Im Gedenken an Rosa und Karl

Geschichtstourismus auf den Spuren des Kommunismus in Berlin. von christian saehrendt

Berlin war als klassische Industriemetropole des 20. Jahrhunderts eine derjenigen europäischen Städte, die von der radikalen Arbeiterbewegung am stärksten geprägt wurden. Die Novemberrevolution 1918, die Januarkämpfe 1919, rote Hochburgen wie Neukölln oder der Rote Wedding, politisch engagiertes Theater von Piscator und Brecht, Karikaturen von George Grosz und Fotomontagen von John Heartfield zählen zu den noch heute wirksamen Bildern und Assoziationen. In den zwanziger Jahren waren etwa 75 Prozent der Berliner Bevölkerung dem Arbeitermilieu zuzurechnen. Die Arbeiterparteien kamen auf 60 bis 70 Prozent der Wählerstimmen. In einigen Stadtteilen erreichte die KPD über 40 Prozent. Es sind übrigens diejenigen Stadtteile, die heute noch als soziale Brennpunkte gelten, wobei die politische Orientierung der heutigen Bewohner keinen Bezug zur Vergangenheit der Viertel hat.

Wer heute nach den Spuren dieser turbulenten Zeit sucht, nach baulichen Überresten, Denkmälern oder Museen, wird hauptsächlich im Osten fündig. Während in Ostberlin eine dicht bebaute Erinnerungslandschaft entstand, mit der die SED ihre historische Vorläuferin, die KPD, ehrte und die eigene Herrschaft zu legitimieren suchte, blieb es in Westberlin privaten Initiativen überlassen, an die kommunistische Bewegung und die Lebensweise des proletarischen Milieus zu erinnern. Mit der Beteiligung der PDS an der Berliner Landesregierung wird nicht nur eine Bestandssicherung für die Denkmäler aus der DDR-Zeit verbunden, auch neue Denkmäler für kommunistische Persönlichkeiten sind wieder möglich geworden.

Tiergarten

Einige kleinere Denkmäler und Gedenktafeln in Westberlin erinnern an die Lebensstationen und die Ermordung Rosa Luxemburgs, sie wurden von Einzelpersonen oder der SPD nahe stehenden Bürgergruppen aufgestellt, wobei die Hausbesitzer in der Mannheimer Straße 27 und in der Cranachstraße 58 die Anbringung der Tafeln an der Fassade untersagten. Das Architektenehepaar Schüler-Witte stiftete 1987 im Tiergarten ein Doppeldenkmal an der Stelle, wo Luxemburg und Liebknecht ermordet worden waren. Sowohl die technoide Formensprache des Denkmals wie die Tatsache, dass sich hier Privatleute mit ihrer Stiftung, ganz ohne öffentlichen Wettbewerb, selbst ein Denkmal setzen konnten, sorgten für Kritik.

Kultursenator Thomas Flierl (PDS) weihte im November 2003 auf dem Potsdamer Platz ein Karl-Liebknecht-Denkmal ein, das nur aus einem leeren Sockel besteht. An diesem Ort hatte Liebknecht am 1. Mai 1916 eine Antikriegsrede gehalten. Der Sockel war bereits 1951 für eine Liebknecht-Statue dort platziert worden und infolge der Teilung der Stadt über 50 Jahre vakant geblieben. Mit der Vollendung dieses unvollendeten Denkmals erlaubte sich die PDS einen dialektischen Trick, der sie in puncto Heldenverehrung und Traditionspflege unangreifbar macht.

Wedding

Vom Roten Wedding, dem Milieu von Ackerstraße, Kösliner Straße und Sparrkiez, ist nichts mehr übriggeblieben. Allein die Ortsvereine der Sozialdemokraten stehen für eine gewisse Kontinuität der Arbeiterbewegung in diesem Innenstadtbezirk. Ein kleiner Gedenkstein in der Weddinger Wiesenstraße verweist auf die Opfer des »Blutmai 1929«, ein Ereignis, das die Spaltung der Arbeiterbewegung vertiefte: Die sozialdemokratisch geführte Polizei hatte das Demonstrationsverbot am 1. Mai 1929 gegen die Kommunisten mit Schusswaffen durchgesetzt.

Mitte, Deutsches Theater

Eine merkwürdige Episode stellte der Versuch einer niederländischen Initiative dar, für den 1934 als angeblichen Brandstifter des Reichstags hingerichteten Marinus van der Lubbe ein Denkmal zu errichten. Der Niederländer van der Lubbe, ein mittelloser Rätekommunist, war damals am Brandort angetroffen worden. Die Aufstellung des per Reisebus nach Berlin gelangten Gedenksteins am Reichstagsgebäude untersagte der Senat. Doch das Deutsche Theater stellte seinen Vorplatz zur Verfügung. Vor dem Eingang der Kammerspiele wurde der Gedenkstein am 27. Februar 2000 eingeweiht, doch verschwand er bald darauf spurlos, um Ende März 2000, versteckt unter einem Sandhaufen einer benachbarten Baustelle, wiederaufzutauchen.

