Und Deutschland bewegt sich doch

Damit am Ende nicht doch noch Kritik aufkommt, bewirbt die Bundesregierung ihren Sozialabbau mit lustigen Plakaten. Die sagen vieles aus über »unser« Land. von ambros waibel

Deutschland bewegt sich« steht als »zentrales Motto« seit dem 22. August auf unbeweglichen Plakaten, an denen wir vorüberlaufen. Hätte die Bundesregierung ihre Kampagne im Fernsehen geschaltet, es wären die laufenden Bilder, die sich abhetzen müssten, wir aber säßen bequem auf der Couch. Das ist offensichtlich nicht beabsichtigt.

Wer sich bewegen soll, sind wir, wir sollen den Dingen hinterherlaufen, dem Ding, Deutschland, das sich angeblich bewegt, obwohl es eben vor unseren Nasen geradezu herausfordernd verharrt: Deutschland, der Staat, das sind, wenn es unangenehm wird, immer noch und wieder wir alle.

Einen gibt es, den obersten Kampagnenleiter, der im Chefsessel sitzt und uns loseisen will vom Lehnstuhl, der uns die fatale Gemütlichkeit mit dem Rotstift austreibt, und zwar ohne viel Federlesen, zack-zack wird die schwarze Schrift der Vergangenheit gelöscht, falsche Buchstaben werden gestrichen, richtige ergänzt, damit wir nicht mehr auf unseren vieren kleben bleiben.

Wenn Deutschland sich bewegt, dann zahlen »wir« zum Beispiel weniger Steuern. So einfach geht das Steuern senken. Wir haben mehr Geld und können damit Sachen kaufen. Der Kopf bleibt dabei außerhalb des Bildausschnitts bzw. zuhause, und wer die Kohle zum Fenster rauswirft, ist immer noch die Frau.

Aber halten wir uns an die Reihenfolge, an das Rating der Bundesregierung auf ihrer Homepage. Zuvörderst also geht es um Mehr Jobs. Zwei Bauarbeiter und eine Bauarbeiterin sind zu sehen. Oder sind es Projektleiter? Einer jedenfalls sieht uns herausfordernd an. Die blauen Container im Hintergrund weisen daraufhin: Die drei machen blau. Das J von Mehr Jobs bildet ein gefährlich nah am Kopf des Frontmanns hängender Kranhaken. Wenn der Kranhaken ausschwenkt, ist der Frontmann der Bundesregierung tot. Dann ist ein Job freigeworden. Oder ein Blaumacher erledigt.

Wir kondolieren und ziehen weiter. Chancen (ver)geben heißt es als nächstes. Junge, authentische Menschen blicken nach links oben. Sie hatten die Chance, die sie hatten, vergeben. Dann half ihnen jemand und strich das Ver. Nun blicken sie zu ihm auf. »So haben die Jugendlichen im Motiv ›Chancen geben‹ alle in den letzten Monaten erfolgreich eine Berufsausbildung gestartet«, stellt die Bundesregierung klar. Die Zukunft der jungen Leute steht in den Sternen, sie warten auf die Rückkehr des Anstreichers, der sie vorwärts – pardon –verführt.

Solch abgetakelte Wortspiele aus Großvaters Kabarettkiste erfindet die Bundesregierung übrigens nicht etwa bei einer Kaffeepause zwischen zwei Herrenwitzen auf Schloß Neuhardenberg. Das zuständige Presse- und Informationsamt beauftragte vielmehr seine Hamburger »Leitagentur« mit dem nicht minder verbiesterten Namen »Zum goldenen Hirschen«. Am teuersten wird es immer noch, wenn es richtig billig werden soll.

Inzwischen ist Mutti vom Shoppen zurück. Ein Kind mit großen braunen Bambiaugen hat zu lange warten müssen. Aus Angst und Langeweile beißt es in den Laufstall. Zudem hat es sein Kasperle an die Rückwand genagelt. Bildung fordern – die billige Forderung ist so leicht aufgestellt wie eine Plakatwand, das geniale Bildung fördern dagegen kostet zwei Punkte oder Peanuts bzw. 2,3 Millionen Euro für eine Kampagne.

