Brothers in Crime

Männergewalt ist alltäglich in der brasilianischen Provinz. Eine Serie von Frauenmorden, begangen von Profikillern, lenkt nun den Blick auf den Landstrich Cariri. von sigurd jennerjahn

Acht Stunden braucht der Bus für die gut 500 Kilometer, die zwischen der Hauptstadt Fortaleza und dem Cariri im Süden des Bundesstaats Ceará liegen. In den Wochen vor der Aussaat kann man den Eindruck gewinnen, dass weite Teile der Region in Flammen stehen. Wohin man blickt, sieht man Rauchsäulen aufsteigen. Die ohnehin spärliche Vegetation wird für den Anbau von Mais, Bohnen oder Reis weiter dezimiert. Die drei nur wenige Kilometer voneinander entfernt liegenden Städte Brabalha, Crato und Juazeiro do Norte bilden das Zentrum der Region. Letztere ist mit etwas mehr als 200 000 Einwohnern die größte und dank Padre Cícero wohl auch die bekannteste von ihnen.

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts eine der politisch einflussreichsten Personen im Cariri, wird der Priester heute nicht zuletzt wegen eines vom Vatikan offiziell nie anerkannten Wunders von seinen Anhängern – und das sind im Hinterland des Nordostens, im brasilianischen Sertão nicht wenige – als Heiliger verehrt. Crato, knapp halb so groß wie Juazeiro, ist Universitätsstadt. Wie in den meisten kleineren Städten des Landesinneren trifft man hier an allen zentralen Plätzen auf Grüppchen von Männern mit Motorrädern, Mototaxistas, die auf Kundschaft warten. Der geruhsame Rhythmus, in dem die Dinge hier vor sich gehen, sowie der Umstand, dass im Unterschied zu brasilianischen Großstädten das Thema Sicherheit keine allzu große Rolle spielt, geben den Städten einen ungemein friedlichen Anschein. Kleine Städte in der Provinz halt.

Nun, es kommt ganz auf die Perspektive an. Für den Beamten, der in dem Sonderkommissariat in Crato für die Fälle von Gewalt gegen Frauen zuständig ist, ist dies hier eine der schlimmsten Gegenden. Die Gewalt, insbesondere die von Ehemännern verübt wird, sei enorm verbreitet. Seit Mitte 2001 hat die União das Mulheres Cearenses (UMC – Vereinigung der cearensischen Frauen) mehr als 50 Morde an Frauen hier in der Region registriert, die weit überwiegende Mehrzahl davon verübt durch ehemalige oder gegenwärtige Lebenspartner der Opfer. Cileide Araújo ist Juraprofessorin in Crato. Gemeinsam mit Studentinnen und Studenten sowie einigen Anwältinnen bietet sie eine kostenlose Rechtsberatung an. Zwischen 20 und 30 Menschen suchen dort täglich Rat.

In den meisten Fällen geht es dabei um Scheidungen. Ehebruch und Gewalt durch den Mann zählen zu den häufigsten Gründen. Cileide schildert einen typischen Fall aus ihrer Beratungspraxis. Der Mann trinkt regelmäßig, schlägt seine Frau. Er droht ihr, er werde sie töten, falls sie ihn anzeige. Der gemeinsamen Kinder wegen, der fehlenden Perspektive wegen versucht sie es so lange zu ertragen, bis ein Punkt erreicht ist, an dem es nicht mehr weitergeht. Einmal habe ein Mann seine Frau noch bedroht, als die Polizei ihm schon Handschellen angelegt hatte. Da Einrichtungen, die Schutz bieten könnten, schlicht nicht existieren, sehen viele Frauen keine andere Möglichkeit, als weiter mit ihrem gewalttätigen Ehemann zu leben. Etliche von der Polizei aufgenommene Fälle werden nicht weiter verfolgt, weil die Frauen ein paar Tage später die Anzeige zurückziehen.