Mitte, Schlossplatz

Deutliche Spuren hat das offizielle Geschichtsbewusstsein der SED-Regierung in Form ihrer Denkmalsbauten im Berliner Stadtbild hinterlassen. Beginnen wir mit der Erinnerung an die Revolution: Bei der Sprengung des Stadtschlosses wurde das Portal IV, von dessen Balkon Karl Liebknecht die Sozialistische Republik ausgerufen hatte, unter abenteuerlichen Umständen geborgen und wie eine Reliquie in das neue Staatsratsgebäude eingebaut. Die DDR erschien somit als Verwirklichung der Liebknechtschen Proklamation. Am Marstall wurden 1988 im Auftrag des Ostberliner Magistrates zwei große Bronzereliefs des Bildhauers Gerhard Rommel angebracht, die in ähnlicher Weise revolutionäre Verheißung und sozialistische Erfüllung in ihrer Bildsprache verknüpften.

Mitte, Rosa-Luxemburg-Platz

Die PDS ist die einzige größere bundesrepublikanische Partei, die sich auf die KPD der zwanziger und dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts bezieht. Eine Kommission wurde gebildet, die das Verhältnis der Partei zu ihren historischen Altlasten, aber auch den historischen Leistungen in einem permanenten Prozess zu ordnen versucht. Im Sinne eines linken Pluralismus wird hier kein neuerliches geschlossenes Weltbild angestrebt, sondern eine kritische Auseinandersetzung mit dem geschichtlichen Erbe. Daher wurde 1990 in durchaus geschichtsbewusster Weise die alte KPD-Zentrale wieder zum Sitz der neu formierten Partei gewählt. Das 1912 erbaute und 1948 erneuerte Geschäftshaus hatte sich seit 1926 im Besitz der parteinahen Vulcan GmbH befunden und wurde der PDS 1995 endgültig als »rechtmäßig erworben« zugesprochen. Im Erdgeschoss befand sich seit 1981 die größte Thälmann-Gedenkstätte der DDR, sie wurde 1990 geschlossen. Stattdessen wurde ein neues Informations- und Konferenzzentrum geschaffen, das den Wandel der PDS zur offenen, pluralistischen Linkspartei verdeutlichen soll.

Bestandteil der Koalitionsvereinbarungen von PDS und SPD war die Auslobung eines beschränkten Wettbewerbs für ein Rosa-Luxemburg-Denkmal auf dem gleichnamigen Platz, der kürzlich entschieden wurde. Der renommierte Künstler Hans Haacke setzte sich mit seiner Zitatensammlung Luxemburgs durch. Die Sätze werden von Metallbuchstaben gebildet, die in mikado-ähnlich verstreuten, in den Boden eingelassenen Betonschienen verankert sind. Diese Satz-Bänder verlaufen quer über den Vorplatz der Volksbühne. Den zweiten Platz im Wettbewerb errang übrigens die Idee, Rosa Luxemburg als Mode-Label zu aktualisieren: Ihr Konterfei sollte T-Shirts und Handtaschen schmücken.

Friedrichshain

Die SED versuchte, ihre Geschichtspolitik durch Denkmalsbauten im Alltag der Bevölkerung zu verankern: In der Erholungslandschaft des Volksparks Friedrichshain platzierte man mehrere Denkmäler, das Neubaugebiet Thälmannpark im Prenzlauer Berg erhielt eine monumentale Thälmannbüste. Wenig beachtet werden heute der versteckt gelegene Friedhof der Märzgefallenen, dessen erhaltene Gräber der Opfer der Revolutionen von 1848 und 1918 im Jahr 1957 neu gestaltet wurden, die Plastik des Roten Matrosen des Bildhauers Hans Kies von 1960 und Fritz Cremers Denkmal der Spanien-Kämpfer von 1968, für das er eine schwertragende Figur verwandte, die an Ernst Barlachs »Rächer« angelehnt war, zudem Zofia Wolskas und Tadeusz Lodzians Denkmal des polnischen Widerstands von 1972, schließlich kam 1989 noch eine Friedensglocke hinzu; alle Denkmäler befinden sich im Volkspark Friedrichshain. Sie symbolisieren das Geschichtsverständnis der SED, die mit ihnen eine stetige gesellschaftliche Aufwärtsentwicklung auszudrücken versuchte: von der bürgerlichen Revolution von 1848 über die Novemberrevolution 1918 und die Solidarität des internationalen antifaschistischen Widerstands zum friedensliebenden sozialistischen Staat der – damaligen –Gegenwart.