Kinder im Laufstall, liebe Kinderlose, sind meistens jünger als drei. Das Bambikind hatte also Pech, denn es gehört zu einer Zweidrittelmehrheit. »Jedes fünfte Kind im Alter von unter drei Jahren soll in absehbarer Zeit in einem Kindergarten oder durch eine Tagesmutter oder einen Tagesvater betreut werden können«, verkündet Familienministerin Renate Schmidt (SPD). Machen Sie es nun der Bundesregierung nach: Streichen sie »fünfte« durch – und schon hat der Spruch Sinn und wird unglaubwürdig! Oder lassen Sie es bleiben. Hauptsache, Sie bewegen sich.

(Nie) wieder Arbeit steht auf dem nächsten Plakat. Der alte Traum des kubanischen Schwiegersohns von Karl Marx, Paul Lafargue, er war wahr geworden. Dementsprechend fröhlich sieht eine junge, durchtrainierte Frau uns an, der letzte Tag an der Werk- und Folterbank. Sie hat keine Angst vorm roten Mann, sie hat nicht gesehen, dass er ihr einen Strich durch die Rechnung macht und sie ihr mit Ausrufezeichen präsentiert. Wir aber können ihr nicht helfen, wir müssen uns bewegen.

Es geht nach Osten. Auf den Schultern eines Glatzkopfs sitzt ein Kleinkind. Es trägt die Discount-Version eines Nazipolos. Seine Körperhaltung versinnbildlicht das Halten der Balance zwischen Familie (oder) und Beruf. Wer etwas vereinbaren muss, ist der Tagesvater. Er darf das sollen, denn Mutti ist zwar gerade wieder Einkaufen, sonst aber eh zu Hause. Mehr fällt den Hamburger Hirschen dazu nicht ein, uns auch nicht.

Wir gehen weiter, in die Rente: Später (k)eine Rente. Dieses Motiv, wie auch das mit dem Kranhaken‚ wurde im letzten Heft des Spiegel nicht geschaltet, vielleicht aus Kostengründen, denn für Anzeigen in Print- und Onlineausgaben großer Wochenzeitschriften stehen lediglich zusätzliche 220 000 Euro zur Verfügung. Spiegel-Leser wissen aber auch mehr, sie kümmern sich selbst um ihre Rente, sie haben beim Arbeiten keinen Helm auf dem Kopf – nur Rudolf Augstein setzte ihn immer auf, wenn er über den Führer schrieb.

Aber solche Scherze können wir uns eigentlich gar nicht mehr erlauben. Nur, wenn wir grundsätzlich am Ball bleiben, dürfen wir auch mal am See sitzen und den Spiegel-lesenden Fondseignern beim Segeln zuschauen – zumindest als Vater und Sohn. Mutti schaut schon etwas (ver)zweifelnder in die Zukunft bzw. auf ihre Tochter, die offensichtlich in die Hose gemacht hat. Denn damit also Deutschland (Vater und Sohn) von Bewegung träumen kann zu Luft, Land und Wasser, muss jemand (Mutti) den Dreck (der Tochter) wegräumen.

Wenn Deutschland sich bewegen soll, wird es nicht nur banal, sondern immer auch anal, und sich dieser Bewegung zu entziehen, ist ein auch der Bundesregierung so einleuchtendes Bedürfnis, dass sie zur Ergänzung der 17 435 Großflächenplakate und der 642 so genannten Megalightplakate die Verfolgung mit 82 Großplakaten auf Bussen aufgenommen hat.

Bis zu ihrem Abschluss am 30. September 2003 erreicht die Informationskampagne ein errechnetes Potenzial von rund 48 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Das sagt die Bundesregierung. Das sollten wir ihr glauben.