Selbst bei denen, die vor einem Mord nicht zurückschrecken, ist unklar, ob ein Gerichtsverfahren zu einer Bestrafung führen wird. Iana Sinara Leandro de Souza ist am 12. Februar 2001 in Juazeiro do Norte von dem Vater ihrer Tochter umgebracht worden. Der Grund dafür sollen Auseinandersetzungen über die Unterhaltszahlungen für die Tochter gewesen sein. Das heißt, zu einer wirklichen Auseinandersetzung ist es nach Darstellung der Mutter Maria Auxiliadora gar nicht gekommen. Francisco Gomes dos Santos habe in den zwei Monaten vor der Tat die vereinbarten Unterhaltszahlungen eingestellt. Ohne dass es vorher Streit gegeben hätte, ist er an jenem 12. Februar in dem Laden erschienen, der im vorderen Teil der Wohnung eingerichtet ist. Er hat noch abgewartet, bis zwei Kunden ihre Einkäufe erledigt hatten. Dann hat er Iana Sinara vor den Augen der drei Jahre alten Tochter erschossen. Nach der Tat ist er zunächst für einige Wochen untergetaucht. 97 Tage hat er insgesamt in Haft verbracht. Dann ist er auf Kaution freigekommen. Einen Anwalt kann Maria Auxiliadora nicht bezahlen. Den Prozess, sagt sie, verfolge sie nicht mehr. Recht bekomme eh nur der, der es sich finanziell leisten könne. Seit dem Verlust der Tochter hat sich ihr Gesundheitszustand rapide verschlechtert. Zusätzlich muss sie die Demütigung der regelmäßigen Begegnung mit dem Mörder ihrer Tochter ertragen. Er und seine Familie wohnen zwei Straßen weiter.

Was die Aufmerksamkeit der Medien auf die gegen Frauen gerichtete Gewalt im Cariri gelenkt hat, waren jedoch nicht Fälle wie dieser. Dazu bedurfte es einer Serie von Mordtaten, ausgeführt – so viel ist sicher – von professionellen Killern, angeordnet – und hier wird das Bild schon etwas undeutlicher – offenbar zumindest teilweise von Angehörigen der Oberschicht. Mindestens sieben Frauen sind so zwischen Mai 2001 und April 2002 auf extrem grausame Weise umgebracht worden. Der Mord an der Journalistin Luíza Alexandra de Alencar und der Universitätsangestellten Maria Eliane Gonçalves da Silva hat aus verschiedenen Gründen über die Region hinaus für Aufsehen gesorgt. Ein entscheidender Grund ist die Tatsache, dass die polizeilichen Ermittlungen nicht nur zu den angeheuerten Mördern geführt, sondern auch den Namen des wahrscheinlichen Auftraggebers ergeben haben: Alfredo Couto, ein angesehener Rechtsanwalt aus Fortaleza.

In den Monaten vor ihrem Tod hatte die 22jährige Alexandra de Alencar ein Verhältnis mit dem beinahe vierzig Jahre älteren Couto. Da sie seine extreme Eifersucht, sein ewiges Nachspionieren nicht mehr ertragen habe, wollte sie die Beziehung auflösen, erzählt die Mutter. Fortwährend habe er Alexandra mit seinen Anrufen zu kontrollieren versucht. Wenn sie irgendwo im Cariri zum Friseur ging oder etwas kaufte, konnte sie sicher sein, dass die Nachricht bis zu ihm nach Fortaleza drang. Als sie von dem Mord an ihrer Tochter erfuhr, war sie sich sofort sicher, dass Couto dahinter stecke. Dass der Anwalt just in diesem Moment von der Bildfläche verschwunden ist, anstatt sich sich zu zeigen, sich um die Aufklärung der Tat zu bemühen, spricht ihrer Meinung nach Bände.

Hier die Version der Staatsanwaltschaft: Der 60jährige Anwalt fühlt sich in seiner Eitelkeit verletzt, da seine junge Geliebte ihn verlassen will, zumal da ein zweiter Liebhaber mit im Spiel ist. Er entschließt sich, Alexandra umbringen zu lassen. Über seinen Cousin Aníbal Couto, einen Unternehmer aus der Region, nimmt er Kontakt zu drei Pistoleiros auf. Am Abend des 8. Juni 2001 bringen sie Alexandra in ihre Gewalt. Sie wird gefesselt und bei lebendigem Leibe verbrannt. Am nächsten Morgen findet man ihre verkohlte Leiche in Juazeiro. Da Eliane, die Mitbewohnerin von Alexandra, zu viel von der ganzen Geschichte weiß, wird auch sie ermordet. Am Morgen des 8. Juni hat sie sich bei ihrer im Nachbarstaat Paraíba lebenden Mutter zum Mittagessen angekündigt. Sie kommt dort allerdings nie an. Ein paar Tage später wird ihre Leiche in Paraíba gefunden. Bevor sie sie erschossen haben, haben ihre Mörder sie gefoltert. Mehrere Finger und beide Füße fehlten. 30 000 Real sollen die Pistoleiros dafür bekommen haben.