Prenzlauer Berg

Lew Kerbels Thälmannbüste, die Ähnlichkeit mit dem 1991 abgerissenen Lenin-Denkmal seines Lehrers Tomski hat, entstand 1986 zum 100. Geburtstag Thälmanns im Zusammenhang mit einem neuen Wohnquartier am Prenzlauer Berg. Thälmann fungierte in der DDR-Ideologie als integrative Märtyrergestalt, der unzählige Straßen, Gebäude, Organisationen und Denkmäler gewidmet waren. Seit die Denkmäler nicht mehr bewacht werden und nicht mehr Teil politischer Rituale sind, sind sie der Verwahrlosung ausgesetzt. Besonders verunstaltet wirken bisweilen Kerbels Thälmann-Denkmal und das Denkmal des polnischen Widerstands, das im Mai 2004 wegen der Proteste einer entsetzten polnischen Delegation gründlich gereinigt wurde. Forderungen nach dem Abriss des Thälmann-Denkmals sind in der Kommunalpolitik immer mal wieder zu hören. Zwei das Denkmal flankierende Stelen mit Aussprüchen Thälmanns und Honeckers wurden bereits 1990 entfernt, die Büste selbst hält bislang noch stand, das Schicksal von Tomskis Lenin-Statue vor Augen, deren Einzelteile im Müggelheimer Forst beerdigt wurden, der immer wieder von Grabräubern heimgesucht wird.

Lichtenberg

Der Toten der kommunistischen Bewegung gedachte die DDR in der 1951 neu gestalteten Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde. Am Nordende dieses Friedhofs stand zwischen 1926 und 1935 das berühmte Revolutionsdenkmal des Architekten Ludwig Mies van der Rohe, woran heute ein eigentümliches »Denkmal für ein Denkmal« erinnert. Dieser Kubus, der 1982 von Gerhard Thieme und Günther Stahn in einem ähnlichen Material auf dem Fundament des Revolutionsdenkmals errichtet wurde, trägt ein Bronzerelief mit der Abbildung des historischen Monuments. Statt eines Wiederaufbaus des Revolutionsdenkmals entschied man sich 1950 für eine neue kreisförmige Anlage am Eingang des Friedhofs, die mit einem großen Aufmarschplatz kombiniert wurde. Diese Gedenkstätte, die die Gräber Luxemburgs, Liebknechts und vieler Politiker von KPD, SPD und SED umfasst, wird einmal jährlich, am Todestag Liebknechts und Luxemburgs, von Tausenden besucht. Ein bizarres politisches Spektrum von Menschen, irgendwie links von der SPD, nimmt daran Teil, von der PDS bis zu seltsamen Splittergruppen. Dieses Denkmal ist trotz seiner dezentralen Lage noch am stärksten im öffentlichen Bewußtsein präsent.

Vor kurzem trat eine neue Initiative an die Öffentlichkeit, die den Wiederaufbau des Mies van der Roheschen Revolutionsdenkmals fordert. Der Kölner Architekt Ulrich Findeisen gründete eine Stiftung, die die erforderlichen 250 000 Euro beschaffen soll. Doch zunächst müsste die auf dem Fundament des Originals stehende Stele von 1982, die ihrerseits unter Denkmalschutz steht, entfernt werden. Die Bezirksverwaltung ist in dieser Frage gespalten, das Landesdenkmalamt verhält sich reserviert, so dass noch Jahre bis zu einer Lösung vergehen könnten.

In den achtziger Jahren sorgte der Aufschwung der Sozialgeschichtsschreibung und der Geschichtswerkstätten-Bewegung für ein gesteigertes Interesse an Arbeitergeschichte, die in der ganzen Breite von Mentalitätsforschung, Kulturgeschichte und Alltagsgeschichte wahrgenommen wurde. Dank der privaten und politischen Initiativen einzelner Bürger und Arbeitsgruppen fand die Thematik Eingang ins Museumswesen. So zeigte das Berliner Museum für Volkskunde zwischen 1980 und 1987 die Ausstellung »Großstadtproletariat«.

Das Interesse an einer lokal fokussierten Arbeitergeschichte ohne zu viele ideologische Vorgaben war auch in der DDR zu spüren. Hier konnte 1985 ein Museum »Berliner Arbeiterleben« im Prenzlauer Berg eröffnet werden, das die Lebensverhältnisse und den Alltag des proletarischen Milieus in rekonstruierten Wohnräumen und in einer Dauerausstellung beleuchtete. Nach der Schließung 1995 ging der Bestand in das Märkische Museum über, welches in seiner Dauerausstellung zur Berliner Geschichte nur am Rande auf das Arbeitermilieu eingeht.

Der ehemalige Leiter des Museums »Berliner Arbeiterleben«, Tobias Böhm, glaubt, Arbeitergeschichte sei ein Modethema der achtziger Jahre gewesen, von dem heute niemand mehr etwas wissen wolle. Aus diesem Überdruss von Historikern und Museumsleuten resultiert zurzeit ein unverkennbarer Mangel an Arbeiterthemen in den Museen der Stadt.