Die Anglizismophoben

wir-ag der woche

In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war die Welt eine Party. Als Student gründete man ein Start-up und war stolz darauf, den englischen Begriff im Munde zu führen. Start-up, das signalisierte Zugehörigkeit zur In-Group, Szene-Credibility also. Die Selbstausbeutung gelang einfach besser, wenn die Performance stimmte. Gut an dieser Zeit war, dass Knallchargen wie Heinz Rudolf Kunze für ihren Vorschlag noch ausgelacht wurden, im Radio eine Quote für deutschsprachige Musik einzuführen.

Die Party ist längst vorbei. Heute gibt es nur noch George W. Bush. Und Hartz IV. Heinz Rudolf Kunze ist auch noch da und hat einen ganzen Bundestag voller Mitstreiter gefunden. Und was machen die Studenten? Spiegel Online berichtete in der vergangenen Woche über eine Wohngemeinschaft in Berlin-Mitte auf der Höhe der Zeit: Bei Tim, Kiki und Fabian gibt es keine Chips, Pullover oder CD-Player. Stattdessen umgeben sie sich mit Kartoffelscheiben, Überziehern und Kompaktschallplattenspielern. Die Studenten folgen nach eigenen Angaben Wolfgang Thierse, der das Volk Ende 2004 dazu aufrief, sich wieder stärker auf die Muttersprache zu besinnen. Und das tut die WG. Wer nicht spurt oder nachlässig ist, der zahlt: 20 Cent kostet ein Ausrutscher wie »Ketchup« oder »Toast«, 50 Cent ein schweres Vergehen wie die Verwendung des Wortes »gedownloaded«. Auch die deutsche Bezeichnung »Handy« klingt zu englisch und wird durch »Funke« oder »Mote« ersetzt.

Als Deutschtümelei wollen die drei ihren Beitrag zur Reinigung der der deutschen Sprache von Anglizismen natürlich nicht verstanden wissen. Mit anderen Worten, eine Krisenlösung nach Landessitte: ausmerzen, zu sich selbst kommen, und das alles bei reinem Gewissen.

steffen küßner