Auftragsmorde sind in verschiedenen Teilen Brasiliens nicht ungewöhnlich. Allein für den Zeitraum von Januar bis Anfang November 2003 hat das Sekretariat für Menschenrechte der Arbeiterpartei von Ceará 70 Opfer solcher Verbrechen allein in diesem Bundesstaat gezählt. Und es gibt andere, in denen diese Bilanz mörderischer ausfallen dürfte. Außergewöhnlich ist, dass die polizeilichen Ermittlungen so schnell zu einem Ergebnis geführt haben und dass nicht nur die Mörder, sondern auch ihre Hintermänner angeklagt worden sind. Das bedeutet freilich nicht, dass diese sich auch in Haft befinden. 27 Tage musste Alfredo Couto dort bislang nur verbringen, dann hatte er eine richterliche Entscheidung erwirkt, den Prozess in Freiheit verfolgen zu können. Aber wenn man bedenkt, dass die, die morden lassen, in den seltensten Fällen dafür zur Rechenschaft gezogen werden, verwundert es nicht, dass Germano Guimarães, der Staatsanwalt, der anfänglich an dem Fall gearbeitet hat, es bereits als großen Erfolg sieht, dass es Alfredo Couto mit all seinem Einfluss nicht gelungen ist, die formale Anklageerhebung abzuwenden. Und er hat weiß Gott versucht, seine Beziehungen spielen zu lassen.

Von der Polizei abgehörte Telefonate zeugen davon, dass diese Versuche bis in die höheren Etagen der Landespolitik geführt haben. Guimarães musste sich in einem behördeninternen Disziplinarverfahren für sein Vorgehen in dem Fall rechtfertigen. Dies hatte zwar keine Sanktionen gegen ihn zur Folge, aber er hat den Fall dann auf eigenen Wunsch abgegeben. Direkte Drohungen habe er nicht erhalten, aber es habe Hinweise gegeben, dass es besser für ihn sei, wenn er sich von diesem Prozess fern halte. Ob es irgendwann auch zu einer Verurteilung von Couto kommen wird, ist offen. Guimarães meint, man müsse optimistisch sein.

Immerhin ist hier die Aufklärung des Falles vergleichsweise fortgeschritten. Ganz anders liegen die Dinge in dem Mordfall Telma Souza Lima. Am 25. Mai 2001, also zwei Wochen vor Alexandra und Eliane, ist die Schmuckverkäuferin aus Crato entführt worden. Erst haben ihre Peiniger sie mehrere Tage lang vergewaltigt, dann haben sie sie umgebracht. Die Schwester von Telma erhebt schwere Vorwürfe gegen die Arbeit der Polizei und der Justiz. Die Ermittlungen seien absolut stümperhaft geführt worden. Wesentliche Spuren wurden erst gar nicht verfolgt und im Laufe der Ermittlungen seien Unterlagen verschwunden, mit dem Ergebnis, dass bis heute kein Prozess eröffnet worden ist. Die Schwester berichtet, dass Telma in der Zeit vor ihrer Entführung Drohanrufe von der Gattin eines Bruders einer Abgeordneten erhalten habe. Sie solle ihren Mann in Ruhe lassen. Ein Verdächtiger, mit dem Telma in geschäftlichem Kontakt gestanden habe, sei zwar festgenommen worden. Da er ein Schwager des mit dem Fall betrauten Staatsanwalts sei, sei er jedoch schon nach kurzer Zeit wieder freigelassen worden. Auch die Richterin, die für den Prozess, wenn er denn mal eröffnet werden sollte, voraussichtlich zuständig sein wird, spricht davon, dass der Staatsanwalt schwere Mängel in den Ermittlungen der Polizei gefunden habe, weshalb er weitere Untersuchungen angeordnet habe. Der Staatsanwalt selbst lobt jedoch ausdrücklich die Arbeit der Polizei. Auf die Frage nach eventuellen Hintermännern der Tat entgegnet er knapp, dafür hätten die Ermittlungen keine Hinweise ergeben.

