Happy X-Mas, War Is Not Over

raucherecke

Was soll die Szenerie eigentlich darstellen? Weihnachten im Jahr 1945? Welcher Stadtplaner hat sich dieses krude Ambiente ausgedacht? Wer entwarf diese Kulisse für einen apokalyptischen Science-Fiction-Thriller?

Grau hängt die schwere Wolkenschicht über dem Alexanderplatz in Berlin. Schon seit Tagen lässt sich die Sonne nicht blicken. Im Hintergrund wummert und dröhnt es. Hin und wieder ertönen dumpfe Detonationen. Sie rühren von den drei Kränen her, die Baumaterialien über den Platz bewegen und vor dem Gebäude des Kaufhofs abwerfen. Das Kaufhaus sieht aus wie eine der Ruinen in den Büchern über das vom Krieg zerstörte Berlin. Die Filiale wird gerade umgebaut, aber: »Der Verkauf geht weiter.«

Im Rund vor der gewaltigen Baustelle befindet sich der Weihnachtsmarkt. Es riecht nicht nach Granaten und nach Pulverdampf, sondern nach Glühwein und gebratenem Fleisch. Menschen mit dicken Bratwürsten in ihren Brötchen schlurfen über den Asphalt. Senf tropft zu Boden. Es gibt Zwiebelfleisch zu essen, Grünkohl mit Knackern, hinter den Bretterbuden befinden sich zwei weitere, kleinere Baustellen. An einem Stand kann man Schals von Hertha BSC erwerben, hinter dieser Hütte stinkt es, das ist das öffentliche Pissoir.

Zwischen den Ständen befinden sich hölzerne Puppentheater für unsere Kleinen. Man drückt auf einen Knopf, und die Puppen fangen an, sich zu bewegen. Schneewittchen etwa. Die beiden sich drehenden Zwerge sehen mit ihren schwarz unterlaufenen Augen aus wie Junkies. Rumpelstilzchen krächzt: »Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß.« Was ist mit dieser Puppe los? Ist sie krank? Geht sie kaputt?

In der Mitte der Weltuntergangsszenerie befindet sich die größte Attraktion: eine Schlittschuhbahn. »Betreten auf eigene Gefahr! Glatteis!« steht hier zu lesen. Aber immerhin, der Dreck auf dem Holzboden erinnert einen an etwas. Aber an was? Ach ja, so oder so ähnlich sieht Schnee aus. Und was ist dieses braune Etwas, das dahinter zu erblicken ist, vor der Silhouette des abgerissenen Kaufhofes? Eine weitere Kriegsruine? Nein, das ist der Brunnen auf dem Alexanderplatz. Gut, im Sommer sieht er einladender aus. Er passt sich der Jahreszeit an.

Die Musik aus den Lautsprecherboxen klingt hingegen warm und versöhnlich. »I wanna share peace and harmony with you«, singt eine sexy männliche Stimme. »All around is christmas.« Überall ist Weihnachten? Hier im Herzen der Hauptstadt nicht. Hier ist Krieg.

josé maragosa