Druck zu leiden. Dimitri Olenin, ein Deserteur der russischen Armee, flüchtete Anfang der neunziger Jahre nach Deutschland. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, weil er weder seine russische Staatsangehörigkeit noch seine Zugehörigkeit zur russischen Armee beweisen konnte. Unter dem Vorwurf der Identitätsverschleierung wurde er schließlich ins Fürther Abschiebelager eingewiesen. Auf Veranstaltungen und in Interviews berichtete er immer wieder über die Lebenssituation im Lager.

Im Mai dieses Jahres gelang es der Leitung des Abschiebelagers plötzlich, die russische Botschaft zur Aufgabe ihrer Verweigerungshaltung zu bewegen und Olenins Angaben nach zwölf Jahren erstmals zu bestätigen. Doch die Bestätigung, die den Vorwurf der Identitätsverschleierung eindeutig widerlegte, führte nicht etwa dazu, Olenins Asylverfahren wiederaufzunehmen, das genau deswegen abgelehnt worden war, sondern zu seiner prompten Abschiebung. Christoph Hammer geriet darüber ins Kreuzfeuer der Kritik und Fürth in den Mittelpunkt des medialen Interesses.

Sicher ist, dass hier wie in den anderen Abschiebelagern Flüchtlinge unter psychischen Druck gesetzt werden, um sie zur »freiwilligen« Ausreise zu zwingen. Dass diese Perfektionierung der Abschiebepolitik grundgesetzwidrig ist, wird inzwischen auch von Gerichten erkannt. Unlängst ordnete das Verwaltungsgericht Trier die Entlassung einer Familie aus dem dortigen Abschiebelager an, »da die Beugung des Willens durch psychologische Maßnahmen rechtstaatlich nicht vertretbar ist«.

Dass sich selbst die bayerischen Wohlfahrtsverbände geschlossen weigerten, eine »psycho-soziale Betreuung« im Fürther Lager anzubieten, um nicht Teil dieses repressiven Systems zu werden, trägt nicht dazu bei, sein Renommee zu verbessern. Außer den Forderungen nach der Schließung des Lagers, schlechter Presse für die Lagerpolitik der CSU und jeder Menge Scherereien mit diversen Menschenrechtsorganisationen – teils auch auf juristischer Ebene – hat Fürth nicht viel vorzuweisen.

Von den 98 eingewiesenen Flüchtlingen sind mindestens 45 in die Illegalität abgetaucht. Lediglich ein Dutzend Insassen hat kapituliert und sich zur Ausreise bereit erklärt. Sie dürfen zur »Belohnung« am Piko-Projekt (Praktikum in kommunalen Organisationseinheiten) teilnehmen, in dessen Rahmen sie handwerkliche Fähigkeiten für einen leichteren Neuanfang in ihrem Herkunftsstaat erwerben sollen. Beabsichtigter Zynismus oder nicht: Ihre Hauptbeschäftigung ist das Ausheben von Gräbern auf dem städtischen Friedhof. Die Übrigen harren im Lager aus.

Trotz dieser Bilanz hält Bayerns Innenminister Beckstein hartnäckig an Abschiebelagern als »zentralem Element unseres Konzeptes, mit dem wir die Rückführung ausreisepflichtiger Ausländer, die nicht ausreisen wollen, optimieren wollen«, fest. Doch das könnte sich bald ändern. Vom 11. bis zum 14. September gibt es in Fürth Aktionstage gegen das Lager. »Abschiebelager Fürth schließen!« soll hier nicht nur eine Parole bleiben.

Weitere Informationen unter www.ausreisezentren.de