Im Moment wird nur eine Person der Tat beschuldigt: Sérgio Rolim, ein knapp 30jähriger Autohändler, der nach allem, was man weiß, für eine Escritório da Morte – Todesbüro – genannte kriminelle Vereinigung in Juazeiro do Norte gearbeitet hat. Ungefähr 30 Leute soll die Gruppe umfassen. Die Palette ihrer Tätigkeiten in der Region reicht von Banküberfällen über Drogenhandel und Frachtdiebstahl bis zu Mord auf Bestellung. Rolim hat nach seiner Festnahme im Mai 2002 die Morde an vier Frauen im Cariri sowie eine Reihe von Vergewaltigungen gestanden. Auf einem Polizeivideo erklärte er an den Tatorten minutiös, wie er dabei vorgegangen ist. Einige Wochen später jedoch hat er sein Geständnis widerrufen. Er behauptete nun, die Polizei habe es ihm unter der Folter abgepresst. Den Mord an Telma hat er nie gestanden, jedoch wird er von ehemaligen Kompagnons schwer belastet. Gestanden hat er, Edilene Maria Pinto Esteves, Vaneska Maria da Silva, Maria Aparecida Pereira da Silva und Ana Amélia Pereira Alencar im März und April 2002 ermordet zu haben. Er hat dabei nicht alleine gehandelt und auch nicht aus eigenem Antrieb.

Für den Mord an Edilene zum Beispiel ist der Chef des Todesbüros, José Moreira Neto, als Auftraggeber angeklagt. Was in dem Fall bislang völlig fehlt, ist ein Motiv für die Tat. Das führt zu Spekulationen. Verônica Rodrigues von der UMC hält es nicht für ausgeschlossen, dass einige Frauen einzig deshalb sterben mussten, um die Ermittlungen der Polizei in anderen Fällen auf eine falsche Fährte zu lenken. Einer Theorie zufolge könnten Alfredo und Aníbal Couto weitere Morde in Auftrag gegeben haben, um die ganze Serie als Taten eines Psychopathen erscheinen zu lassen, dem dann auch die Verantwortung für die Fälle Alexandra und Eliane untergeschoben werden könnte. Dafür, dass Sérgio Rolim auf die eine oder andere Weise auch in diese beiden Fälle verwickelt ist, sprechen sogar einige Indizien. Er war gut mit Eliane bekannt, hat sie eventuell sogar mit dem Auto nach Paraíba mitgenommen, und ihre Leiche ist in der Nähe eines Grundstücks gefunden worden, das der Familie Rolim gehört.

Aber selbst in einem Fall wie diesem, wo die Beweislage erdrückend ist, ist keineswegs garantiert, dass der Täter in Haft bleiben wird. Dies zeigte im letzten Dezember die positive Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft zu einem Antrag auf Haftentlassung durch Rolims Anwälte. Diese beriefen sich auf die unzulässig lange Gefangenschaft, ohne dass ein Urteil ergangen sei. Anfang Februar allerdings wurde der Antrag höchstrichterlich abgelehnt.

Die Aufarbeitung der beschriebenen Fälle ist kompliziert. Organisationen wie die União das Mulheres Cearenses versuchen, die Familien der Opfer zu unterstützen, indem sie die Prozesse verfolgen und mit Demonstrationen vor Ort die Verbrechen und die drohende Straflosigkeit im Bewusstsein der Bevölkerung halten. Dass das nicht ohne Risiko ist, zeigen die verschiedenen Drohungen, die ihnen gegenüber bereits ausgesprochen wurden. Íris Tavares, Abgeordnete im Landesparlament für die PT, versucht über ihr Büro in Juazeiro die Angehörigen miteinander in Kontakt zu bringen. Im letzten September, am Tag nach einer Anhörung vor Gericht, ist auf einige ihrer Mitarbeiter ein Anschlag verübt worden. Ihr Auto ist unter äußerst merkwürdigen Umständen in einen Unfall verwickelt worden. Größerer Schaden ist dabei niemandem entstanden, aber es zeigt die Gefahr, die man auf sich nimmt, wenn man bestimmten Interessen entgegentritt.

Nach Ansicht von Tavares führt der in der Region tief verwurzelte Machismus dazu, dass Gewalt gegen Frauen von vielen als allenfalls nebensächliches Problem wahrgenommen wird. Die Gewalt sei grundsätzlich Resultat der überkommenen Machtstrukturen. Zwar sind die Zeiten, in denen der Coronel im Sertão des Nordostens der unangefochtene Herrscher über Land, Vieh und Menschen in seinem kleinen Reich war, vergangen, aber immer noch besitzen einige traditionelle Familien ein politisches Gewicht, dem die Institutionen des Rechtsstaats wenig anhaben können. Aber wie Guimarães meinte: Man darf die Hoffnung nicht aufgeben.